Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Die Corona-Boxer – wie kam es zur Masseninfektion?
BERLIN Wenn ein Hygienekonzept angeblich zu 100 Prozent umgesetzt wurde und sich dann 26 von 27 Athletinnen und Athleten eines Nationalteams mit Covid-19 infizieren, muss etwas gründlich schief gelaufen sein. Deshalb kam es auch zu lauter Kritik aus dem Kreis der Boxerinnen und Boxer nach ihrem Trainingslager in Österreich im September 2020. Das zuständige Sportministerium lässt jedoch nach Einschätzung von Linken-Sportpolitiker André Hahn das nötige Aufklärungsinteresse vermissen. Und er wirft dem Ministerium von Horst Seehofer (CSU) vor, dem Boxsportverband (DBV ) vorzeitig einen „Persilschein“ausgestellt zu haben.
In der jüngsten Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion kommt das Innenministerium zum Ergebnis, dass sie in der DBV-Entscheidung, das Trainingslager in einem Hotel in Längenfeld abzuhalten, „kein gravierendes Fehlverhalten des Verbandes erkennen“könne. Sie verweist darauf, dass es in dem Ort „zur fraglichen Zeit keine einzige Corona-Infektion gab“. Wenige Seiten weiter erklärt die Bundesregierung die Masseninfektion unter den Sportlern hingegen damit, dass sich die Pandemie im Jahresverlauf „weltweit sehr dynamisch ausbreitete“.
Die Athletinnen und Athleten waren jedenfalls aus allen Wolken gefallen, als sie bei ihrer Ankunft erfuhren, dass es in dem Hotel Corona-Fälle gegeben habe, wovon zuvor auch Angehörige von Schalke 04 betroffen waren. In Quarantäne befindliche Spieler seien sogar im selben Flur wie die Boxer untergebracht gewesen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich nicht nur für Hahn die Frage, warum das Trainingslager nicht abgesagt oder in einem Olympia-Stützpunkt geplant worden war. Zweifel ergeben sich auch aus der vorzeitigen Abreise eines Mannschaftsarztes, der im Kontakt mit den positiv getesteten Sportlern war und in Quarantäne gehört hätte. Laut Bundesregierung hat sich der Verband inzwischen von ihm getrennt. Die Boxerinnen und Boxer hatten in ihrer Mehrzahl nur leichte Verläufe. Nach Darstellung der Bundesregierung seien sie „alle wieder gesund und uneingeschränkt leistungsfähig“– „bis auf eine Athletin“, zu der aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes keine weiteren Angaben gemacht werden dürften.
Aus Sicht von Hahn zeigt das Ministerium „kein ernsthaftes Interesse an einer wirklichen Aufklärung der Corona-Vorfälle“. Für ihn ist „empörend und bezeichnend“, dass sich das Ministerium mit wenigen schriftlichen Stellungnahmen zufrieden gegeben habe und es nicht für nötig gehalten habe, mit den Betroffenen das direkte Gespräch zu suchen.