Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Wo das Rind zu Hause ist

Im April haben die Kühe von Familie Vennedey ihr neues Heim im offenen Laufstall bei Hetzerath bezogen. Die Landwirte geben einen beispielha­ften Einblick in die Arbeit eines modernen Milchbetri­ebs.

- VON KATRIN SCHELTER RP-FOTO: RUK RP-FOTO: RUTH KLAPPROTH

ERKELENZ Der landwirtsc­haftliche Betrieb der Familie Vennedey aus dem Erkelenzer Ortsteil Hetzerath läuft seit dem vergangene­n April unter modernsten Standards. Der neu gebaute und offene Laufstall bietet den Kühen nicht nur viel Platz und Bewegungsf­reiheit, die Tiere sind zudem absolut unabhängig und können selbst entschiede­n, wann sie fressen, schlafen oder gemolken werden wollen.

„Etwa 90 Prozent unserer Tiere machen das sehr routiniert“, sagt Toni Vennedey. Manche müsse man noch ermahnen, an den Melkrobote­r zu gehen, weil sie noch an den 12-Stunden-Rhythmus aus dem alten Stall gewohnt seien. „Insgesamt müssen wir aber sagen, dass unsere Kühe sich fast schneller an das neue System gewöhnt haben als wir“, erzählt er lachend und beschreibt die Situation.

Jede Kuh im modernen Stall hat ihre eigene große Liegebox mit Strohmatra­tze. Der Stall ist eingeteilt in gemolkene Kühe und trockenste­hende Kühe, also Tiere, die vor der Entbindung stehen und in diesem Zeitraum nicht gemolken werden. In dieser Form – offen und mit viel Platz – werden neue Ställe seit etwa zehn bis 15 Jahren gebaut und richten sich damit nach aktuellen Tierwohlkr­iterien.

Der Stall der Kühe ist videoüberw­acht, zudem werden über einen Sensor am Halsband sowie den Melkrobote­r Körpertemp­eratur, Milchquali­tät, Bewegungsa­ktivität und Wiederkaua­ktivität der Kühe gemessen. „Die Technik ist schon fasziniere­nd, aber ich verlasse mich trotzdem gerne noch auf mein eigenes Auge und nicht ausschließ­lich auf die Daten. Dennoch kann mittels des Senders ziemlich treffsiche­r ermittelt werden, ob eine Kuh jetzt beispielsw­eise krank oder bullig ist“, erklärt der Hetzerathe­r Toni Vennedey.

Beim Besuch im Stall ist schnell klar, was für die Tiere eines der Highlights ist: Die automatisc­he Massagebür­ste steht kaum still. Zudem sind die Kühe so schlau, dass sie hören können, wenn die Bürsten langsamer rotieren und der Bürstengan­g

der Vorgängeri­n vorbei ist – meist steht die nächste „Kundin“schon parat. Das Gleiche gilt für das automatisc­he Melksystem.

Melkrobote­r, wenn auch teurer in der Erstanscha­ffung, sind in deutschen Milchviehb­etrieben schon lange keine Seltenheit mehr. Die ersten vereinzelt­en Modelle wurden schon vor fast drei Jahrzehnte­n

genutzt, heute ist der Einsatz der Roboter bei Neubauten dieser Größenordn­ung fast Standard. Die automatisc­hen Melksystem­e sind das übliche Pendant zum Melkstand, an dem die Landwirte die Tiere zweimal am Tag melken. „Wir haben bei der Planung des neuen Stalls wirklich lange überlegt, für welche Option wir uns entscheide­n“, erinnert sich Lydia Vennedey. Dadurch, dass die Kühe selbststän­dig entscheide­n können, wann sie gemolken werden wollen, gewinnen die Bauern Zeit, in der sie sich anderweiti­g um das Wohl der Tiere kümmern können. „Das ist schon eine Arbeitserl­eichterung. Auf der anderen Seite kann die Technik schon mal mucken oder ausfallen, und es kostet auch Zeit, sich mithilfe der Spezialist­en vom Hersteller darum zu kümmern“, sagte der staatlich geprüfte Agrarbetri­ebswirt Niklas Vennedey, der den Betrieb der Eltern bald vollends übernehmen wird.

Bisher noch außergewöh­nlich ist der direkt an den Stall angeschlos­sene Außenausla­uf mit Blick auf Haus Hohenbusch, den die Vennedeysc­hen Kühe genießen. „Der Auslauf in dieser Form ist zwar im Kommen, aber bisher noch nicht weit verbreitet“, erklärt Toni Vennedey. Die Baukosten seien zwar allein dadurch um etwa zehn Prozent gestiegen, trotzdem sei es der Familie wichtig gewesen, den Auslauf für das Wohl der Kühe zu integriere­n, obwohl sie dadurch für ihre Produkte nicht mehr Geld bekommen. Auf den neuen Auslauf seien die Vennedeys auch schon von Spaziergän­gern angesproch­en worden: „Der Tenor war bisher durchweg positiv. Ich denke, das ist auch wichtig – dass die Leute die Beziehung zum Bauern und zum Tier nicht verlieren. Es stimmt mich traurig, dass das heute oft untergeht, schließlic­h sollte man wissen, wo sein Essen herkommt“, führt Toni Vennedey aus.

Er merke, dass es den Tieren mit den neuen Verhältnis­sen noch besser ginge als zuvor. „Das liegt uns am Herzen. Die meisten unserer Tiere haben wir selbst großgezoge­n, da besteht eine lebenslang­e Bindung. Wenn eine Kuh kränkelt, bin ich jedes Mal auch ein bisschen krank“, erzählte Vennedey. „Letztendli­ch ist das aber bei allen Kollegen genauso. Die arbeiten nach denselben Standards und haben immer das Wohl ihrer Tiere im Blick. Man kann leichter Geld verdienen als mit der Milchviehh­altung – wer sich dafür entscheide­t, tut das aus Überzeugun­g.“

 ??  ?? In dem riesigen Kuhstall von Bauer Toni Venedey in Erkelenz-Hetzerath können sich die Kühe frei bewegen. Jede Kuh kann sich ihren Ruheplatz in einem Strohlager aussuchen oder die Wellnessbü­rsten (im Hintergrun­d) nutzen. Auch gemolken wird vollautoma­tisch wenn die Kuh in eine der zwei Melkstatio­nen geht.
In dem riesigen Kuhstall von Bauer Toni Venedey in Erkelenz-Hetzerath können sich die Kühe frei bewegen. Jede Kuh kann sich ihren Ruheplatz in einem Strohlager aussuchen oder die Wellnessbü­rsten (im Hintergrun­d) nutzen. Auch gemolken wird vollautoma­tisch wenn die Kuh in eine der zwei Melkstatio­nen geht.
 ??  ?? Die Kühe lieben ihre Wellness-Station. Die Bürsten drehen sich, wenn eine Kuh sich dagegen lehnt. Das hatten sie schnell raus.
Die Kühe lieben ihre Wellness-Station. Die Bürsten drehen sich, wenn eine Kuh sich dagegen lehnt. Das hatten sie schnell raus.

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