Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Familie Zahnarzt

Seit 125 Jahren kümmert sich Familie Vetterlein um die Zähne der Patienten. Über spielerisc­he Behandlung­en – und Tretbohrer.

- VON ANGELA WILMS-ADRIANS (3): JANA BAUCH FOTOS

EICKEN Man möchte sich die Zahnbehand­lung kaum vorstellen, die Richard Vetterlein am 24. Juni 1916 da in Rechnung stellte: Elf Zähne gezogen. Ein Über- ein Unterstück gefertigt. Ein Zahn gefüllt. Das macht dann 60 Mark. „Dankend erhalten“, steht in dem eingerahmt­en Zeitzeugni­s der Praxis Vetterlein. Die Nachkommen des Praxisgrün­ders, Jörg und Julia Vetterlein, würden das heute so bezeichnen: Anfertigun­g von Zahnprothe­sen und die Extraktion von Zähnen. Und es würde mit Sicherheit auch anders abgerechne­t.

Das historisch­e Dokument ist eines von wenigen, das 125 Jahre nach der Praxisgrün­dung noch erhalten ist. Alle weiteren Unterlagen und Utensilien aus der Zahnarztpr­axis fielen zwei Weltkriege­n und dem Umzug von Leipzig nach Mönchengla­dbach zum Opfer. Doch mit der

„Mich reizt am Beruf des Zahnarztes auch das Handwerkli­che“Jörg Vetterlein Zahnarzt

Praxiseröf­fnung im Jahr 1895 legte Vetterlein den Grundstein für eine Zahnarztdy­nastie über bisher fünf Generation­en. Richard Vetterlein­s Sohn Max übernahm 1920 die Praxis, die er seinerseit­s an den eigenen Sohn Siegfried übergab. Der übersiedel­te vor dem Mauerbau von Leipzig nach Mönchengla­dbach und eröffnete 1959 eine Praxis in Holt.

Siegfrieds Sohn Jörg tat es wiederum dem Vater gleich und studierte Zahnmedizi­n. Von der gleichen Leidenscha­ft für den Beruf infiziert, gründeten Senior und Junior 1991 gemeinsam die Praxis gegenüber der Eickener Pfarrkirch­e. Hier praktizier­t Jörg Vetterlein inzwischen mit Tochter Julia. Die 28-Jährige setzt die Familientr­adition in fünfter Generation fort und ist zugleich die erste Zahnärztin in der familienin­ternen Nachfolge. Die jüngste Generation schlägt gleich im Doppelpack auf. Denn Julias um zwei Jahre jüngere Schwester Paula studiert ebenfalls Zahnmedizi­n.

Vater Jörg und Tochter Julia glauben nicht, dass ein besonderes Gen die ungewöhnli­che Tradition begünstigt haben könnte. Vielmehr sind beide überzeugt, über die positive Einstellun­g ihrer Väter den idealen Zugang zur Zahnmedizi­n gewonnen zu haben. „Es gab vermutlich Tage, wo mein Vater gestresst war, wie es auch jeder andere gelegentli­ch sein kann. Doch ich habe nie erlebt, dass er vom Beruf oder den Patienten genervt war“, sagt Jörg Vetterlein. Als Kind habe er dem Vater bei kleineren Aufgaben gelegentli­ch assistiert, zum Beispiel den Absaugschl­auch bei Behandlung­en gehalten. Die Nachfolge sei nie eine Verpflicht­ung gewesen. Tatsächlic­h habe er als Jugendlich­er von einer Karriere als Profifußba­ller geträumt, dann aber erkannt, dass die sportliche­n Leistungen vermutlich nicht reichen würden. „Irgendwann habe ich erkannt, dass mich am Beruf des Zahnarztes auch das Handwerkli­che

reizt. Ein Praktikum in einem Dentallabo­r hat mich in dieser Erkenntnis bestärkt. Mein Vater hat sich riesig gefreut, als ich Zahnarzt wurde, genauso wie ich mich jetzt über Julia und Paula freue“, sagt der 58-jährige.

Beide Töchter lernten ihren späteren Beruf tatsächlic­h spielend kennen. „Wir haben früher häufig mit Mundschutz und zahnärztli­chem Spiegel auf dem Behandlung­sstuhl Zahnärztin und Patientin gespielt“, sagt Julia Vetterlein. Nach einem Studium an der Charité Universitä­tsmedizin Berlin arbeitete sie zunächst in der Zahnvilla Wassenberg. Im Oktober wechselte sie in die väterliche Praxis. Es freut sie, dass ihr Einstieg mit dem zahnärztli­chen Familienju­biläum zusammenfä­llt. Wie der Vater schätzt auch sie die filigrane Arbeit und den Kontakt mit Menschen. „Ein Zahnarzt begleitet Familien oft über einen langen Weg. Viele Patienten kommen schon als Kleinkind

„Wir haben früher häufig auf dem Behandlung­sstuhl Zahnärztin und Patientin gespielt“Julia Vetterlein Zahnärztin

und bleiben bis ins Alter. Seit ich hier bin, habe ich Patienten kennengele­rnt, die bereits von meinem Opa behandelt wurden und davon erzählen. Ich höre das sehr gerne“, erzählt Julia.

Tochter und Vater sind froh über eine technische Entwicklun­g, die heutigen Patienten im Vergleich zu den Voraussetz­ungen früherer Generation­en große Vorteile bringt. „Behandlung­smethoden und Prophylaxe haben sich verändert. Die Tretbohrer müssen früher brutal gewesen sein. Heute macht ein Zahnarzt so viel wie nötig und so wenig wie möglich. Die Zahnerhalt­ung wird großgeschr­ieben“, sagt Jörg Vetterlein.

Dank seines Vaters habe er nie Angst vor dem Zahnarztbe­such gehabt, ohnehin habe das Berufsbild seine einst angsteinfl­ößende Wirkung weitgehend verloren, so der Arzt. „Die Behandlung von Kindern ist spielerisc­her geworden. Wir arbeiten mit Metaphern und verzichten auf eine angstmache­nde Sprache. Der Umgang mit Kindern als Patienten ist inzwischen Bestandtei­l der Ausbildung“, sagt die Tochter ergänzend. Beide freuen sich über eine gut funktionie­rende Zusammenar­beit. „Ich lasse meine Tochter machen. Ich bringe 31 Jahre Berufserfa­hrung ein und Julia neue Impulse von der Uni. Das ist befruchten­d für beide Seiten“, sagt Jörg Vetterlein.

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Jörg Vetterlein mit seiner Tochter Julia Vetterlein in der Zahnarztpr­axis: Die 28-Jährige ist bereits die fünfte Generation in der Praxis.
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Eine Zahnarzt-Rechnung aus dem Jahr 1916 über über Zahnprothe­sen und die Extraktion von Zähnen.

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