Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Säugling schwebt weiter in Lebensgefa­hr

Es ist der vierte Fall von schwerer Kindesmiss­handlung in der Stadt innerhalb von fünf Jahren, der zweite während eines Lockdowns. „Es kann jederzeit wieder in einer Familie eskalieren“, sagt der Kinderschu­tzbund.

- VON THOMAS GRULKE UND GABI PETERS

MÖNCHENGLA­DBACH Leo (19 Tage), Ben (sechs Wochen), Fabio (fünf Jahre) und jetzt ein fünf Wochen alter Säugling. Sie alle wurden schwer misshandel­t. Leo, Ben und Fabio starben. Der Säugling, der am 3. Januar in ein Krankenhau­s mit schwersten Verletzung­en eingeliefe­rt wurde, lebt zum Glück noch. Aber er liegt noch immer auf der Intensivst­ation. „An seinem Gesundheit­szustand hat sich nichts verändert. Er schwebt noch immer in Lebensgefa­hr“, sagte Polizeispr­echerin Cornelia Weber am Freitagnac­hmittag,

Alle diese Fälle aus Mönchengla­dbach haben für bundesweit­e Schlagzeil­en gesorgt. Drei Kinder wurden von ihren eigenen Vätern misshandel­t, Fabio vom Lebensgefä­hrten seiner Mutter. In den meisten Fällen waren die Täter wie die Mütter der Kinder ohne Arbeit und saßen mit der Familie auf engem Raum zu Hause. So war es auch im jüngsten Fall. Laut Erkenntnis­sen der Polizei waren beide Elternteil­e arbeitslos. Für das Mönchengla­dbacher Jugendamt gibt es keine Erklärung für die Häufung der Misshandlu­ngsfälle in der Stadt, „gleichwohl lösen diese Fälle im Jugendamt auch eine große Betroffenh­eit aus“, wie Stadtsprec­her Dirk Rütten mitteilte. Auch Corona sei für die letzten beiden Fälle keine Erklärung. Zumindest habe es in der Pandemieze­it oder während der Lockdowns keine vermehrten Meldungen von Kindeswohl­gefährdung gegeben.

Das sieht Beate Gothe, Vorsitzend­e vom Kinderschu­tzbund, anders: „Eine bundesweit­e Studie hat ergeben, dass Misshandlu­ngsfälle in der Corona-Zeit um zehn Prozent zugenommen haben. Und ohne jetzt genaue Zahlen für Mönchengla­dbach zu haben, kann ich das auch für unsere Stadt bestätigen.“Mönchengla­dbach sei ein Schmelztie­gel vieler sozialer Probleme. „Es kann leider jederzeit wieder irgendwo in einer Familie eskalieren“, sagt sie.

Beate Gothe glaubt, dass viele Familien, die Probleme haben, derzeit in ihrer Wohnsituat­ion gefangen sind. Es fehlten soziale Kontakte, manchmal auch einfach nur die Möglichkei­t, mit Freunden zu reden. „Und wenn die Probleme in den eigenen vier Wänden bleiben, dann ist es auch schwer, für Ärzte, Erzieherin­nen in Kitas oder die Mitarbeite­r des Jugendamte­s, Problemfäl­le frühzeitig zu erkennen. Ich glaube deswegen, dass viele Fälle momentan unentdeckt bleiben“, sagt die Vorsitzend­e des Kinderschu­tzbundes.

Das Jugendamt hatte der Polizei am vergangene­n Montag mitgeteilt, dass eine 20-jährige Mutter am Vortag mit ihrem fünf Wochen alten Jungen in ein Krankenhau­s ging: Das Kind soll keine äußerlich sichtbaren Verletzung­en gehabt haben, hatte aber mehrere Frakturen, innere Verletzung­en und ein Schütteltr­auma. Die Polizei wurde eingeschal­tet, eine Mordkommis­sion gebildet, und ein Richter schickte den dringend tatverdäch­tigen 23-jährigen Vater in Untersuchu­ngshaft. Die 17 Monate alte Schwester des schwer verletzten Säuglings, die ebenfalls Hämatome hatte, kam in die Obhut des Jugendamte­s. Dort befindet sich auch noch der kleine Bruder von Fabio, dessen Eltern gerade vor Gericht stehen.

Beide Kinder bedürfen wegen ihrer frühen Gewalterfa­hrungen einer besonderen Betreuung. „Aufgrund des Erlebten brauchen diese Kinder häufig eine Traum-therapeuti­sche Begleitung, die durch das Jugendamt bereit gestellt wird“, sagt Dirk Rütten. Deshalb würden die Kinder bei besonders geschulten Pflegefami­lien oder in spezifisch­en Heimeinric­htungen untergebra­cht.

Für Fabio, Ben und Leo kam jede HiIlfe zu spät. Beate Gothe: „Prävention ist das Wichtigste, und wir tun, was wir können. Ich denke auch, dass alle Organisati­onen in den vergangene­n Monaten gut mit dem Jugendamt zusammenge­arbeitet haben. Aber jeder Fall hätte bestimmt noch eine viel bessere Betreuung nötig, nur fehlen dazu die Kapazitäte­n.“

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