Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Halb Rad, halb Truck – unterwegs mit dem Lastenrad
Unser Autor hat zwei Tage ein Lastenrad getestet. Über ungewohnte Lenkbewegungen, die verzweifelte Suche nach einem Stellplatz und womöglich schäumendes Bier.
MÖNCHENGLADBACH Das hätte brenzlig werden können. Ich stehe an der Fahrradampel Ecke Friedrich-Ebert-Straße/Mühlenstraße, habe rot, die Autos auf der Querstraße vor mir gleich grün – und ich bin mir der Länge meines neuen Gefährts offenbar noch nicht bewusst: Mein Vorderreifen ragt komplett in die Fahrbahn hinein. Ich habe wie immer in Höhe des Ampelmastes gehalten, nur das mein Rad nun nach vorne deutlich länger ist. Schnell trippele ich mit meinem Rad zurück und mache die Fahrbahn frei. Immerhin hat der Fahrer des ersten Autos beim Losfahren ein nettes Grinsen für mich.
Ein Lastenrad ist Gewöhnungssache. Zwei Tage war ich damit in Mönchengladbach unterwegs. Der erste Eindruck? Es ist gefühlt der Truck unter den Fahrrädern, 2,53 Meter lang und 63 Zentimeter breit. Ich fahre privat oft Rennrad, dagegen quasi ein kleines, schnittiges Cabrio. Und die Unterschiede machen sich sofort bemerkbar: Nach der Abfahrt stellen sich mir Poller in den Weg, normalerweise rausche ich da gedankenlos durch, dieses Mal eier ich im Schritttempo vorbei. Ungewohnt: Der Vorderreifen ist nun rund 1,20 Meter weiter vorne, meine Lenkbewegung tritt verzögert ein. Das ist etwa so, als wäre die Motorhaube eines Autos nach vorne doppelt so lang und die Vorderreifen ebenso weit weg.
Meine erste Fahrt führt mich zum Aktionskünstler Norbert Krause an die Aachener Straße. Er besitzt seit vier Jahren ein Lastenrad. „Das ersetzt bei uns ein Auto“, sagt Krause. Kind zur Kita fahren, Pakete abholen oder Einkäufe – fast alles macht er damit. Ihm fallen immer häufiger Lastenräder auf: „Vor ein paar Jahren habe ich einmal im Monat ein anderes Rad gesehen, jetzt fast jeden zweiten Tag.“Ein Problem sei aber das Abstellen der Räder, gerade innerstädtisch. Fürs Einkaufen gibt er mir aber den
Tipp, das Rad auf einem Autoparkplatz abzustellen. Auch vor seinem Büro nutze er oft einen Pkw-Stellplatz – mangels Alternativen.
Günstig sind die Räder, vor allem die elektrischen Pedelecs mit Preisen ab 3000 Euro nicht. Krause relativiert jedoch: „Bei einem Auto kommen nach dem Kauf weitere Kosten hinzu: Tanken, Inspektionen, Steuern, Versicherungen. Das fällt bei dem Lastenrad nicht an.“Eine Kaufprämie für private Lastenpedelecs stellte das Land NRW inzwischen ein. Auch von der Stadt gibt es derzeit keine Förderung. Nach meinem Besuch bei Krause habe ich etwas Zeit, mit dem Rad durch die Stadt zu fahren und bekomme mehr Sicherheit. Aber nicht überall ist es ideal: Schmale Radwege mit Straßenschildern machen die Fahrt teilweise zur Herausforderung.
Gegen Nachmittag endet dann mein erster Tag mit dem Lastenrad. Und ich komme zur Frage: Wo hin mit dem Rad über Nacht? Der Hinterhof meines Wohnhauses steht voll mit Autos, ein Zaun oder Ähnliches zum Anketten steht nicht frei.
Und an der Laterne vor dem Haus versperrt es den Gehweg. Ich habe das Problem kommen sehen – und trotzdem keine Lösung. Schließlich schiebe ich es in eine Ecke des Hinterhofs, die von der Straße aus nicht einsehbar ist und wo die Mülltonnen stehen. Dort ist es zwar nirgendwo anschließbar, aber die dicke Kette durch den Vorderreifen muss reichen. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht.
Am zweiten Tag nehme ich mir einen Großeinkauf vor. Die normalen Radständer beim Supermarkt ignoriere ich, sondern stelle mich – nach dem Tipp von Krause – gleich auf einen Autoparkplatz. Das ist angenehm. Der Prozess aus Kette durch den Vorderreifen legen, abschließend und Akku aus der Halterung entfernen, nimmt aber doch seine Zeit in Anspruch. Die Einkaufsliste der Kollegen: Zwei Getränkekisten und bisschen Kleinkram – genug, um das Rad unter Belastung zu testen. 80 Kilogramm trägt es maximal. Das Gefühl, einen vollen Einkaufswagen zu seinem Rad zu schieben – merkwürdig. Akku wieder aufstecken, Kette lösen und verstauen, dann geht's weiter. Aber bei Weitem nicht so leicht wie die Hinfahrt. Das Zusatzgewicht ist zu spüren, schärfere Kurven nehme ich mit Respekt. Und wo die Straße kaputt ist, knallt das Lastenrad ordentlich über den Boden – der Kollege mit der Bierkiste wird sich freuen. Der Motor ist hingegen ein Segen. Kurz schalte ich ihn mal ab, dann aber sofort wieder an: Ohne den Antrieb wäre die Fahrt ein wahrer Kraftakt. Nachdem ich die Einkäufe abgeliefert habe, passiert mir noch das Malheur an der Friedrich-Ebert-Straße vom Anfang des Textes. So ganz vertraut mit dem Gefährt bn ich wohl doch noch nicht.
Und dann muss ich das Rad auch schon wieder abgeben. Fazit nach zwei Tagen: Das Lastenrad kann eine gute Alternative zum Auto sein. Und auch der hohe Preis kann sich aufgrund des vielfältigen Nutzens rechnen. Die Fahrweise ist ungewohnt, mit etwas Routine macht es aber sogar Spaß, gerade mit E-Antrieb. Problematisch ist hingegen die Unterbringung: Ohne vernünftigen Stellplatz am Wohnort macht ein Lastenrad keinen Sinn.