Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Operation Freiheit
Bis Ende März sollen in Gibraltar alle Einwohner über 16 Jahre geimpft sein. Cafés öffnen – und sogar erste Massenveranstaltungen sind wieder geplant.
GIBRALTAR (ap) Es sind Szenen, die in anderen Ländern in der Pandemie noch wie ferne Träume wirken: Fußballteams nehmen das Mannschaftstraining wieder auf. Cafés und Bars ziehen die Rollläden hoch und warten auf die Rückkehr der Touristen. Das Gefühl in Gibraltar, dem britischen Überseegebiet zwischen dem Mittelmeer und Spanien, das Lockerungen wagt, gleicht aktuell dem Erwachen aus einem Winterschlaf. Mehr als 4000 der etwa 33.000 Einwohner Gibraltars haben bereits eine Corona-Infektion durchgemacht. Nach einem verheerenden Corona-Ausbruch, der 93 Menschen das Leben kostete, den meisten zwischen Januar und Februar, sehen die Menschen wieder Licht am Ende des Tunnels – nicht zuletzt wegen der zuverlässigen Impfstofflieferungen aus Großbritannien.
Die hohe Bevölkerungsdichte, die neben der Ausbreitung neuer Virusvarianten für die vielen Infektionen verantwortlich gemacht wurde, ist auch der Schlüssel zum Erfolg Gibraltars bei der Impfkampagne. Kurze Kommunikationswege und Mundpropaganda taten ein Übriges. Die jüngsten Lockerungen haben die Behörden auf den Namen „Operation Freiheit“getauft.
Bis Ende März will Gibraltar alle Einwohner über 16 Jahren geimpft haben, außerdem die Vielzahl auswärtiger Arbeitnehmer in dem Überseegebiet, wie Gesundheitsministerin Samantha Sacramento sagte. Das wären insgesamt mehr als 40.000 Personen. Die Zahl der Menschen, die eine Impfung bislang ablehnen, bewegt sich im niedrigen einstelligen Prozentbereich.
Und dennoch hat das Ringen um Normalität gerade erst begonnen. Gibraltar muss sich immer noch den vielen Herausforderungen stellen. Es ist nicht ganz einfach, in einer globalisierten Welt Öffnungen anzugehen, in der der Zugang zu Impfstoffen ungleich verteilt ist und sich neue Virusvarianten ausbreiten. In den Planungen Sacramentos spielt das eine Rolle. Sie denkt über Gegenmaßnahmen nach, darunter etwa Ideen zu Verstärkungsimpfungen.
Geimpft zu sein sei keine Blaupause, um alle Einschränkungen fallen zu lassen, erklärte die Ministerin. Andererseits müsse man dringend wieder menschlicher leben, „in der Lage sein, frische Luft zu atmen“.
Die Frage nach der richtigen Balance stellt sich in Gibraltar in besonderer Weise – es hat enge Verbindungen nach Spanien und Großbritannien. Als britisches Territorium hat Gibraltar die im Vereinigten Königreich verwendeten Impfstoffe erhalten. Während der Impf-Erfolg auch in Großbritannien eine Ausweitung des Flugverkehrs von und nach Gibraltar denkbar machen würde, kommt die Impfkampagne in Spanien wie in vielen EU-Staaten nur schleppend voran. Auch die ansteckendere, zuerst in Großbritannien entdeckte Virusvariante ist ein hemmender Faktor. Die meisten Menschen in Gibraltar dürsten geradezu danach, zu reisen: Die Fläche von etwa 6,7 Quadratkilometern kann in einer Pandemie klaustrophobisch anmuten.
Bei mehr als 15.000 Menschen, die bereits den vollen Impfschutz erhalten haben, warten derzeit etwa 11.000 auf die zweite Dosis. Inzwischen erhalten bereits Menschen zwischen 20 und 30 Jahren Termine für Erstimpfungen. Arbeitnehmer, die aus anderen Ländern nach Gibraltar pendeln, und in Berufen mit hohem Kontaktaufkommen arbeiten, sind bereits geimpft. Nun versuchen die Behörden, auch alle übrigen Arbeitnehmer zu impfen, die die Grenze queren.
Ein solcher Fall ist Vanesa Olivero. Die 40-Jährige pendelt für ihre Arbeit in einem Duty-free-Shop täglich über die Grenze zwischen Gibraltar und Spanien, an einer Stelle, an der dies vor der Pandemie täglich etwa 15.000 Arbeiter machten. Weil der Tourismus noch ausgesetzt ist, sind es nun weniger. „Sagen Sie mir nur, wo, und ich halte denen meine beiden Arme hin“, scherzt Olivero mit Blick auf ihre Impfbereitschaft. Sie wolle nur, das alles zu Ende sei und das Leben zur Normalität zurückkehre.
Wer die zweite Impfung bekommen hat, erhält darüber in Gibraltar einen Nachweis. Zudem wird eine App entwickelt, die Daten zu Vakzinen und Testergebnisse mit Plattformen zusammenführen soll, um den Reiseverkehr wiederbeleben zu können.
Nach der Wiedereröffnung der Schulen, dem Verschieben des Beginns nächtlicher Ausgangsbeschränkungen um zwei Stunden nach hinten und der Aufhebung der Maskenpflicht in gering bevölkerten Gebieten wartet Gibraltar auf den nächsten Realitätscheck: Bald steht das Fußballspiel gegen die Niederlande in der WM-Qualifikation an. Mit 50-prozentiger Auslastung und Immunitätsnachweisen soll dann geprobt werden, wie Massenveranstaltungen wieder funktionieren könnten.