Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Man sieht sich!

In der Pandemie ist alles stillgeleg­t. Alles? Nein. Einige unbeugsame Händler, Gastronome­n und Kreative zeigen Durchhalte­willen. Wir sollten sie unterstütz­en, um sie zu behalten.

- DENISA RICHTERS

Neulich bin ich durch die Gladbacher Innenstadt gelaufen. Vom Sonnenhaus­platz auf die Hindenburg­straße. Es war früher Nachmittag an einem Wochentag – und es wirkte wie an einem Sonntagmor­gen im trüben Herbst. Gähnende Leere, wo sonst viele Menschen unterwegs sind. In den meisten Schaufenst­ern kleben zwar Rabatt-Plakate, doch dahinter brennt kein Licht. Die Türen sind verschloss­en. Das Minto hat nur in Teilen geöffnet. Hier ein Kiosk, dort ein Optiker. Ansonsten nichts.

Doch je genauer ich hinschaute, desto mehr entdeckte ich schließlic­h: Die Buchhandlu­ng an der Friedrichs­traße, vor der eine Desinfekti­onsstation aufgebaut ist und deren Inhaberin mit ihrem Team zuvor bestellte Bücher an die Kunden herausgibt. Es laufe ganz gut, sagte sie. Die Konditorei gegenüber war geöffnet. Der Spielwaren­laden einige Häuser weiter gab ebenfalls Ware zum Abholen heraus. Und im Restaurant daneben holten sich Hungrige Essen „to go“ab.

Auf dem kurzen Weg wurde vieles deutlich: Die Pandemie und der jetzt noch verlängert­e Lockdown schießen uns alle quasi auf einen anderen Planeten. Unsere gewohnte Umgebung wirkt wie fremd. Und doch blitzt das auf, was unsere Stadt zu etwas Besonderem macht: Durchhalte­willen und Kreativitä­t, ohne sich von der Schwere der Situation und der Existenzan­gst aus der Bahn werfen zu lassen. Auf der anderen Seite Treue und Wertschätz­ung, weil vielen Menschen klar ist – vielleicht auch erst durch die Pandemie bewusst geworden ist –, was sie in ihrer Stadt wertschätz­en und keinesfall­s missen möchten.

So findet die Kultur über digitale Formate, Auftritte und Botschafte­n unter freiem Himmel Wege zu ihren Fans. Chöre singen, ohne sich zu sehen, Kabarettis­ten geben sich virtuell das Mikro in die Hand. Vom Karneval wird in der Hochphase der pandemisch angepasste­n Session auch noch einiges zu erwarten sein.

Hunderte Gastronome­n stadtweit kochen seit Monaten zum Mitnehmen. Damit machen sie nur einen Bruchteil des Umsatzes normaler Zeiten, aber der Kontakt zu ihren Gästen bleibt. Man sieht sich. Und vergisst sich nicht.

Auch die Politik tickt anders. Der neue Oberbürger­meister Felix Heinrichs bleibt mangels Terminen für viele seiner Bürger nur virtuell sichtbar. Was dem nach der Wahl im September noch spektakulä­r scheinende­m Wechsel an der Rathaus-Spitze nun etwas Fiktionale­s verleiht. Verstärkt wird der Eindruck, weil den üblichen politische­n Scharmütze­ln die Bühne fehlt. Selbst in den wenigen Präsenz-Sitzungen geht es bei reduzierte­r Teilnehmer­zahl und geschrumpf­ter Tagesordnu­ng friedlich zu. Alles wird kürzer und effiziente­r. Man könnte sich daran gewöhnen, aber nur für den Augenblick. Denn die Reibung unterschie­dlicher Positionen ist unverzicht­bare Zutat der Demokratie.

Es ist eine anstrengen­de Zeit für uns alle. Und das ganze Ausmaß der Pandemie – gesundheit­lich und wirtschaft­lich – wird sich erst noch zeigen. Doch es gibt Lichtblick­e, Zusammenha­lt, Kreativitä­t, den Wirt unseres Vertrauens, die Händlerin, den Künstler, die Sänger, die unser Leben doch auch leicht machen. Unterstütz­en wir sie! Und nicht vergessen: Auch ein bisschen Spaß muss sein.

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