Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
„Bahn muss zuverlässiger und pünktlicher sein“
Interview Fahrgastverbands-Chef Detlef Neuß spricht über Mönchengladbachs Bahnhöfe und den größten Fehler im Schienenverkehr.
Der Rheydter Bahnhof wird von vielen Fahrgästen genutzt, hat aber seit gefühlten Ewigkeiten ein völlig heruntergekommenes Bahnhofsgebäude. Nun sind endlich ein Abriss und Neubau in Sicht. Sind Sie zufrieden mit den Plänen dafür?
NEUSS Der Entwurf für das neue Gebäude gefällt mir ganz gut. Wenn da die Polizei einzieht, sorgt das gewiss auch für eine erhöhte Kontrolle des Areals, und das wird dazu führen, dass sich Menschen dort lieber aufhalten als heute. Und ich hoffe, dass das neue Gebäude auch die Bahn in Zugzwang bringt, die übrigen Bereiche zu modernisieren – damit es nicht vorne ,hui' und hinten ,pfui' aussieht.
Unwohl fühlen sich auch viele, die den ziemlich finsteren Tunnel unter den Gleisen zur Mittelstraße benutzen.
NEUSS Dass da mancher Angst hat, kann ich nachvollziehen. Da fühle ich mich auch nicht wohl. Auch wenn die Stufen am Ausgang Mittelstraße ausgebessert wurden und ein neues Geländer gebaut wurde: Der Tunnel sollte schon etwas üppiger beleuchtet werden. Das wäre aber Sache der Stadt, nicht der Bahn.
Sind Bahnhöfe Kriminalitätsschwerpunkte?
NEUSS Gemessen an der Zahl der Menschen, die sich an Bahnhöfen täglich aufhalten, passieren an Bahnhöfen generell nicht mehr Straftaten als andernorts. Das ist in Rheydt und Gladbach nichts anders. Was in Gladbach auf dem Platz der Republik hinter dem Bahnhof etwa an Drogenkriminalität vor sich geht, wird zwar in der Wahrnehmung von Fahrgästen oft der Bahn angelastet. Aber auch das ist nicht Sache der Bahn, sondern der Ordnungsbehörde der Stadt und der Polizei.
Im jüngsten Stationstest des Verkehrsverbunds Rhein Ruhr hat der Odenkirchener Bahnhof unter den Stationen in der Stadt am schlechtesten abgeschnitten. Sind Sie einverstanden mit dem Urteil?
NEUSS Ja, die größten ,Sorgenkinder' in der Stadt sind sicherlich die Haltepunkte Odenkirchen und Lürrip. Odenkirchen hat die Bahn jetzt in ihre Modernisierungsoffensive 3 aufgenommen, da wird also etwas passieren.
Wann denn? Die Bahn hielt sich mit einem genauen Termin noch bedeckt.
NEUSS Ich denke, daraus wird vor Ende 2023, Anfang 2024 nicht werden.
Warum?
NEUSS Auch wenn Planungen für so etwas komplett stehen, kann meistens nicht sofort losgelegt werden. Der Bau von Bahnsteigen hat Anforderungen, die nicht jede Firma erfüllen kann. Es gibt zu wenige Unternehmen, die das können. Für den
Einbau von bahnsteigtauglichen Aufzügen gilt das gleiche. Auch daraus ergibt sich ein Stau bei der Umsetzung von Baumaßnahmen.
Als großer Schwachpunkt hat sich beim jüngsten Stationstest des Verkehrsverbunds Rhein Ruhr die mangelnde Barrierefreiheit auf allen Mönchengladbach Bahnhöfen mit Ausnahme von Wickrath und Gladbach erwiesen.
NEUSS In diesem Punkt hängen wir noch weit hinter dem zurück, was wir eigentlich brauchen. In Lürrip beispielsweise müssten Aufzüge her, anders bekommt man den Höhenunterschied von sechs Metern zwischen Straße und Bahnsteig für Rollstuhlfahrer oder Menschen mit Rollatoren nicht überwunden. Auch in Odenkirchen müssen Aufzüge her, da kann man aufgrund der räumlichen Gegebenheiten nicht wie in Wickrath die Mittelbahnsteige durch Seitenbahnsteige ersetzen, die über Rampen erreichbar sind.
Pro Bahn setzt sich als Fahrgastverband seit 30 Jahren für eine besseren Verkehr auf der Schiene ein. Ist es nicht frustrierend, wenn nach so langer Zeit nicht nur Mönchengladbacher Bahnhöfe noch immer erhebliche Mängel aufweisen?
NEUSS Ja, manches ist frustrierend, aber man erreicht Verbesserungen halt nur in kleinen Schritten. Es ist noch längst nicht alles perfekt. Die Bahnhöfe in Odenkirchen und Lürrip sehen heute nicht anders aus als vor 30 Jahren. Aber manches ist auch schon ein bisschen besser geworden.
Zum Beispiel?
NEUSS im Mönchengladbacher Hauptbahnhof gibt es heute Aufzüge, im Tunnel unter den Gleisen verdecken inzwischen historische Bilder die Löcher in den Kacheln. Gewiss, das ist Kosmetik, aber da der Tunnel mit seinen alten Kacheln unter Denkmalschutz steht, kann die Bahn da auch nicht viel anders machen. Auch rechtliche Fragen verzögern Veränderungen oft.
Inwiefern?
NEUSS Zum Beispiel sollte eine Bürgerbeteiligung besser am Anfang von Planungen stehen und nicht erst am Ende im Planfeststellungsverfahren. Bei einer früheren Beteiligung könnten Wünsche und Bedenken in den Planungen berücksichtigt werden, dann gäbe es hinterher vielleicht weniger Einwände, die das Verfahren in die Länge ziehen. Das ist ein ziemlich deutsches Problem – wir wollen immer übergründlich sein. Und so entstehen zu viele Hürden, bis man anfangen kann zu bauen.
