Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Die komplizierte Realität ab 50
„Sex and the City“war in den 90er-Jahren eine Pioniertat. Nie zuvor wurden weibliche Freundschaft und Sexualität so dargestellt. Nun erleben Carrie Bradshaw und Co. ein Comeback. Es kommt genau zur richtigen Zeit.
Irre Szene: Carrie Bradshaw und ihr Lover Aidan haben mal wieder Streit. Er ist ziemlich eingeschnappt, und bevor er stark angesäuert geht, dreht er sich rasch noch mal um und sagt einen der herrlichsten und bescheuertsten Sätze der Fernsehgeschichte. Ein rhetorisches Aufstampfen mit dem Fuß. Man muss sich den Spaß machen und ihn nachsprechen, daheim und vielleicht mit verstellter Stimme. Man wird auf jeden Fall schmunzeln müssen. Der Satz geht nämlich so: „Wenn was ist, ich bin Downtown.“
Dass einem dieser Spruch gerade jetzt wieder einfällt, hat einen Grund: Die legendäre TV-Serie „Sex and the City“, aus der er stammt, wird fortgesetzt. Der Sender HBO Max hat angekündigt, dass im späten Frühjahr die Dreharbeiten für zehn je halbstündige Folgen beginnen. Der Titel lautet dann: „And Just Like That“. Es sind alle Schauspielerinnen wieder dabei, na ja: fast alle. Kim Cattrall mag nicht, das hatte sie immer wieder verkündet, und das ist ziemlich schade. Denn ihre Samantha Jones war doch die faszinierendste Figur der Produktion, die zwischen 1998 und 2004 lief und 2008 und 2010 mit einem guten und einem schlimmen Kinofilm fortgesetzt wurde.
Die Zuschauer dürften den Hauptfiguren auf ihrer „Reise von der komplizierten Realität von Leben und Freundschaften in ihren Dreißigern“zu der „noch komplizierteren Realität ab 50“folgen, schreibt der Sender arg gestelzt über den Inhalt. Es bleibt also kompliziert, und wenn diese Fortsetzung tatsächlich das Niveau der besten Episoden aus der ursprünglichen Produktion erreicht, könnte das ein Versprechen sein.
„Sex and the City“war eine radikale Show. Sie hat die Darstellung von Sex und weiblichen Freundschaften verändert. Sie hat das Genre der romantischen Komödie 93 Folgen lang zu überwinden versucht. Bis sie sich in Folge 94 dann doch der Tradition ergab. Sie präsentierte mit Carrie Bradshaw die erste weibliche Anti-Heldin. Vorher waren Frauenfiguren im TV so angelegt, dass Zuschauerinnen sagen konnten: So bin ich auch! Auf einmal fragten sie sich: Bin ich auch so?
Diese Frauen waren kantiger, emotional komplexer. Sie waren nicht da, um Männern zu gefallen. So wie Mr. Big nicht da war, um Carrie zu retten. Die größtenteils weibliche Script-Abteilung schrieb Drehbücher, die New York als Möglichkeitsraum inszenierte. Darin konnten Träume wahr werden. Aber genauso gut konnte einem der nächste Bus das Wasser aus der dreckigen Pfütze auf das Tutu spritzen, wie es im berühmten Vorspann zur Serie Carrie passiert. Das Script wechselte zwischen Satire und Aufrichtigkeit. „Sex and the City“war zugleich total gaga, sehr glamourös (Manolo Blahnik kennt seither jeder) und desillusionierend, ätzend und rührend. Kurzum: alles ganz schön nah an der Wirklichkeit.
Die Handlung ging so: Die Journalistin Carrie Bradshaw (Sarah Jessica Parker) schrieb eine Kolumne. Und sie traf sich mit ihren Single-Freundinnen, um zu philosophieren und zu lästern: mit der Anwältin Miranda Hobbes (Cynthia Nixon), der Galeristin Charlotte York (Kristin Davis) und der PR-Beraterin Samantha Jones (Kim Cattrall). Sie sprachen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, über ihre Körper und ihre Träume, über Männer, Sex und Unzulänglichkeiten: „Männer mögen das Feuer entdeckt haben, aber Frauen haben entdeckt, wie man damit spielt.“Und es passierte, was nur selten vorkommt: Die Serie wurde ein Bild ihrer Zeit.
Erfunden hat die Figuren die amerikanische Autorin Candace Bushnell. Sie veröffentlichte von November 1994 an eine Kolumne im „New York Observer“, deren gesammelte Lieferungen zwei Jahre darauf als Buch erschienen. Weitere zwei Jahre vergingen bis zur Verfilmung.
Die Schauspielerinnen von damals sind nun in ihren Fünfzigern. Und eine Serie darüber, wie es denen ergeht, die einst Pionierinnen waren, fehlt. Man nehme nur die aktuelle Serie „Emily in Paris“, die mit enormem Erfolg bei Netflix läuft. Die interessanteste Figur dieser unterhaltsamen, aber seichten Produktion über eine Mittzwanzigerin, die aus den USA nach Paris kommt, ist die Agenturchefin Sylvie, die ein bisschen anmutet wie eine französische Version von Samantha Jones. Man würde gerne mehr von ihr erfahren: Wie wurde sie, wer sie ist? Wie kriegt sie das hin: Haltung bewahren? Und was denkt sie über die Generation, die folgte? Die Idee zu beiden Shows hatte der Produzent Darren Star.
Ausgestrahlt wird die neue Produktion dann auf der Plattform HBO Max, die vor acht Monaten gestartet wurde, aber Anfangsschwierigkeiten hatte. Nun rüstet man mit Inhalten auf: Auch eine Fortsetzung von „Gossip Girl“wurde angekündigt, außerdem ein „Friends“-Special.
„Sex and the City“geht also weiter. „Vielleicht müssen wir das loslassen, was wir waren, um das zu werden, was wir sein werden”, sagte Carrie Bradshaw. Wir werden sehen.