Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
„Vandalismus ist meistens eine Provokation“
Herbert Busch, Experte für Weltanschauungsfragen aus Wegberg, spricht über mögliche Motive von Zerstörungswut.
WEGBERG Immer wieder kommt es zu Vandalismus und Sachbeschädigung an öffentlichen Gebäuden oder auch in und um Kirchen. In Wegberg hat dies beispielsweise dazu geführt, dass das Schulzentrum eingezäunt wurde, um weitere Zerstörungen zu vermeiden. Auch sakrale Symbole wurden bereits des Öfteren beschädigt. Was die Motive hinter solchen Sachbeschädigungen sind und wie ernst man solche Vorfälle nehmen sollte, darüber spricht Herbert Busch, Vorsitzender der „Unabhängigen Fachgruppe Weltanschauungen“(UFW ). Die Arbeitsgruppe setzt sich multiprofessionell mit Fundamentalismus unterschiedlicher Genese, Radikalisierungen sowie Verschwörungstheorien auseinander.
Herr Busch, was sind mögliche Motive von Vandalismus?
HERBERT BUSCH Solche Sachbeschädigungen sind kein Einzelfall, dahinter steckt eine Haltung, um nicht zu sagen eine Weltanschauung. Es zeigt, wie sich der Täter selbst sieht, in Bezug auf andere sowie im gesamtgesellschaftlichen Kontext. Wenn sakrale Gegenstände, wie eine Kapelle oder ein Wegekreuz, beschädigt werden oder säkularer, eine Bushaltestelle, geht das über eine reine Sachbeschädigung hinaus. Zum einen zeigt eine solche
Tat das Verhältnis zum Eigentum anderer, zum anderen eine bedenkliche Form der Zerstörungswut. Ich warne vor einer Fehlinterpretation solcher Ereignisse. Satanistische Symbole oder Hakenkreuze, die an Wände geschmiert werden, sind in den seltensten Fällen Symbol einer rechtsradikalen Kaderorganisation oder eine Form des echten Satanismus. Diese weisen eine andere Funktionslogik auf. Es handelt sich zumeist um eine vandalische Provokation.
Warum wird zerstört, was anderen Menschen gehört und vor allem, was ihnen wichtig ist? Worauf gründet diese Zerstörungswut?
BUSCH Mit solchen Taten soll Aufmerksamkeit erregt werden, selbst wenn es eine negative Form der Aufmerksamkeit ist. Die Täter sind oft junge Erwachsene, die wütend sind und sich ausgeschlossen und ungerecht behandelt fühlen. Ich war während meiner sozialpädagogischen Laufbahn einige Jahre in einem Heim tätig. Dort erzählte mir ein Jugendlicher: „Eigentlich wollte ich nur geliebt werden, dann wollte ich Aufmerksamkeit erregen und als das auch nicht funktioniert hat, wollte ich, dass die Leute Angst vor mir haben“. Das zeigt, dass wir uns die Ursache solcher Taten anschauen müssen, denn Vandalismus und Gewalt sind nur das Symptom. Es ist ein Ruf danach, wahrgenommen und beachtet zu werden.
Welche Ursachen können solche Handlungen haben?
BUSCH „Broken-home“-Situationen, traumatische Erfahrungen oder das Herkunftsmilieu spielen eine Rolle. Bestimmte Milieus bergen mehr Risiken für eine problematische Persönlichkeitsentwicklung als andere. Hier braucht es Fachpersonal, das die Spielregeln des jeweiligen Milieus kennt.
Ist hier mehr präventive Arbeit im Bereich des Jugendschutzes notwendig?
BUSCH Wir brauchen mehr Orte, an denen sich in der Krise befindliche Jugendliche zusammenkommen können. Viele Träger haben sich in den letzten Jahren aus dieser Arbeit zurückgezogen. Solche Treffpunkte können Halt und Orientierung geben, die sonst die Peergroup, also die Bezugsgruppe, bietet. Oft ist es aber Zufall, an welche Peergroup die Jugendlichen geraten. Diese Clique kann großen Druck aufbauen. Wir brauchen daher mehr offene Jugendarbeit, Beratungslehrer und Streetworker, die Kontakt zu den Jugendlichen haben, bei Problemen helfen, aber zugleich Grenzen setzen. Prävention sowie ebenso die Präsenz von Ordnungsbehörden ist wichtig. Jedoch braucht es auch
andere, aufmerksame Menschen im Umfeld der Jugendlichen, die bei der Selbst- und Wertefindung unterstützen.
Sind solche Entwicklungen auf gesamtgesellschaftliche Veränderungen zurückzuführen?
BUSCH Es ist eine Entsolidarisierung unserer Gesellschaft zu beobachten. Insbesondere an den Rändern der Gesellschaft, gleichsam oben wie unten. Unser gemeinsamer Wertekanon, unser „common sense“, schrumpft. Der Anteil derer wächst, die abgekoppelt von der Gesellschaft sind, weniger teilhaben und nicht mehr gemeinsam Verantwortung übernehmen wollen. Wir sind weniger miteinander im Gespräch, gleichzeitig aber egoistischer und damit weniger solidarisch.
Wodurch werden solche Entwicklungen möglicherweise verstärkt?
BUSCH Die sozialen Netzwerke verstärken die Entstehung von Filterblasen oder Echokammern: Man nimmt nur noch wahr, was im eigenen Horizont passiert. Peergroups bestärken in diesem Rahmen solche Taten. Das sind die Bushaltestellen im Netz.
KATHARINA GILLESSEN STELLTE DIE FRAGEN