Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
„Es erfüllt mich mit Stolz, denn ich kenne das Schicksal dieser Bäume“
Holzfäller im Wald von Millançay
dem Inferno waren Architekten aus der ganzen Welt mit ihren Ideen in Paris vorstellig geworden, wie das Dach von Notre-Dame in Zukunft aussehen könnte. Wagemutige Entwürfe von Glasgewölben machten die Runde, eine Lichtkuppel sollte entstehen oder sogar ein Schwimmbad in schwindelnder Höhe. All diese Pläne fanden bei den Verantwortlichen allerdings keine Gnade, und sie entschieden, dass das Dach nach dem Brand aussehen sollte wie vor dem Brand. Dazu gehörte auch, dass der beeindruckende Dachstuhl, der vor der Katastrophe voller Ehrfurcht „der Wald“genannt wurde, wieder aus Eichenholz sein sollte.
„Zum Glück haben wir alle Aufzeichnungen über die Arbeit von Eugène Viollet-le-Duc“, erklärt Rémi Fromont, einer der zahlreichen Architekten, die am Wiederaufbau von Notre-Dame beteiligt sind. Der Baumeister Viollet-le-Duc hatte die umfassende Sanierung der Kathedrale im 19. Jahrhundert geleitet. Zusammen mit seinen Plänen, unzähligen Fotos und 3D-Modellen wurde genauestens berechnet, wie viele Eichen benötigt werden. „Jeder für
Notre-Dame gefällte Baum bekommt eine eigene Nummer“, erklärt Sylvain Jannaire, Mitarbeiter der Nationalen Forstbehörde. „Diese Nummer korrespondiert mit der entsprechenden Nummer auf den
Bauplänen.“So ist sofort erkennbar, wo der gefällte Baum eines Tages im Dachstuhl von Notre-Dame seinen Platz finden wird.
Die Zahl von 2000 Eichen für den Wiederaufbau scheint enorm, doch ein Mangel an Bäumen herrscht nicht. Schwieriger war es, die Regionen auszusuchen, aus denen die Eichen geholt werden. Fast jede Gemeinde des Landes wollte sich an dieser einzigartigen Aufgabe von nationaler Tragweite beteiligen. Auch viele private Waldbesitzer wollte unbedingt Bäume spenden.
„Als Symbol war es auf jeden Fall notwendig, das ganze Land abzudecken, was nicht so einfach war, weil im Süden Frankreichs oder auf Korsika nur wenige Eichen wachsen“, sagt Philippe Gourmain, der die Suche nach tauglichen Bäumen im Auftrag der Nationalen Waldbehörde koordiniert.
Aber natürlich regt sich auch Kritik an dem Abholzen der Eichen. Umweltschützer sprechen sogar von einem „Ökozid“und haben sich mit einer Petition an die Umweltministerin Barbara Pompili gewandt. Warum werde der zerstörte Dachstuhl – wie bei den Kathedralen in Nantes oder Reims – nicht aus Beton oder Stahl nachgebaut, lautet eine Frage? Die Kommission für den Wiederaufbau der Kathedrale habe sich nach reiflicher Überlegung für die identische Rekonstruktion entschieden, heißt es vonseiten der Verantwortlichen. Zudem sei es ja auch eine Art Ehre für die Bäume, die nächsten 1000 Jahre das Dach von NotreDame zu tragen.
Wesentlich pragmatischer argumentieren die Forstwirte. Sie betonen, dass für Notre-Dame nur 0,1 Prozent der jährlich in Frankreich abgeholzten Eichen verwendet würden, also eine verschwindend geringe Menge. Hinter der Hand sprechen sie allerdings auch etwas spöttisch von einem „Idefix-Reflex“der selbsternannten Eichenschützer. In den Asterix-Comics weint der kleine Hunde Idefix jedes Mal erbärmlich, wenn sein etwas ungeschicktes Herrchen Obelix aus Versehen einen Baum umwirft.
Eine kleine, vielleicht überlebenswichtige Änderung wird es bei der kühnen Konstruktion aus 2000 Eichen allerdings geben. Damit sich ein möglicher Brand in Zukunft nicht mehr rasend schnell ausbreiten kann, werden im Dachstuhl der Kathedrale von Notre-Dame zur Sicherheit Feuertüren eingebaut.