Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Heute Tanzbär, morgen Terminator
100 Jahre nach Erfindung des Begriffs „Roboter“sind die Helfer verbreitet in Industrie, Haus und Garten. Die neuesten Entwicklungen wecken große Hoffnungen – und schüren noch größere Ängste.
Er tut das, was seinesgleichen am wenigsten liegt: „Atlas“tanzt. Und zwar alles andere als mechanisch. Er wirkt agil, dynamisch, souverän. Seine 28 Gelenke bewegen sich sauber und perfekt im Takt. Neben ihm wirken tänzerisch unbegabte Menschen wie Roboter.
Das spektakuläre Werbevideo des Herstellers Boston Dynamics ist unterlegt mit dem Song „Do you love me“der Soulband The Contours. Er handelt von einem Abgewiesenen, der seiner Liebsten zeigt, wie gründlich er für sie tanzen gelernt hat. Der 1,50 Meter große und 80 Kilo schwere Roboter wirbelt über die Tanzfläche. Fast eine Minute dauert sein Solo – dann kommen weitere Roboter dazu: Ein zweiter „Atlas“, der hundeähnliche „Spot“, schließlich auch ein großer Greifarm auf zwei Rädern. Sie tanzen teils synchron und teils spiegelbildlich zueinander, hüpfen, gehen in die künstlichen Knie, drehen Pirouetten.
Es ist ein Triumph der Ingenieurskunst. Nicht weniger. Und nicht mehr. Die Maschinen liefern ab, aber sie drücken nichts aus. Selbst der aus „Dirty Dancing“bekannte Song, zu dem sie tanzen, ist für sie irrelevant. Sie entscheiden nichts, sondern folgen lediglich ihrer Programmierung. Und doch: Das Ergebnis ist eine so imposante Nachahmung des dynamischen Spiels aus Flirt und Abweisung, dass nichts darauf hindeutet, wie enorm aufwendig schon das Grundprinzip des aufrechten Gangs für eine Maschine ist. So weit sind wir gekommen in rund 250 Jahren.
Das Jahr 1769 gilt als Urknall der Industrialisierung, weil damals James Watt das Patent für eine verbesserte Dampfmaschine einreichte. Im selben Jahr indes wähnte sich mancher Zeitgenosse schon ungleich weiter, nämlich als Zeuge einer Künstlichen Intelligenz. Der „Schachtürke“faszinierte die Welt jahrzehntelang: Der mechanische Schachspieler in osmanischer Tracht gewann unter anderem gegen Napoleon, obwohl dieser zu schummeln versuchte. Die Wahrheit enthüllte erst Jahrzehnte später ein gewisser Edgar Allan Poe: Im Inneren des angeblichen Schachautomaten hatten stets Spieler aus Fleisch und Blut gehockt. Eine Mensch-Maschine
mit herzlich wenig Maschinenanteil.
Das Konzept des unbelebten Helfers ist uralt: Um 322 vor Christus erdenkt Aristoteles „Werkzeuge, die auf Befehl oder ganz von selbst die ihnen zugedachte Arbeit erledigen“. In vielen Mythologien tauchen derartige Automaten auf: Buddhas Tod soll mehrere Jahrhunderte vor Christus von Maschinenmenschen betrauert worden sein. Die alten Griechen berichten von Kriegern aus Bronze, Wachhunden aus Silber und Gold. König Salomon ließ sich von einer mechanischen
Taube Thora-Rollen reichen. Die tatsächliche Entwicklung auch einfachster automatischer Maschinen dauerte vermutlich erheblich länger. Im 12. Jahrhundert aber baute der islamische Universalgelehrte Al-Jazari neben mechanischen Puppen zum Anreichen von Getränken, Seife und Handtüchern auch „Roboter-Bands“, betrieben mit Wasserkraft und womöglich fähig zu verschiedenen Liedern. Als erste programmierbare Maschine gilt der Musterwebstuhl von Joseph Marie Jacquard, der 1801 mit Lochkarten beliebige Muster fabrizieren kann.
Das menschenähnliche Maschinenwesen wird ab 1900 mit dem „Zauberer von Oz“Teil der Popkultur. Dort tritt der „Blechmann“auf, ein ehemals menschlicher Holzfäller, der Stück für Stück zu einer Maschine gemacht wurde. 1920 erfindet der tschechische Autor Karel Capek den Begriff „Roboter“nach einem alten slawischen Begriff für Fronarbeit, wenig später wird mit „Metropolis“der erste fiktive Roboter zum Filmstar.
