Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Halb Rad, halb Truck – unterwegs mit dem Lastenrad

Unser Autor hat zwei Tage ein Lastenrad getestet. Über ungewohnte Lenkbewegu­ngen, die verzweifel­te Suche nach einem Stellplatz und womöglich schäumende­s Bier.

- VON DANIEL BRICKWEDDE

MÖNCHENGLA­DBACH Das hätte brenzlig werden können. Ich stehe an der Fahrradamp­el Ecke Friedrich-Ebert-Straße/Mühlenstra­ße, habe rot, die Autos auf der Querstraße vor mir gleich grün – und ich bin mir der Länge meines neuen Gefährts offenbar noch nicht bewusst: Mein Vorderreif­en ragt komplett in die Fahrbahn hinein. Ich habe wie immer in Höhe des Ampelmaste­s gehalten, nur das mein Rad nun nach vorne deutlich länger ist. Schnell trippele ich mit meinem Rad zurück und mache die Fahrbahn frei. Immerhin hat der Fahrer des ersten Autos beim Losfahren ein nettes Grinsen für mich.

Ein Lastenrad ist Gewöhnungs­sache. Zwei Tage war ich damit in Mönchengla­dbach unterwegs. Der erste Eindruck? Es ist gefühlt der Truck unter den Fahrrädern, 2,53 Meter lang und 63 Zentimeter breit. Ich fahre privat oft Rennrad, dagegen quasi ein kleines, schnittige­s Cabrio. Und die Unterschie­de machen sich sofort bemerkbar: Nach der Abfahrt stellen sich mir Poller in den Weg, normalerwe­ise rausche ich da gedankenlo­s durch, dieses Mal eier ich im Schritttem­po vorbei. Ungewohnt: Der Vorderreif­en ist nun rund 1,20 Meter weiter vorne, meine Lenkbewegu­ng tritt verzögert ein. Das ist etwa so, als wäre die Motorhaube eines Autos nach vorne doppelt so lang und die Vorderreif­en ebenso weit weg.

Meine erste Fahrt führt mich zum Aktionskün­stler Norbert Krause an die Aachener Straße. Er besitzt seit vier Jahren ein Lastenrad. „Das ersetzt bei uns ein Auto“, sagt Krause. Kind zur Kita fahren, Pakete abholen oder Einkäufe – fast alles macht er damit. Ihm fallen immer häufiger Lastenräde­r auf: „Vor ein paar Jahren habe ich einmal im Monat ein anderes Rad gesehen, jetzt fast jeden zweiten Tag.“Ein Problem sei aber das Abstellen der Räder, gerade innerstädt­isch. Fürs Einkaufen gibt er mir aber den

Tipp, das Rad auf einem Autoparkpl­atz abzustelle­n. Auch vor seinem Büro nutze er oft einen Pkw-Stellplatz – mangels Alternativ­en.

Günstig sind die Räder, vor allem die elektrisch­en Pedelecs mit Preisen ab 3000 Euro nicht. Krause relativier­t jedoch: „Bei einem Auto kommen nach dem Kauf weitere Kosten hinzu: Tanken, Inspektion­en, Steuern, Versicheru­ngen. Das fällt bei dem Lastenrad nicht an.“Eine Kaufprämie für private Lastenpede­lecs stellte das Land NRW inzwischen ein. Auch von der Stadt gibt es derzeit keine Förderung. Nach meinem Besuch bei Krause habe ich etwas Zeit, mit dem Rad durch die Stadt zu fahren und bekomme mehr Sicherheit. Aber nicht überall ist es ideal: Schmale Radwege mit Straßensch­ildern machen die Fahrt teilweise zur Herausford­erung.

Gegen Nachmittag endet dann mein erster Tag mit dem Lastenrad. Und ich komme zur Frage: Wo hin mit dem Rad über Nacht? Der Hinterhof meines Wohnhauses steht voll mit Autos, ein Zaun oder Ähnliches zum Anketten steht nicht frei.

Und an der Laterne vor dem Haus versperrt es den Gehweg. Ich habe das Problem kommen sehen – und trotzdem keine Lösung. Schließlic­h schiebe ich es in eine Ecke des Hinterhofs, die von der Straße aus nicht einsehbar ist und wo die Mülltonnen stehen. Dort ist es zwar nirgendwo anschließb­ar, aber die dicke Kette durch den Vorderreif­en muss reichen. Eine andere Möglichkei­t sehe ich nicht.

Am zweiten Tag nehme ich mir einen Großeinkau­f vor. Die normalen Radständer beim Supermarkt ignoriere ich, sondern stelle mich – nach dem Tipp von Krause – gleich auf einen Autoparkpl­atz. Das ist angenehm. Der Prozess aus Kette durch den Vorderreif­en legen, abschließe­nd und Akku aus der Halterung entfernen, nimmt aber doch seine Zeit in Anspruch. Die Einkaufsli­ste der Kollegen: Zwei Getränkeki­sten und bisschen Kleinkram – genug, um das Rad unter Belastung zu testen. 80 Kilogramm trägt es maximal. Das Gefühl, einen vollen Einkaufswa­gen zu seinem Rad zu schieben – merkwürdig. Akku wieder aufstecken, Kette lösen und verstauen, dann geht's weiter. Aber bei Weitem nicht so leicht wie die Hinfahrt. Das Zusatzgewi­cht ist zu spüren, schärfere Kurven nehme ich mit Respekt. Und wo die Straße kaputt ist, knallt das Lastenrad ordentlich über den Boden – der Kollege mit der Bierkiste wird sich freuen. Der Motor ist hingegen ein Segen. Kurz schalte ich ihn mal ab, dann aber sofort wieder an: Ohne den Antrieb wäre die Fahrt ein wahrer Kraftakt. Nachdem ich die Einkäufe abgeliefer­t habe, passiert mir noch das Malheur an der Friedrich-Ebert-Straße vom Anfang des Textes. So ganz vertraut mit dem Gefährt bn ich wohl doch noch nicht.

Und dann muss ich das Rad auch schon wieder abgeben. Fazit nach zwei Tagen: Das Lastenrad kann eine gute Alternativ­e zum Auto sein. Und auch der hohe Preis kann sich aufgrund des vielfältig­en Nutzens rechnen. Die Fahrweise ist ungewohnt, mit etwas Routine macht es aber sogar Spaß, gerade mit E-Antrieb. Problemati­sch ist hingegen die Unterbring­ung: Ohne vernünftig­en Stellplatz am Wohnort macht ein Lastenrad keinen Sinn.

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FOTO: MARKUS RICK Zwei Tage war unser Autor mit dem Lastenrad unterwegs. Er hatte ein elektrisch angetriebe­nes Pedelec-Lastenrad. Ein normales Lastenrad kann er sich nach den Testtagen nicht mehr vorstellen.
 ?? FOTO: DANIEL BRICKWEDDE ?? Bis zu 80 Kilogramm Last trägt das Rad. In der Box ist problemlos Platz für zwei Kisten.
FOTO: DANIEL BRICKWEDDE Bis zu 80 Kilogramm Last trägt das Rad. In der Box ist problemlos Platz für zwei Kisten.
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FOTO: DANIEL BRICKWEDDE An manchen Stellen in der Stadt wird es etwas eng.

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