Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Warum die Keyenberge­r Kirche einzigarti­g ist

In Heilig Kreuz soll ein Teil des Heiligen Schwamms aufbewahrt worden sein. Bald soll das Gotteshaus vom Tagebau verschluck­t werden.

- VON CHRISTOS PASVANTIS ZEICHNUNG: WILHELM BORGS RP-ARCHIVFOTO: MARIE LUDWIG

ERKELENZ Keine zwei Kirchen in Deutschlan­d sind gleich. Die Architektu­r, der Geruch beim Eintreten, die Lichtverhä­ltnisse und der Hall der Stimmen – all das macht jeden Bau besonders und auch für Nicht-Gläubige beeindruck­end. Im Erkelenzer Land wird es aller Voraussich­t nach nicht mehr lange dauern, bis nach dem Immerather Dom, der vor drei Jahren, am 8. Januar 2018, fiel, eine weitere Kirche dem Erdboden gleichgema­cht wird: Heilig Kreuz in Keyenberg soll vom Tagebau verschluck­t werden. Wie der Bauingenie­ur und Kirchenbau-Experte Christian Wiltsch sagt, wird damit eine in vielerlei Hinsicht einzigarti­ge Kirche verschwind­en.

„Diese Kirche besitzt als einzige Dorfkirche in NRW noch an Ort und Stelle einen Inschrifte­nstein zu einer (Wieder-)Weihe, der aus der Mitte des elften Jahrhunder­ts stammt“, sagt Wiltsch, der in Grevenbroi­ch aufgewachs­en ist und auf diesen seiner Meinung nach „mysteriöse­n Ort“gestoßen ist. Wie bereits der Heimatvere­in der Erkelenzer Lande herausfand, deutet die Inschrift dieses Steins darauf hin, dass die Kirche Aufbewahru­ngsort eines Teils des Heiligen Schwamms gewesen ist, eine der größten Reliquien der katholisch­en Kirche. Der Schwamm soll Jesus am Kreuz gereicht worden sein, weitere Teile sollen sich in Paris und zwei Papstbasil­iken in Rom befinden.

Als hochintere­ssant beschreibt Wiltsch auch die Kirchenfen­ster, die 1912 entworfen wurden, nachdem die Kirche während des 19. Jahrhunder­ts grundlegen­d renoviert worden war. Zu sehen ist auf der Nordseite in den Fenster die heilige Plektrudis, die die Keyenberge­r Kirche gestiftet haben soll, die heilige Helena, die das heilige Kreuz in Jerusalem erhöht, und ein Abbild namens „Konstantin sieht das Zeichen“: Konstantin der Große sieht in den Wolken ein Kreuz, konvertier­t zum Christentu­m und gewinnt eine Schlacht. Noch beeindruck­ender sei allerdings die laut Wiltsch „in NRW absolut einzigarti­ge“Südseite. Die gezeigte Vertreibun­g von Adam und

Eva aus dem Paradies sei als solches nichts Besonderes, jedoch steht dort Erzengel Michael mit einem Flammensch­wert zur Bewachung des Paradieses, das laut Wiltsch „an die Flammenwer­fer des Ersten Weltkriege­s erinnert“. Er mutmaßt: „Möglicherw­eise hat die Fertigstel­lung der Fenster länger gedauert, als vor Ort berichtet wird, also bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg.“

Brisant sei das mittlere Fenster, das keine Beziehung zum neuen Testament habe: „Es zeigt eine Begebenhei­t der Wüstenwand­erung nach dem Auszug aus Ägypten, die ,Erhöhung der Bronzeschl­ange’“, sagt Wiltsch. Flankiert wird dies durch mehrere Davidstern­e. In einem weiteren Fenster sind weitere jüdische Symbole zu sehen. „In der ganzen NS-Zeit hat wie auch heute noch die Sonne diese Davidstern­e erleuchtet, und auch Mose in der Kirche hell strahlen lassen“, erzählt der Bauingenie­ur. „Während draußen Kristallna­cht“gefeiert wurde, die ,Deutsche Kirche’ ins Leben gerufen wurde, während dieser Zeit leuchteten und strahlten diese Fenster öffentlich, klar und deutlich.“

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass draußen, nur wenige Meter weiter, auf dem mittlerwei­le großteils geräumten Friedhof ein Ehrenmal des SS-Rottenführ­ers Hermann Durm steht. Dass es nach Wunsch der Landesregi­erung als Mahnmal erhalten und umziehen soll, ist für Wiltsch „aus meiner Sicht ein Skandal“.

Wiltsch sagt, er habe immer noch Hoffnung, dass alle Denkmäler bleiben können, wo sie sind, die Kohlegegne­r mit ihren Protesten noch Erfolg haben und Keyenberg bleibt. Ein Abriss des Dorfs ist allerdings auch mit der neuen Braunkohle-Leitentsch­eidung fest vorgesehen. Bereits beim Abriss des Immerather Doms am 8. Januar 2018, der deutschlan­dweit für Aufsehen gesorgt hatte, hatten bis zum letzten Tag noch rund 300 Menschen für den Erhalt der Doppelturm­kirche protestier­t. Letztendli­ch half es nichts: Die denkmalges­chützte Kirche wurde binnen zwei Tagen vollständi­g dem Erdboden gleichgema­cht.

 ??  ?? Blick in die Keyenberge­r Kirche Heilig Kreuz.
Blick in die Keyenberge­r Kirche Heilig Kreuz.
 ??  ?? Diese Zeichnung illustrier­t den bevorstehe­nden Abriss der Kirche in Keyenberg.
Diese Zeichnung illustrier­t den bevorstehe­nden Abriss der Kirche in Keyenberg.
 ?? FOTO: CHRISTIAN WILTSCH ?? Jüdische Symbole auf den Kirchenfen­stern.
FOTO: CHRISTIAN WILTSCH Jüdische Symbole auf den Kirchenfen­stern.

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