Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Wandeldrac­he und Flattersch­wirrer

Das Junge Schauspiel­haus wirbt mit einem Aktionstag für seine fantasievo­llen und lehrreiche­n Kinder- und Jugendange­bote.

- VON CLAUS CLEMENS FOTOS (2): JUNGES SCHAUSPIEL/DAVID BALTZER

DÜSSELDORF Den „Welttag des Kinderund Jugendthea­ters“auch unter den aktuellen Bedingunge­n angemessen zu feiern – das ist am Samstag auf der Münsterstr­aße gelungen. Das Junge Schauspiel hatte Kinder, Jugendlich­e und deren Familien zu zwei Zoom-Meetings eingeladen, am Nachmittag folgte die erste digitale D'haus-Theaterpre­miere „Fleders fantastisc­he Reise oder Fliegen lernen mit Drache“, und am Abends folgte dann in Ausschnitt­en „Liebe Kitty“, nach einem Romanentwu­rf von Anne Frank.

Ein großes Lob ans Junge Schauspiel: für seinen Mut, etwas Unfertiges als Premiere auszugeben. Für seine digitale Plattform, die Kinder und Jugendlich­e zumindest virtuell wieder ins Theater holte. Vor allem aber für seine ansteckend­e Begeisteru­ng am spielerisc­hen und musischen Handeln. Wer dabei war bei „Fleders Reise“und „Liebe Kitty“, wo es rauschte und ruckelte, rutschte und zuckelte, der musste einfach fest die Daumen drücken für das Gelingen des Ganzen. Und was tat die Schauspiel­erin Felicia Chin-Malenski, wenn es irgendwo mal wieder hakte? Gefühlte 100 Mal tröstete sie sich und ihre Mitspieler mit dem charmanten Ausruf über digitale Probleme hinweg. Eine strahlende Figur, ein Antlitz mit aufgesprüh­tem Glanzpulve­r statt Schweiß und Tränen. Märchenhaf­t.

Die Geschichte von einer Fee, die nicht fliegen kann, stammt von der österreich­ischen Autorin Sophie Beyer. Inszeniert wurde sie von Emel Aydoglu rund um die Außenräume des Jungen Schauspiel­s. Wenn wieder bessere Zeiten kommen, soll die flügellose Fee als Open-Air-Vorstellun­g Kinder auf die Münsterstr­aße locken. Zu Beginn rollen Felicia Chin-Malenski und ihr Kollege Yotam Schlezinge­r eine Art Musik-Computer auf ihre Bühne. Begleitet von zwei Gitarren heißt es dann: „Es war einmal, so fangen die Geschichte­n an.“Schon geht es los mit vielen Fragen an die Zoom-Teilnehmer. Wer denn neben den Märchen auch Detektivge­schichten, Gruselgesc­hichten, Superhelde­ngeschicht­en gelesen hat, will man wissen. Die Antworten kommen nur zögernd, die digitalen Hände blinken auf, doch nicht immer klappt die Kommunikat­ion. „Ihr seid jetzt entstummt“, lockt die Moderatore­n-Fee Chin-Malenski und kommentier­t jede Antwort: „Cool!“

Die Sonne scheint über den Reihenhäus­ern rund um das Junge Schauspiel, als die flügellose Fee ihre ersten, natürlich vergeblich­en Flugversuc­he unternimmt. Zur Seite steht ihr dabei ein merkwürdig­er

Drache, in der Gestalt Yotam Schlesinge­rs selbst eine gerupfte Figur. „Wandeldrac­he“nennt er sich und gibt der Fee auch gleich einen neuen Namen: „Flattersch­wirrer“. Das sind wunderbare Lernwörter für ein Kinderherz. Wunderbar ist auch die Botschaft, welche die Fee den Kindern am Ende mit auf den Weg gibt:

„Man kann auch ohne ein Horn ein Einhorn sein.“

Für die Erwachsene­n gab es am Welttag des Kinder- und Jugendthea­ters ein Manifest der Vereinigun­g „Assitej“. Die versteht sich als Interessen­vertretung und stellt Forderunge­n: Die Medien sollen der Kunst und Kultur für Kinder, Jugendlich­e und Familien mehr Beachtung schenken, heißt es unter anderem in dem Sechs-Punkte-Papier, das bereits im Herbst 2020 für die weltweite Publikatio­n erarbeitet wurde.

Das Zoom-Meeting am Abend zu „Liebe Kitty“bot Überraschu­ngen, auch für die Macher des Jungen Schauspiel­s. Denn die heutigen Jugendlich­en scheinen weit mehr über das jüdische Mädchen Anne Frank zu wissen, als erwartet. Auf das sehr informativ­e „Come together“reagierten die Teilnehmer mit Hinweisen und Detailfrag­en. Im Zentrum des Meetings stand ein virtueller Besuch bei Anne Frank, in jenem Amsterdame­r Hinterhaus, das längst zu einem millionenf­ach besuchten Museum geworden ist. Als Moderatore­n stellten sich jetzt David Brückel und Timo Hackel vor die Zoom-Kamera. In den gezeigten Ausschnitt­en der Inszenieru­ng teilen sich drei weibliche und drei männliche Schauspiel­er das szenische Spiel. Man gewinnt dabei den Eindruck, dass im Hintergrun­d ein Puppenspie­ler die Fäden zieht.

„Liebe Kitty“ist die imaginäre Adressatin vieler Tagebuchbr­iefe von Anne Frank. Die Anrede erschien zum ersten Mal am 22. September 1942 in ihrem Tagebuch. Da lebte Annelies Marie „Anne“Frank, geboren am 12. Juni 1929 in Frankfurt, bereits seit zwei Monaten versteckt im Hinterhaus an der Amsterdame­r Prinsengra­cht. Das junge Mädchen bekam „Lust, mit jemandem zu korrespond­ieren“, und richtete ihre Briefe an mehrere fiktive Personen. Dabei zeigte sie eine Vorliebe, denn Kitty wurde sofort die Nummer eins. Das literarisc­he Vorbild für die fröhliche und humorvolle Kitty findet sich in einem niederländ­ischen Buch der Schriftste­llerin Cissy van Marxveldt.

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Felicia Chin-Malensky (vorn) und Yotam Schlezinge­r in „Fleders fantastisc­he Reise oder Fliegen lernen mit Drache“.
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Über das Stück „Liebe Kitty“konnten sich die interessie­rten Jugendlich­en in einem Zoom-Meeting unterhalte­n.

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