Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Trauer um eine Größe der Zigaretten-Branche
Der Mönchengladbacher Jürgen Hall machte in 40 Jahren aus einem Tabak-Mittelständler einen Milliardenkonzern. Im Gedächtnis bleibt er auch als Kunstmäzen.
MÖNCHENGLADBACH In die Öffentlichkeit gedrängt hat es Jürgen Hall nie. Aber was bleibt einem anderes übrig, wenn man für viel Geld auf internationalen Auktionen einzigartige Kunstwerke von Nolde, Richter und Macke ersteigert und diese dem Kunstmuseum in Bonn zur Verfügung stellt, den Macke sogar schenkt? Die Bundesstadt ehrt den Mönchengladbacher als beispielhaften Förderer der Kunst, seine Mitarbeiter würdigen ihn als „Vollblut-Tabakwarengroßhändler“, sein Nachfahre Michael Reisen-Hall als „Lehrmeister und Mentor“und besten Freund. Jürgen Hall, einer der größten Tabakwarengroßhändler in Deutschland, ist am 4. Januar im Alter von 80 Jahren gestorben.
Seit seinem Eintritt in das Unternehmen seines Vaters Hans Hall und der Übernahme im Oktober 1979 hat Jürgen Hall aus dem mittelständischen Betrieb mit einem Umsatz von rund 50 Millionen Mark einen Konzern mit einem Umsatz von zuletzt mehr als einer Milliarde Euro gemacht. Es gehört schon einiges dazu, sich in einem kleiner werdenden Markt nicht nur zu behaupten, sondern auch noch zu wachsen. Die Menschen rauchen weniger, folglich sinken auch die Absatzmengen im Großhandel und natürlich auch die Zahl der Zigarettenautomaten.
2009 betrieb das Unternehmen 32.500 Automaten, rund acht Prozent aller Geräte in Deutschland. Heute sind es den Unternehmensangaben zufolge 33.700 Automaten, was nach Zahlen des Bundesverbands Deutscher Tabakwaren-Großhändler und Automatenaufsteller (BDTA) einem Anteil von rund 13 Prozent entspricht. Jeder siebte Automat im Land gehört demnach zu Hall, wobei der Mönchengladbacher Konkurrent Tobaccoland nach eigenen Angaben rund dreimal so viele Automaten (knapp 92.000) betreibt. Bei Hall allerdings machen Automaten nur den kleineren Teil des Geschäfts aus. Das Unternehmen betreibt zehn Niederlassungen von Aachen bis Berlin, vom Bodensee bis Bielefeld, und beschäftigt 660 Mitarbeiter. Die Zentrale ist noch immer an der Bismarckstraße.
Am gesamten Tabakmarkt in Deutschland hat die Hall-Gruppe heute mit ihrem Umsatz einen Marktanteil von knapp fünf Prozent. Hall ist durch kluge Übernahmen immer weiter gewachsen. Und das entspricht auch dem Wesen des langjährigen Firmenchefs, der das Unternehmen bis 2019 sukzessive vollständig an Michael Reisen-Hall übertragen hat, der heute Vorsitzender des Bundesverbands ist. „Er hat das Unternehmen vor allem mit seinem exzellenten unternehmerischen Denken und Wissen geprägt und damit ein solides Fundament auch für die Zukunft des Unternehmens gelegt“, sagt Reisen-Hall, sein Vetter und Adoptivsohn. „Und dies mit Analytik, Disziplin, eisernem Sparwillen und einer Rationalität, die wichtige Voraussetzung für den unternehmerischen Erfolg ist.“Ein Kaufmann vom alten Schlag mit Sinn für konventionelle Geldanlagen, der auch selbst gern zur Zigarette griff. Über sein erst spät entflammtes Interesse an der Kunst sagte er 2012 dem „Handelsblatt“: „Ich habe erst sehr spät angefangen zu sammeln, weil ich erwirtschaftetes Geld immer ins Unternehmen gesteckt habe.“
Und doch machte er mit seinem Engagement für die Kunst von sich reden. 2007 ersteigerte Hall Emil Noldes Frauenporträt „Nadja“beim Münchner Auktionshaus Ketterer. Das Bild galt seit den 1970er-Jahren als verschollen. Der Schätzpreis lag bei 1,2 Millionen Euro, Hall war es inklusive Käufergeld knapp 2,6 Millionen Euro wert. 2008 investierte Hall 1,8 Millionen Euro für August Mackes „Stillleben mit Apfelschale und japanischem Fächer“, das bei Sotheby’s in London unter den Hammer kam.
Das Bild hing zuvor im Kunstmuseum Bonn, die Erben des Bildes wollten es aber verkaufen. Hall wollte es hingegen unbedingt der Öffentlichkeit und dem Museum der Stadt erhalten, in der er zur Schule gegangen war und in der er nach eigenem Bekunden „die schönsten Jahre meines Lebens“verbracht hat. So sagte es Hall dem „Bonner Generalanzeiger“. Er erhielt den Zuschlag und schenkte das Bild dem Museum. Und 2011 ersteigerte er erneut bei Sotheby’s Gerhard Richters „Schwestern“für umgerechnet 2,8 Millionen Euro. Auch dieses Bild hängt nun im Bonner Kunstmuseum. Bei der Auswahl des Bildes hatte sich Hall im Vorfeld auch von Susanne Titz, Direktorin des Museums Abteiberg, beraten lassen. Dort waren 2008 auch „Nadja“und das Macke-Stillleben für eine Woche ausgestellt worden.
Neben der Kunst hatte er ein großes Interesse für Fußball, gönnte seinem Unternehmen aber erst 2019 zum ersten Mal eine Loge im Borussia-Park. „Ich konnte es zunächst kaum glauben, als er mir die Idee und deren Realisation antrug“, sagt Michael Reisen-Hall über den „Kostenmanager“. Mit dieser Eigenschaft des genauen Kaufmannes hat er auch schon früh begonnen, sein Erbe an die Nachkommen weiterzugeben. 2012 sagte er dem „Handelsblatt“dazu: „Ich bin jetzt 72 Jahre alt. In neun Jahren habe ich fast die statistische Altersgrenze von Männern erreicht.“Er hat sich daran gehalten.