Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Impf-Tourismus in Serbiens Hauptstadt in vollem Gange
Die Aussicht auf eine Blitzimpfung lockt Zehntausende.
BELGRAD Zumindest ein Wochenende lang konnte sich Serbiens Hauptstadt Belgrad wieder als Zentrum von Jugoslawiens zerfallenem Vielvölkerstaat fühlen. Der ungewohnte Andrang und die endlosen Autokolonnen an den Grenzen zu Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Nordmazedonien gingen mit langen Staus vor dem Belgrader Messegelände einher. Der Grund für den ex-jugoslawischen Drang in die Donaumetropole: die Aussicht auf eine Blitzimpfung selbst ohne Termin.
Allein die serbische Wirtschaftskammer hatte am Wochenende mehr als 7500 Unternehmer aus der ganzen Region zu Corona-Impfungen nach Belgrad eingeladen. Aus dem albanischen Tirana flog gar eine Sondermaschine mit Impfwilligen ein. Die meisten Impftouristen in den langen Warteschlangen auf dem Gelände zeigten sich voller Dankbarkeit gegenüber ihrem Impfgastland – und verbittert über ihre eigenen Regierungen: Er danke „allen in Serbien“, sagte etwa der bosnische Unternehmer Vedad Vrazo. „Unsere Regierung hat nichts getan, um Impfstoff zu sichern.“Von einer „großartigen Geste Belgrads“ sprach Svjetlan Halimovic aus Sarajevo: „Aber ich kann noch immer nicht glauben, dass mein eigenes Land nichts für seine Bürger tut und ich in ein anderes Land reisen muss, um mich impfen zu lassen.“
Tatsächlich sind Serbiens Impfstoffüberfluss und der Mangel in den Nachbarstaaten der Grund für die Reisefreude der Balkannachbarn. Serbien ist dank des Direkteinkaufs von chinesischen und russischen Impfstoffen mit Serum gut versorgt. Obwohl inzwischen mit 1,3 Millionen Menschen rund 20 Prozent der Serben mindestens eine Impfdose erhalten haben, ist das Tempo wegen der großen Impfskepsis merklich abgeflaut: Die meisten Serben, die sich impfen lassen wollen, scheinen das bereits getan zu haben. Vor allem der misstrauisch beäugte Impfstoff Astrazeneca ist kaum mehr gefragt. Bevor das Haltbarkeitsdatum des britischen Serums abläuft, lässt es Belgrad lieber an die Nachbarn und einstigen Kriegsgegner verabreichen – und schlägt die PR-Trommel in eigener Sache. „Serbien und Belgrad haben ein großes Herz und eine offene Tür für die Freunde in der Region“, versicherte Belgrads Stadt-Manager Goran Vesic.