Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Wo das Rind zu Hause ist
Im April haben die Kühe von Familie Vennedey ihr neues Heim im offenen Laufstall bei Hetzerath bezogen. Die Landwirte geben einen beispielhaften Einblick in die Arbeit eines modernen Milchbetriebs.
ERKELENZ Der landwirtschaftliche Betrieb der Familie Vennedey aus dem Erkelenzer Ortsteil Hetzerath läuft seit dem vergangenen April unter modernsten Standards. Der neu gebaute und offene Laufstall bietet den Kühen nicht nur viel Platz und Bewegungsfreiheit, die Tiere sind zudem absolut unabhängig und können selbst entschieden, wann sie fressen, schlafen oder gemolken werden wollen.
„Etwa 90 Prozent unserer Tiere machen das sehr routiniert“, sagt Toni Vennedey. Manche müsse man noch ermahnen, an den Melkroboter zu gehen, weil sie noch an den 12-Stunden-Rhythmus aus dem alten Stall gewohnt seien. „Insgesamt müssen wir aber sagen, dass unsere Kühe sich fast schneller an das neue System gewöhnt haben als wir“, erzählt er lachend und beschreibt die Situation.
Jede Kuh im modernen Stall hat ihre eigene große Liegebox mit Strohmatratze. Der Stall ist eingeteilt in gemolkene Kühe und trockenstehende Kühe, also Tiere, die vor der Entbindung stehen und in diesem Zeitraum nicht gemolken werden. In dieser Form – offen und mit viel Platz – werden neue Ställe seit etwa zehn bis 15 Jahren gebaut und richten sich damit nach aktuellen Tierwohlkriterien.
Der Stall der Kühe ist videoüberwacht, zudem werden über einen Sensor am Halsband sowie den Melkroboter Körpertemperatur, Milchqualität, Bewegungsaktivität und Wiederkauaktivität der Kühe gemessen. „Die Technik ist schon faszinierend, aber ich verlasse mich trotzdem gerne noch auf mein eigenes Auge und nicht ausschließlich auf die Daten. Dennoch kann mittels des Senders ziemlich treffsicher ermittelt werden, ob eine Kuh jetzt beispielsweise krank oder bullig ist“, erklärt der Hetzerather Toni Vennedey.
Beim Besuch im Stall ist schnell klar, was für die Tiere eines der Highlights ist: Die automatische Massagebürste steht kaum still. Zudem sind die Kühe so schlau, dass sie hören können, wenn die Bürsten langsamer rotieren und der Bürstengang
der Vorgängerin vorbei ist – meist steht die nächste „Kundin“schon parat. Das Gleiche gilt für das automatische Melksystem.
Melkroboter, wenn auch teurer in der Erstanschaffung, sind in deutschen Milchviehbetrieben schon lange keine Seltenheit mehr. Die ersten vereinzelten Modelle wurden schon vor fast drei Jahrzehnten
genutzt, heute ist der Einsatz der Roboter bei Neubauten dieser Größenordnung fast Standard. Die automatischen Melksysteme sind das übliche Pendant zum Melkstand, an dem die Landwirte die Tiere zweimal am Tag melken. „Wir haben bei der Planung des neuen Stalls wirklich lange überlegt, für welche Option wir uns entscheiden“, erinnert sich Lydia Vennedey. Dadurch, dass die Kühe selbstständig entscheiden können, wann sie gemolken werden wollen, gewinnen die Bauern Zeit, in der sie sich anderweitig um das Wohl der Tiere kümmern können. „Das ist schon eine Arbeitserleichterung. Auf der anderen Seite kann die Technik schon mal mucken oder ausfallen, und es kostet auch Zeit, sich mithilfe der Spezialisten vom Hersteller darum zu kümmern“, sagte der staatlich geprüfte Agrarbetriebswirt Niklas Vennedey, der den Betrieb der Eltern bald vollends übernehmen wird.
Bisher noch außergewöhnlich ist der direkt an den Stall angeschlossene Außenauslauf mit Blick auf Haus Hohenbusch, den die Vennedeyschen Kühe genießen. „Der Auslauf in dieser Form ist zwar im Kommen, aber bisher noch nicht weit verbreitet“, erklärt Toni Vennedey. Die Baukosten seien zwar allein dadurch um etwa zehn Prozent gestiegen, trotzdem sei es der Familie wichtig gewesen, den Auslauf für das Wohl der Kühe zu integrieren, obwohl sie dadurch für ihre Produkte nicht mehr Geld bekommen. Auf den neuen Auslauf seien die Vennedeys auch schon von Spaziergängern angesprochen worden: „Der Tenor war bisher durchweg positiv. Ich denke, das ist auch wichtig – dass die Leute die Beziehung zum Bauern und zum Tier nicht verlieren. Es stimmt mich traurig, dass das heute oft untergeht, schließlich sollte man wissen, wo sein Essen herkommt“, führt Toni Vennedey aus.
Er merke, dass es den Tieren mit den neuen Verhältnissen noch besser ginge als zuvor. „Das liegt uns am Herzen. Die meisten unserer Tiere haben wir selbst großgezogen, da besteht eine lebenslange Bindung. Wenn eine Kuh kränkelt, bin ich jedes Mal auch ein bisschen krank“, erzählte Vennedey. „Letztendlich ist das aber bei allen Kollegen genauso. Die arbeiten nach denselben Standards und haben immer das Wohl ihrer Tiere im Blick. Man kann leichter Geld verdienen als mit der Milchviehhaltung – wer sich dafür entscheidet, tut das aus Überzeugung.“