Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Neuhaus mit etwas Hand und viel Fuß
Erst verursacht Gladbachs Mittelfeldspieler gegen den FC Bayern einen Elfmeter, dann trifft er sehenswert zum Sieg.
An den Fingerspitzen befinden sich 150 Tastrezeptoren pro Quadratzentimeter, sensibler geht es kaum. Florian Neuhaus wusste also genau, obwohl er Handschuhe trug bei Temperaturen um den Gefrierpunkt im Borussia-Park, welch ein Lapsus ihm da unterlaufen war. Bayerns Alphonso Davies hatte den Ball in den Strafraum gespitzelt, dort stand Neuhaus, machte einen Ausfallschritt, die linke Hand ging mit und der Ball touchierte höchstens zwei Fingerspitzen. Schiedsrichter Harm Osmers blieb in der 20. Minute trotzdem keine Wahl, als auf den Elfmeterpunkt zu zeigen. „Blöde Aktion von mir, es ging so schnell“, erklärte Neuhaus nach dem Spiel.
Robert Lewandowski brachte die Gäste in Führung, es schien der Anfang vom Ende der Gladbacher Hoffnungen zu sein, den FC Bayern wieder einmal zu ärgern. Dass es nach einer überragenden Aufholjagd noch völlig anders kam, ging auch auf Neuhaus’ Konto. Er schoss beim 3:2 nach 0:2-Rückstand das Siegtor in der 48. Minute. „Ich habe mir vorgenommen, mich nicht lange damit aufzuhalten, sondern einfach mein Spiel durchzuziehen“, sagte er über den Fingerspitzen-Elfmeter. „Ich bin super happy, dass ich das mit dem Tor wiedergutmachen konnte.“
Es war klar, dass Shootingstar Neuhaus an diesem Abend unter besonderer Beobachtung stehen würde. Die Berichte, er stehe prominent bei Bayern auf der Einkaufsliste, gibt es seit anderthalb Jahren.
Wobei sich die Frage, ob ein Junge aus dem Münchner Umland, der in der Jugend des TSV 1860 den Durchbruch geschafft hat, nicht ein Thema für größten Klub der Stadt und des Landes ist, latent immer stellt.
Neuhaus‘ Vater würde sich gewiss freuen, sollte es irgendwann einmal so kommen: Er ist großer Anhänger des Champions-League-Siegers. Neuhaus Junior, als Kind Fan des SV Werder Bremen sowie seiner Spielmacher Johan Micoud und Diego,
mutmaßte im Gespräch mit dem Magazin „11 Freunde“zuletzt sogar, sein Vater sei nach Gladbachs Siegen gegen Bayern immer sauer auf seinen Sohn gewesen.
Der hatte schon 2018/19 und 2019/20 (ohne Einsatz indes) jeweils in der Hinrunde gegen den Branchenprimus reüssiert. Schon beim zweiten Mal war ein Rückstand kein Hindernis, doch diesmal holten Neuhaus und Borussia gar ein 0:2 auf. Auch beim zweiten
Gegentor nach einer knappen halben Stunde war Neuhaus involviert: Matthias Ginters hoher Ball war an seinen Nationalmannschafts-Kollegen adressiert, Leon Goretzka sprang dazwischen – mit der Schulter, womöglich auch ein wenig mit dem Bizeps – und schloss nach einem Doppelpass wuchtig von der Strafraumgrenze ab.
Neunmal ist bislang ein Gladbach-Profi zu den Bayern gewechselt, Stefan Effenberg zweimal.
Davor hießen die Abgänge Kalle Del’Haye und Lothar Matthäus, danach Patrik Andersson, Marcell Jansen, Alexander Baumjohann, Dante und Michael Cuisance. 38 Millionen Euro hat Borussia für alle zusammen kassiert. Aktuell müssten die Bayern für Neuhaus allein mehr hinblättern, sein Wert auf „transfermarkt.de“von 28 Millionen spiegelt die Realität kaum wider. Gladbachs Sechser-Achter hat einen Vertrag bis 2024 und zieht schon länger Toni-Kroos-Vergleiche auf sich ohne nennenswerten Widerspruch.
Für den plötzlichen Richtungswechsel nach dem 0:2 sorgte auch Neuhaus, so wie man ihn kennt und wie ihn Fußball-Deutschland längst schätzt. Er spitzelte den Ball zu Lars Stindl, der Jonas Hofmann auf die Reise schickte. Der verwandelte eiskalt zum 1:2 und bescherte Neuhaus den Assist zum Assist. Der Ausgleich noch vor der Pause fiel dann ausnahmsweise ohne Neuhaus‘ Zutun. Anders sah es direkt danach aus: Mit einem Traumtor in den Winkel brachte Neuhaus die Fohlen mit 3:2 in Führung. Die hielt bis zum Ende.