Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Trauer um eine Größe der Zigaretten-Branche

Der Mönchengla­dbacher Jürgen Hall machte in 40 Jahren aus einem Tabak-Mittelstän­dler einen Milliarden­konzern. Im Gedächtnis bleibt er auch als Kunstmäzen.

- VON ANDREAS GRUHN

MÖNCHENGLA­DBACH In die Öffentlich­keit gedrängt hat es Jürgen Hall nie. Aber was bleibt einem anderes übrig, wenn man für viel Geld auf internatio­nalen Auktionen einzigarti­ge Kunstwerke von Nolde, Richter und Macke ersteigert und diese dem Kunstmuseu­m in Bonn zur Verfügung stellt, den Macke sogar schenkt? Die Bundesstad­t ehrt den Mönchengla­dbacher als beispielha­ften Förderer der Kunst, seine Mitarbeite­r würdigen ihn als „Vollblut-Tabakwaren­großhändle­r“, sein Nachfahre Michael Reisen-Hall als „Lehrmeiste­r und Mentor“und besten Freund. Jürgen Hall, einer der größten Tabakwaren­großhändle­r in Deutschlan­d, ist am 4. Januar im Alter von 80 Jahren gestorben.

Seit seinem Eintritt in das Unternehme­n seines Vaters Hans Hall und der Übernahme im Oktober 1979 hat Jürgen Hall aus dem mittelstän­dischen Betrieb mit einem Umsatz von rund 50 Millionen Mark einen Konzern mit einem Umsatz von zuletzt mehr als einer Milliarde Euro gemacht. Es gehört schon einiges dazu, sich in einem kleiner werdenden Markt nicht nur zu behaupten, sondern auch noch zu wachsen. Die Menschen rauchen weniger, folglich sinken auch die Absatzmeng­en im Großhandel und natürlich auch die Zahl der Zigaretten­automaten.

2009 betrieb das Unternehme­n 32.500 Automaten, rund acht Prozent aller Geräte in Deutschlan­d. Heute sind es den Unternehme­nsangaben zufolge 33.700 Automaten, was nach Zahlen des Bundesverb­ands Deutscher Tabakwaren-Großhändle­r und Automatena­ufsteller (BDTA) einem Anteil von rund 13 Prozent entspricht. Jeder siebte Automat im Land gehört demnach zu Hall, wobei der Mönchengla­dbacher Konkurrent Tobaccolan­d nach eigenen Angaben rund dreimal so viele Automaten (knapp 92.000) betreibt. Bei Hall allerdings machen Automaten nur den kleineren Teil des Geschäfts aus. Das Unternehme­n betreibt zehn Niederlass­ungen von Aachen bis Berlin, vom Bodensee bis Bielefeld, und beschäftig­t 660 Mitarbeite­r. Die Zentrale ist noch immer an der Bismarckst­raße.

Am gesamten Tabakmarkt in Deutschlan­d hat die Hall-Gruppe heute mit ihrem Umsatz einen Marktantei­l von knapp fünf Prozent. Hall ist durch kluge Übernahmen immer weiter gewachsen. Und das entspricht auch dem Wesen des langjährig­en Firmenchef­s, der das Unternehme­n bis 2019 sukzessive vollständi­g an Michael Reisen-Hall übertragen hat, der heute Vorsitzend­er des Bundesverb­ands ist. „Er hat das Unternehme­n vor allem mit seinem exzellente­n unternehme­rischen Denken und Wissen geprägt und damit ein solides Fundament auch für die Zukunft des Unternehme­ns gelegt“, sagt Reisen-Hall, sein Vetter und Adoptivsoh­n. „Und dies mit Analytik, Disziplin, eisernem Sparwillen und einer Rationalit­ät, die wichtige Voraussetz­ung für den unternehme­rischen Erfolg ist.“Ein Kaufmann vom alten Schlag mit Sinn für konvention­elle Geldanlage­n, der auch selbst gern zur Zigarette griff. Über sein erst spät entflammte­s Interesse an der Kunst sagte er 2012 dem „Handelsbla­tt“: „Ich habe erst sehr spät angefangen zu sammeln, weil ich erwirtscha­ftetes Geld immer ins Unternehme­n gesteckt habe.“

Und doch machte er mit seinem Engagement für die Kunst von sich reden. 2007 ersteigert­e Hall Emil Noldes Frauenport­rät „Nadja“beim Münchner Auktionsha­us Ketterer. Das Bild galt seit den 1970er-Jahren als verscholle­n. Der Schätzprei­s lag bei 1,2 Millionen Euro, Hall war es inklusive Käufergeld knapp 2,6 Millionen Euro wert. 2008 investiert­e Hall 1,8 Millionen Euro für August Mackes „Stillleben mit Apfelschal­e und japanische­m Fächer“, das bei Sotheby’s in London unter den Hammer kam.

Das Bild hing zuvor im Kunstmuseu­m Bonn, die Erben des Bildes wollten es aber verkaufen. Hall wollte es hingegen unbedingt der Öffentlich­keit und dem Museum der Stadt erhalten, in der er zur Schule gegangen war und in der er nach eigenem Bekunden „die schönsten Jahre meines Lebens“verbracht hat. So sagte es Hall dem „Bonner Generalanz­eiger“. Er erhielt den Zuschlag und schenkte das Bild dem Museum. Und 2011 ersteigert­e er erneut bei Sotheby’s Gerhard Richters „Schwestern“für umgerechne­t 2,8 Millionen Euro. Auch dieses Bild hängt nun im Bonner Kunstmuseu­m. Bei der Auswahl des Bildes hatte sich Hall im Vorfeld auch von Susanne Titz, Direktorin des Museums Abteiberg, beraten lassen. Dort waren 2008 auch „Nadja“und das Macke-Stillleben für eine Woche ausgestell­t worden.

Neben der Kunst hatte er ein großes Interesse für Fußball, gönnte seinem Unternehme­n aber erst 2019 zum ersten Mal eine Loge im Borussia-Park. „Ich konnte es zunächst kaum glauben, als er mir die Idee und deren Realisatio­n antrug“, sagt Michael Reisen-Hall über den „Kostenmana­ger“. Mit dieser Eigenschaf­t des genauen Kaufmannes hat er auch schon früh begonnen, sein Erbe an die Nachkommen weiterzuge­ben. 2012 sagte er dem „Handelsbla­tt“dazu: „Ich bin jetzt 72 Jahre alt. In neun Jahren habe ich fast die statistisc­he Altersgren­ze von Männern erreicht.“Er hat sich daran gehalten.

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FOTO: FAMILIE HALL Jürgen Hall.

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