Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Wenn die Digitalisierung am Drucker endet
Viele Eltern sind gerade mit einer besonderen Aufgabe beschäftigt: Sie müssen im Lockdown ihre Kinder zu Hause unterrichten. So geht es auch Jörg Boecker. Der Moderator ist deshalb vor allem eins: ein Vater, der in Papierbergen versinkt. Regelmäßig wird e
Hurra, es ist soweit! Endlich darf ich wieder Lehrer, Vater und Systemadministrator in einem sein. Denn was sich lange angebahnt hatte, ist seit wenigen Tagen wieder Realität: Die Schulen sind coronabedingt geschlossen und die Kinder müssen online unterrichtet werden, wie es so schön heißt. In unserem Fall bedeutet das: Den beiden Zwillingen zu Hause das beizubringen, was sie sonst von Profis in der Schule gelernt hätten. Aber Sicherheit geht vor. Abstand auch. Hilfs-Pädagoge Jörg meldet sich zum Dienst!
Aber was soll schon schief laufen? Es ist ja nicht der erste Lockdown. Nicht die erste Schulschließung. Homeschooling – kennen wir doch noch bestens vom Frühjahr 2020. Aber je länger ich daran zurückdenke, desto mulmiger wird das Gefühl in meinem Bauch.
Dieses Mal wird’s bestimmt viel besser, denke ich noch, als es sich abzeichnet. Denn Regierung, Länder und Schulen haben garantiert aus den Erfahrungen von damals gelernt und alles besser gemacht. Wird die Generation Handy jetzt alles am Smartphone machen? Brauchen wir nur ein paar neue Apps? Werden die Kids jetzt alle Aufgaben am Rechner lösen können? Coole Online-Tutorials und multimediale Schulstunden? Ich bin so auf den Fortschritt gespannt …
Dann der Abend vor dem ersten Unterricht: Ich setze mich an den Rechner, gehe auf das Online-Portal
der Schule und bin beeindruckt. Lernmaterial, Hausaufgaben und ergänzende Informationen – fast alles da. Als PDF-Datei ... Gab es die nicht schon in den 1990ern? Egal! Ich lade alles runter – und dann … ist Schluss mit digital.
Denn fast jede Datei muss wieder ausgedruckt werden. Gefühlt 100 Blatt Papier, auf 20 Stapeln. Der Drucker steht nicht mehr still. Nach fünf Minuten fordert er bereits Papiernachschub. Wird die Druckerpatrone halten? Digitale Schulwelt im Jahr 2021!
Rechner und Drucker glühen noch. Die Internetverbindung hat alles gegeben. Und so liegen jetzt vor mir, ganz ordentlich sortiert, sämtliche Aufgaben und Lernanweisungen für Englisch, Deutsch, Mathe, Bio, Kunst, Religion und sogar Sport. Dazu mehrere Termine für Video-Unterricht und eine Anweisung, wie das Ganze nun funktioniert.
Das ist er also – der Fortschritt in der Digitalisierung unserer Schulen. Papier und E-Mails! Wow! Wer hätte das gedacht? Ich nicht. Innerlich flippe ich aus vor Freude, aber seltsamerweise merkt mir das niemand an. Ist ja auch ironisch gemeint. Den Kindern geht es ähnlich. Als sie den Berg Arbeit sehen, ist Schluss mit Begeisterung. Verständnis für den Unterricht der Zukunft – Fehlanzeige. Und dabei hat der erste Schultag noch nicht mal begonnen …
Wir lernen: Digitalisierung ist, wenn wir PDF-Dateien ausdrucken, die wir anschließend mit dem Bleistift ausfüllen, um sie danach einzuscannen und wieder an die Schule zurückzuschicken. Ein Fax hätte es nicht besser gemacht.
Ich bin schon gespannt, wie die ersten Schultage laufen und wie die Video-Übertragungen mit allen Schülern und den Fach-Lehrern werden. In der Zwischenzeit surfen die Kids noch eine halbe Stunde online. In der digitalen Welt von heute, nicht von gestern.
Ich suche im Internet noch rasch, ob ich mich nicht als Online-Lehrer verbeamten lassen kann. Das Ergebnis ist ernüchternd. Aber ich finde eine Urkunde, als bester Online-Lehrer ever! Übrigens als PDF-Datei. Damit kenne ich mich ja jetzt bestens aus und lade es runter … man weiß ja nie, was noch kommt.
Jörg Boecker ist Moderator beim Nachrichtensender n-tv, er lebt mit seiner Familie in Mönchengladbach, wo er auch geboren ist.