Wie bewerten Sie die Qualität der Verknüpfungen der Bahnhöfe mit anderen Verkehrsmitteln – Bus, Taxi, Fahrrad, Auto?
NEUSS Für das Auto haben wir in Lürrip einen großen Park+Ride-Platz, kleinere zum Beispiel in Odenkirchen
Detlef Neuß und Pro Bahn
Der Fahrgastverband sieht sich als Interessensvertreter der Bahnnutzer gegenüber Verkehrsunternehmen, Verwaltungen und Politikern. Er erarbeitet nach eigenen Angaben Konzepte, wirkt in offiziellen Gremien wie Fahrgastbeiräten mit und ist gemeinnütziger Verbraucherverband im Verbraucherzentrale-Bundesverband.
Vorsitzender Detlef Neuß wohnt in Mönchengladbach, ist seit zwei Jahrzehnten Mitglied von Pro Bahn und seit 2016 Vorsitzender des bundesweit rund 4000 Mitglieder zählenden Verbands.
und Mönchengladbach Hauptbahnhof. Rund um den Wickrather Bahnhof gibt es ebenfalls Parkmöglichkeiten. Gute Anbindung an das Taxi gibt es eigentlich nur an den beiden Hauptbahnhöfen in Rheydt und Mönchengladbach. Dort gibt es auch Fahrradstationen, in denen man kostengünstig ein Rad abstellen kann. An den kleineren Bahnhöfen und Haltepunkten gibt es Fahrradabstellmöglichkeiten und Fahrradboxen. Hier sind zum Beispiel Odenkirchen und Lürrip zu nennen. Gut an den Busverkehr angebunden sind vor allem die Bahnhöfe Rheydt und Mönchengladbach Hauptbahnhof. In Odenkirchen halten drei Buslinien am Bahnhof, in Wickrath zwei. In Rheindahlen gibt es sechs Buslinien in der Nähe, in Lürrip zwei.
Welchen Bahnhof nutzen Sie in Mönchengladbach am liebsten?
NEUSS Am häufigsten benutze ich wohl den Bahnhof Odenkirchen, weil ich vier Minuten zu Fuß davon entfernt wohne. Aber ich benutze ihn gewiss nicht am liebsten. Bei weiteren Strecken starte ich in der Regel am Gladbacher Hauptbahnhof. Und der gefällt mir auch am besten. Da kann man sich morgens ein Brötchen und einen Kaffee holen, da ist Betrieb, da ist Leben drin.
Einst hatten selbst viel kleinere Stationen ein Bahnhofsgebäude mit einer Bahnhofsgaststätte. Heutzutage ist etwa der Leipziger Bahnhof auch ein Einkaufszentrum mit allerlei Gastronomie im Herz der Stadt. Könnte nicht zumindest in Rheydt und Gladbach auf ähnliche Weise viel mehr Leben und damit ein höheres Sicherheitsgefühl erzeugt werden?
NEUSS In Rheydt und Mönchengladbach wäre das sicher umsetzbar und wäre vermutlich auch wirtschaftlich. In Mönchengladbach gibt es ja auch ein wenig Gastronomie am Ausgang Platz der Republik. Das Sicherheitsgefühl wird durch ein belebtes Umfeld in jedem Fall erhöht. Natürlich nur, wenn die Belebung nicht durch Kriminalität entsteht. An den kleineren Bahnhöfen sehe ich diese Chance in Mönchengladbach nicht.
Wie zufrieden sind Sie mit der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der Bahn?
NEUSS Da gibt es sicher noch viel Luft nach oben. Die Bahn muss auf jeden Fall zuverlässiger und pünktlicher werden. Ein richtiger Schritt in diese Richtung ist der Deutschlandtakt. Der sorgt in Zukunft vor allem für zuverlässigere Anschlüsse. Dazu muss aber erst einmal die Infrastruktur ausgebaut werden. Das dauert sicher bis in die 2030er Jahre.
Sind Bahn-Fahrkarten ihren Preis wert? Müsste Bahnfahren billiger werden? Kann es billiger werden?
NEUSS Einzeltickets werden in der Regel als zu teuer wahrgenommen. Für Kleingruppen, wie zum Beispiel Familien, darf es keine Preisfrage sein, ob man den eigenen PKW oder die Bahn nimmt. Auch hier müssen günstigere Angebote her. Monatskarten könnten auch günstiger werden, dazu müssten aber die Gemeinden mehr Geld in den öffentlichen Nahverkehr stecken. Städte wie München geben 50 Prozent dazu.
Was war der größte Fehler, der in der Vergangenheit bei der Organisation des Schienenverkehrs in Deutschland gemacht wurde?
NEUSS Die Bahnreform von 1994 setzte auf eine kostengünstige Bahn, die börsentauglich sein sollte. Dafür wurde die Infrastruktur zurückgebaut. Weniger Überholgleise, zu wenig elektrifizierte Nebenstrecken. Weichen wurden abgebaut, die einen Wechsel des Gleises möglich gemacht hätten, zum Beispiel im Fall eines liegengebliebenen Zuges. Der Pool der Reservefahrzeuge wurde verkleinert, ebenso Personal, dass im Fall eines Falles als Ersatz hätte einspringen können. Das alles führt heute zu Zugausfällen und Verspätungen und muss in einer Bahnreform 2.0 dringend korrigiert werden.
HOLGER HINTZEN FÜHRTE DAS INTERVIEW.