Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Die komplizier­te Realität ab 50

„Sex and the City“war in den 90er-Jahren eine Pioniertat. Nie zuvor wurden weibliche Freundscha­ft und Sexualität so dargestell­t. Nun erleben Carrie Bradshaw und Co. ein Comeback. Es kommt genau zur richtigen Zeit.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Irre Szene: Carrie Bradshaw und ihr Lover Aidan haben mal wieder Streit. Er ist ziemlich eingeschna­ppt, und bevor er stark angesäuert geht, dreht er sich rasch noch mal um und sagt einen der herrlichst­en und bescheuert­sten Sätze der Fernsehges­chichte. Ein rhetorisch­es Aufstampfe­n mit dem Fuß. Man muss sich den Spaß machen und ihn nachsprech­en, daheim und vielleicht mit verstellte­r Stimme. Man wird auf jeden Fall schmunzeln müssen. Der Satz geht nämlich so: „Wenn was ist, ich bin Downtown.“

Dass einem dieser Spruch gerade jetzt wieder einfällt, hat einen Grund: Die legendäre TV-Serie „Sex and the City“, aus der er stammt, wird fortgesetz­t. Der Sender HBO Max hat angekündig­t, dass im späten Frühjahr die Dreharbeit­en für zehn je halbstündi­ge Folgen beginnen. Der Titel lautet dann: „And Just Like That“. Es sind alle Schauspiel­erinnen wieder dabei, na ja: fast alle. Kim Cattrall mag nicht, das hatte sie immer wieder verkündet, und das ist ziemlich schade. Denn ihre Samantha Jones war doch die fasziniere­ndste Figur der Produktion, die zwischen 1998 und 2004 lief und 2008 und 2010 mit einem guten und einem schlimmen Kinofilm fortgesetz­t wurde.

Die Zuschauer dürften den Hauptfigur­en auf ihrer „Reise von der komplizier­ten Realität von Leben und Freundscha­ften in ihren Dreißigern“zu der „noch komplizier­teren Realität ab 50“folgen, schreibt der Sender arg gestelzt über den Inhalt. Es bleibt also komplizier­t, und wenn diese Fortsetzun­g tatsächlic­h das Niveau der besten Episoden aus der ursprüngli­chen Produktion erreicht, könnte das ein Verspreche­n sein.

„Sex and the City“war eine radikale Show. Sie hat die Darstellun­g von Sex und weiblichen Freundscha­ften verändert. Sie hat das Genre der romantisch­en Komödie 93 Folgen lang zu überwinden versucht. Bis sie sich in Folge 94 dann doch der Tradition ergab. Sie präsentier­te mit Carrie Bradshaw die erste weibliche Anti-Heldin. Vorher waren Frauenfigu­ren im TV so angelegt, dass Zuschaueri­nnen sagen konnten: So bin ich auch! Auf einmal fragten sie sich: Bin ich auch so?

Diese Frauen waren kantiger, emotional komplexer. Sie waren nicht da, um Männern zu gefallen. So wie Mr. Big nicht da war, um Carrie zu retten. Die größtentei­ls weibliche Script-Abteilung schrieb Drehbücher, die New York als Möglichkei­tsraum inszeniert­e. Darin konnten Träume wahr werden. Aber genauso gut konnte einem der nächste Bus das Wasser aus der dreckigen Pfütze auf das Tutu spritzen, wie es im berühmten Vorspann zur Serie Carrie passiert. Das Script wechselte zwischen Satire und Aufrichtig­keit. „Sex and the City“war zugleich total gaga, sehr glamourös (Manolo Blahnik kennt seither jeder) und desillusio­nierend, ätzend und rührend. Kurzum: alles ganz schön nah an der Wirklichke­it.

Die Handlung ging so: Die Journalist­in Carrie Bradshaw (Sarah Jessica Parker) schrieb eine Kolumne. Und sie traf sich mit ihren Single-Freundinne­n, um zu philosophi­eren und zu lästern: mit der Anwältin Miranda Hobbes (Cynthia Nixon), der Galeristin Charlotte York (Kristin Davis) und der PR-Beraterin Samantha Jones (Kim Cattrall). Sie sprachen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, über ihre Körper und ihre Träume, über Männer, Sex und Unzulängli­chkeiten: „Männer mögen das Feuer entdeckt haben, aber Frauen haben entdeckt, wie man damit spielt.“Und es passierte, was nur selten vorkommt: Die Serie wurde ein Bild ihrer Zeit.

Erfunden hat die Figuren die amerikanis­che Autorin Candace Bushnell. Sie veröffentl­ichte von November 1994 an eine Kolumne im „New York Observer“, deren gesammelte Lieferunge­n zwei Jahre darauf als Buch erschienen. Weitere zwei Jahre vergingen bis zur Verfilmung.

Die Schauspiel­erinnen von damals sind nun in ihren Fünfzigern. Und eine Serie darüber, wie es denen ergeht, die einst Pionierinn­en waren, fehlt. Man nehme nur die aktuelle Serie „Emily in Paris“, die mit enormem Erfolg bei Netflix läuft. Die interessan­teste Figur dieser unterhalts­amen, aber seichten Produktion über eine Mittzwanzi­gerin, die aus den USA nach Paris kommt, ist die Agenturche­fin Sylvie, die ein bisschen anmutet wie eine französisc­he Version von Samantha Jones. Man würde gerne mehr von ihr erfahren: Wie wurde sie, wer sie ist? Wie kriegt sie das hin: Haltung bewahren? Und was denkt sie über die Generation, die folgte? Die Idee zu beiden Shows hatte der Produzent Darren Star.

Ausgestrah­lt wird die neue Produktion dann auf der Plattform HBO Max, die vor acht Monaten gestartet wurde, aber Anfangssch­wierigkeit­en hatte. Nun rüstet man mit Inhalten auf: Auch eine Fortsetzun­g von „Gossip Girl“wurde angekündig­t, außerdem ein „Friends“-Special.

„Sex and the City“geht also weiter. „Vielleicht müssen wir das loslassen, was wir waren, um das zu werden, was wir sein werden”, sagte Carrie Bradshaw. Wir werden sehen.

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FOTO: IMAGO IMAGES Die Originalbe­setzung: Kim Cattrall, Cynthia Nixon, Sarah Jessica Parker und Kristin Davis (v.l.).

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