1939 erfindet Konrad Zuse den Computer, kurz darauf definiert der Science-Fiction-Pionier Isaac Asimov die drei Robotergesetze. Demnach sind sowohl die Ausführung von Befehlen als auch Selbstschutz sekundär: Das Wichtigste ist, dass nie Menschen zu Schaden kommen. Doch diese noble Roboterethik lässt sich kaum in Programmiersprache übersetzen, vom Interesse des Kunden daran ganz abgesehen.
Die Bewegungswunder von Boston Dynamics könnten damit nichts anfangen. Industrieroboter, die seit 1960 im Autobau eingesetzt werden, sind zu den dafür zu treffenden Abwägungen erst recht nicht in der Lage. Dasselbe gilt für die längst verbreiteten Helfer in Haus und Garten. Rasenmähroboter etwa können Kleintiere töten und auch menschlichen Fingern und Zehen gefährlich werden. Kurz gesagt: Roboter leisten auf vielen Gebieten Beeindruckendes, aber sie sind dumm. Noch.
Forscher weltweit arbeiten daran, das zu ändern. Doch der Traum von Künstlicher Intelligenz könnte zum Albtraum werden. Und enden wie in Stanley Kubricks „2001“. Dort erfährt ein Bordcomputer, dass er abgeschaltet werden soll, und verkündet höflich, dass er sich gezwungen sieht, die Besatzung des Raumschiffs zu töten: „Es tut mir leid, Dave. Das Gespräch hat keinen Zweck mehr. Es führt zu nichts. Leb wohl!“
Deshalb rufen moderne Roboter neben aller Begeisterung auch Furcht hervor, die beinahe den Rang einer Urangst einnimmt: Was, wenn unser technisierter Tanzbär eines Tages zum Terminator wird?
Noch stehen die meisten Roboter an Fließbändern, künftig sollen mobile Exemplare dem Menschen komplexe Aufgaben in gefährlichen Umgebungen abnehmen. Womöglich aber ist es nicht mehr lange hin bis zum Killer, der zunächst „nur“Terroristen oder feindliche Soldaten töten soll. Ab diesem Punkt würden wir die Geister, die wir riefen, nicht mehr los. Wird mächtige Software,
also quasi ein künstliches Gehirn, mit mächtiger Hardware wie etwa jener von Boston Dynamics verschmolzen, könnte das Ergebnis übermächtig sein.
Noch jede neue Technologie wurde vom Militär wenn nicht aktiv mitentwickelt, dann doch sofort übernommen, vom Steigbügel bis hin zum Flugzeug. Für hochentwickelte Roboter sind Armeen der naheliegendste Abnehmer. Boston Dynamics hat schon mehrfach mit dem US-Militär kooperiert – und trotz 500 Millionen Klicks auf seine Videos praktisch null wirtschaftlichen Erfolg vorzuweisen. In beinahe 30 Jahren wurde nur ein einziges Produkt auf den Markt gebracht; der hundeartige „Spot“(Basispreis: rund 60.000 Euro), dessen Nutzen überschaubar ist. Sowohl Google als auch der japanische Softbank-Konzern haben die Firma deshalb nach teuren Übernahmen wieder verkauft. Jüngst übernahm Autobauer Hyundai für etwa 880 Millionen Dollar die Mehrheit an Boston Dynamics. Firmengründer Marc Raibert sagt: „Mein langfristiges Ziel ist es, Roboter zu bauen, die können, was Menschen und Tiere können.“Mit dem Unterschied, dass Roboter niemals müde werden oder sich von ihrer Aufgabe abbringen lassen: In einer Folge der hochgelobten, dystopischen Serie „Black Mirror“jagen Roboterhunde, die nicht zufällig an „Spot“erinnern, erbarmungslos die letzten Menschen.
Womöglich entwickeln Roboter, die das Prädikat „intelligent“verdienen, bald Empfindungen, eine ganz eigene Ethik. Womöglich wäre eine Antipathie des Roboters gegen den Menschen sogar legitim, etwa wenn man die Maschinen zuvor zu Opfern von Gewalt- und Sexfantasien degradiert hat wie in der Serie „Westworld“. Garantiert steigt mit der Macht einer Technologie ihr Preis und auch das Potenzial zu ihrem Missbrauch. Der britische Autor David Langford hat scherzhaft seine eigene Version der Robotergesetze formuliert. Demnach müssen Roboter ihre eigene Existenz im Zweifel mit „tödlichen Anti-Personen-Waffen“schützen. Nicht weil sie so böse wären, sondern weil der Mensch des Menschen Wolf ist – und sein Roboter schlicht „verdammt teuer“. Wer weiß, wie lange wir darüber noch lachen können.