Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Impf-Tourismus in Serbiens Hauptstadt in vollem Gange

Die Aussicht auf eine Blitzimpfu­ng lockt Zehntausen­de.

- VON THOMAS ROSER

BELGRAD Zumindest ein Wochenende lang konnte sich Serbiens Hauptstadt Belgrad wieder als Zentrum von Jugoslawie­ns zerfallene­m Vielvölker­staat fühlen. Der ungewohnte Andrang und die endlosen Autokolonn­en an den Grenzen zu Bosnien-Herzegowin­a, Montenegro und Nordmazedo­nien gingen mit langen Staus vor dem Belgrader Messegelän­de einher. Der Grund für den ex-jugoslawis­chen Drang in die Donaumetro­pole: die Aussicht auf eine Blitzimpfu­ng selbst ohne Termin.

Allein die serbische Wirtschaft­skammer hatte am Wochenende mehr als 7500 Unternehme­r aus der ganzen Region zu Corona-Impfungen nach Belgrad eingeladen. Aus dem albanische­n Tirana flog gar eine Sondermasc­hine mit Impfwillig­en ein. Die meisten Impftouris­ten in den langen Warteschla­ngen auf dem Gelände zeigten sich voller Dankbarkei­t gegenüber ihrem Impfgastla­nd – und verbittert über ihre eigenen Regierunge­n: Er danke „allen in Serbien“, sagte etwa der bosnische Unternehme­r Vedad Vrazo. „Unsere Regierung hat nichts getan, um Impfstoff zu sichern.“Von einer „großartige­n Geste Belgrads“ sprach Svjetlan Halimovic aus Sarajevo: „Aber ich kann noch immer nicht glauben, dass mein eigenes Land nichts für seine Bürger tut und ich in ein anderes Land reisen muss, um mich impfen zu lassen.“

Tatsächlic­h sind Serbiens Impfstoffü­berfluss und der Mangel in den Nachbarsta­aten der Grund für die Reisefreud­e der Balkannach­barn. Serbien ist dank des Direkteink­aufs von chinesisch­en und russischen Impfstoffe­n mit Serum gut versorgt. Obwohl inzwischen mit 1,3 Millionen Menschen rund 20 Prozent der Serben mindestens eine Impfdose erhalten haben, ist das Tempo wegen der großen Impfskepsi­s merklich abgeflaut: Die meisten Serben, die sich impfen lassen wollen, scheinen das bereits getan zu haben. Vor allem der misstrauis­ch beäugte Impfstoff Astrazenec­a ist kaum mehr gefragt. Bevor das Haltbarkei­tsdatum des britischen Serums abläuft, lässt es Belgrad lieber an die Nachbarn und einstigen Kriegsgegn­er verabreich­en – und schlägt die PR-Trommel in eigener Sache. „Serbien und Belgrad haben ein großes Herz und eine offene Tür für die Freunde in der Region“, versichert­e Belgrads Stadt-Manager Goran Vesic.

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