Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Säugling schwebt weiter in Lebensgefahr
Es ist der vierte Fall von schwerer Kindesmisshandlung in der Stadt innerhalb von fünf Jahren, der zweite während eines Lockdowns. „Es kann jederzeit wieder in einer Familie eskalieren“, sagt der Kinderschutzbund.
MÖNCHENGLADBACH Leo (19 Tage), Ben (sechs Wochen), Fabio (fünf Jahre) und jetzt ein fünf Wochen alter Säugling. Sie alle wurden schwer misshandelt. Leo, Ben und Fabio starben. Der Säugling, der am 3. Januar in ein Krankenhaus mit schwersten Verletzungen eingeliefert wurde, lebt zum Glück noch. Aber er liegt noch immer auf der Intensivstation. „An seinem Gesundheitszustand hat sich nichts verändert. Er schwebt noch immer in Lebensgefahr“, sagte Polizeisprecherin Cornelia Weber am Freitagnachmittag,
Alle diese Fälle aus Mönchengladbach haben für bundesweite Schlagzeilen gesorgt. Drei Kinder wurden von ihren eigenen Vätern misshandelt, Fabio vom Lebensgefährten seiner Mutter. In den meisten Fällen waren die Täter wie die Mütter der Kinder ohne Arbeit und saßen mit der Familie auf engem Raum zu Hause. So war es auch im jüngsten Fall. Laut Erkenntnissen der Polizei waren beide Elternteile arbeitslos. Für das Mönchengladbacher Jugendamt gibt es keine Erklärung für die Häufung der Misshandlungsfälle in der Stadt, „gleichwohl lösen diese Fälle im Jugendamt auch eine große Betroffenheit aus“, wie Stadtsprecher Dirk Rütten mitteilte. Auch Corona sei für die letzten beiden Fälle keine Erklärung. Zumindest habe es in der Pandemiezeit oder während der Lockdowns keine vermehrten Meldungen von Kindeswohlgefährdung gegeben.
Das sieht Beate Gothe, Vorsitzende vom Kinderschutzbund, anders: „Eine bundesweite Studie hat ergeben, dass Misshandlungsfälle in der Corona-Zeit um zehn Prozent zugenommen haben. Und ohne jetzt genaue Zahlen für Mönchengladbach zu haben, kann ich das auch für unsere Stadt bestätigen.“Mönchengladbach sei ein Schmelztiegel vieler sozialer Probleme. „Es kann leider jederzeit wieder irgendwo in einer Familie eskalieren“, sagt sie.
Beate Gothe glaubt, dass viele Familien, die Probleme haben, derzeit in ihrer Wohnsituation gefangen sind. Es fehlten soziale Kontakte, manchmal auch einfach nur die Möglichkeit, mit Freunden zu reden. „Und wenn die Probleme in den eigenen vier Wänden bleiben, dann ist es auch schwer, für Ärzte, Erzieherinnen in Kitas oder die Mitarbeiter des Jugendamtes, Problemfälle frühzeitig zu erkennen. Ich glaube deswegen, dass viele Fälle momentan unentdeckt bleiben“, sagt die Vorsitzende des Kinderschutzbundes.
Das Jugendamt hatte der Polizei am vergangenen Montag mitgeteilt, dass eine 20-jährige Mutter am Vortag mit ihrem fünf Wochen alten Jungen in ein Krankenhaus ging: Das Kind soll keine äußerlich sichtbaren Verletzungen gehabt haben, hatte aber mehrere Frakturen, innere Verletzungen und ein Schütteltrauma. Die Polizei wurde eingeschaltet, eine Mordkommission gebildet, und ein Richter schickte den dringend tatverdächtigen 23-jährigen Vater in Untersuchungshaft. Die 17 Monate alte Schwester des schwer verletzten Säuglings, die ebenfalls Hämatome hatte, kam in die Obhut des Jugendamtes. Dort befindet sich auch noch der kleine Bruder von Fabio, dessen Eltern gerade vor Gericht stehen.
Beide Kinder bedürfen wegen ihrer frühen Gewalterfahrungen einer besonderen Betreuung. „Aufgrund des Erlebten brauchen diese Kinder häufig eine Traum-therapeutische Begleitung, die durch das Jugendamt bereit gestellt wird“, sagt Dirk Rütten. Deshalb würden die Kinder bei besonders geschulten Pflegefamilien oder in spezifischen Heimeinrichtungen untergebracht.
Für Fabio, Ben und Leo kam jede HiIlfe zu spät. Beate Gothe: „Prävention ist das Wichtigste, und wir tun, was wir können. Ich denke auch, dass alle Organisationen in den vergangenen Monaten gut mit dem Jugendamt zusammengearbeitet haben. Aber jeder Fall hätte bestimmt noch eine viel bessere Betreuung nötig, nur fehlen dazu die Kapazitäten.“