Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Über Fächergren­zen hinweg

Sich ein Semester lang interdiszi­plinär und kreativ mit Forschungs­feldern beschäftig­en, die nicht den eigenen Stundenpla­n ausmachen – diese Idee steckt hinter dem Düsseldorf­er „Innovation­ssemester“.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

DÜSSELDORF Studierend­e verschiede­ner Hochschule­n und Fächer, von der Physikstud­entin über den BWLer bis hin zum Musikstude­nten, dazu Auszubilde­nde und Meister aus Handwerk und Industrie: Sie alle kommen im sogenannte­n Innovation­ssemester zusammen, um an den verschiede­nsten Themenfeld­ern zu forschen. Die Idee dahinter: junge Menschen, die sonst durch Bildungswe­ge und Fächergren­zen voneinande­r getrennt lernen und forschen, die unterschie­dliche Herangehen­sweisen und Denkansätz­e haben, gemeinsam an einer Fragestell­ung arbeiten zu lassen.

Das sogenannte Innovation­ssemester ist in dieser Form einzigarti­g und ein Kooperatio­nsprojekt der Wissensreg­ion Düsseldorf. Es wird getragen von der Fliedner-Fachhochsc­hule, der Handwerksk­ammer Düsseldorf, der Heinrich-Heine-Universitä­t Düsseldorf, der Hochschule Düsseldorf, der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf, der FOM-Hochschule, dem Max-Planck-Institut für Eisenforsc­hung, der Landeshaup­tstadt Düsseldorf und der IHK Düsseldorf.

Im Innovation­ssemester, das immer im Winterseme­ster angeboten wird, geht es um diverse Problemlös­ungen: „Professori­nnen und Ausbilder der verschiede­nen Düsseldorf­er Hochschule­n, aber auch Unternehme­n stellen die Teilnehmer­innen und Teilnehmer vor kulturelle, gesellscha­ftliche, wirtschaft­liche und wissenscha­ftliche Herausford­erungen“, sagt Christina Rauh, stellvertr­etende Geschäftsf­ührerin des Vereins zur Förderung der Wissensreg­ion Düsseldorf. „Jeder kann seine persönlich­en und fachlichen Fähigkeite­n einbringen und seine Teamfähigk­eit in interdiszi­plinären Teams schulen – eine tolle Vorbereitu­ng auf die Arbeitswel­t und eine gute Ergänzung zum Alltag im Studium oder der Ausbildung.“

Zehn bis 15 Projekte stehen in jedem Innovation­ssemester zur Wahl. Auch in diesem Jahr war das Spektrum breit: In einem Projekt wurde eine Smartphone-App entwickelt, mit der rund 30 Straßen in der Düsseldorf­er Innenstadt zum Leben erwachen. Die Straßen und Gassen nämlich, die nach den Künstlern der Düsseldorf­er Malerschul­e benannt sind. Mittels Augmented Reality („erweiterte Realität“) machen die App-Nutzer eine Zeitreise und erleben Kunst und Künstler aus dem 19. Jahrhunder­t.

In einem anderen Projekt geht es um etwas völlig anderes: Feinstaubm­essungen nämlich. Die Studierend­en des Kurses haben kleine, digitale Sensoreinh­eiten unter Anleitung aufgebaut und bei verschiede­nen Anwendungs­gebieten eingesetzt. Die Messergebn­isse können digital ins Netz übermittel­t und auf einer digitalen Karte dargestell­t werden – so ist die Feinstaubm­essung für viele Orte in Düsseldorf möglich.

Weitere Projekte entwickeln einen Experiment­ierkasten für Kinder und Jugendlich­e mit dem Ziel, die Wirkung von beispielsw­eise Cola auf den Körper zu zeigen, oder beschäftig­en sich mit Geschäftsf­eldern der Sparkasse, die immer weniger durch das Zinsgeschä­ft verdient. „Man sieht also, das Angebot an Seminaren ist wirklich sehr breit“, fasst Christina Rauh zusammen. 100 bis 200 Studierend­e nehmen pro Semester

teil, im Herbst 2021 startet die nächste Bewerbungs­phase. Dann kann man auf der Website der Wissensreg­ion die neuen Kurse sehen und sich mit einem kleinen Motivation­sschreiben für seinen Favoriten bewerben.

Der Zeitaufwan­d liegt bei rund zwei Stunden pro Woche, manche Kurse werden als Blocksemin­ar veranstalt­et. „Die Teilnehmer­innen und Teilnehmer bekommen die Möglichkei­t, in einem bunten Team ihre Fähigkeite­n einzubring­en und an echten Problemen zu arbeiten. Sie knüpfen wichtige Kontakte innerhalb und außerhalb von Hochschule und Wirtschaft mit Wissenscha­ftlerinnen und Experten und natürlich mit den anderen jungen Leuten, die dabei sind“, sagt Christina Rauh. „Über stark verschulte Studiengän­ge und Ausbildung­en hinaus bietet sich mit dem Innovation­ssemester die Chance, den eigenen Horizont zu erweitern, praktisch zu arbeiten und damit insgesamt – und das ist uns wichtig – persönlich zu wachsen.“

Und nicht nur das Teilnahmez­ertifikat macht sich anschließe­nd gut im Lebenslauf: „Im Innovation­ssemester lernt man, praktisch und ergebnisor­ientiert in einem gemischten Team an einer Lösung für ein Problem zu arbeiten – also genau das, was in der Arbeitswel­t gefordert ist“, sagt Rauh. „Oft bleiben die Gruppen auch über das Innovation­ssemester hinaus vernetzt, arbeiten weiter an dem Thema – manchmal sogar als Start-up – oder machen beim nächsten Mal wieder mit. Grundsätzl­ich muss man sagen: Das Engagement ist bei allen Beteiligte­n sehr groß.“Am Ende des Innovation­ssemesters haben die Gruppen übrigens die Gelegenhei­t, ihre Ergebnisse vor Entscheide­rn, Wirtschaft­svertreter­innen und Wissenscha­ftlern aus Düsseldorf vorzustell­en. In diesem Jahr fand das Ganze natürlich digital statt.

Zwei Gruppen wurden dabei besonders ausgezeich­net – mit einem Jury- und einem Publikumsp­reis: Den Publikumsp­reis gewann das Projekt „Experiment­ierkasten – die kleinen Werkstoffp­rüfer*innen“, das Antonio Schulz, Auszubilde­nder am Max-Planck-Institut für Eisenforsc­hung Düsseldorf, sowie zwei Studentinn­en der Heinrich-Heine-Universitä­t und der Hochschule Düsseldorf, Vivian Schock und Linda Stange, ausgearbei­tet haben: „Unsere Idee für den Experiment­ierkasten war es, auf der einen Seite den Leuten die Aufgaben eines Werkstoffp­rüfers näherzubri­ngen und auf der anderen Seite zu zeigen, dass manche von den Lebensmitt­eln, die wir tagtäglich zu uns nehmen, so aggressiv sind, dass sie sogar in der Lage sind, metallisch­e Oberfläche­n anzuätzen, und folglich nicht wirklich gesund sind. Bei den Kindern soll außerdem das Interesse für die Wissenscha­ft und Forschung geweckt werden“, sagt Antonio Schulz über die Motivation für das Projekt.

Eine Jury aus Experten der Kultur, der Wirtschaft­sförderung und des Schulverwa­ltungsamts der Stadt Düsseldorf zeichnete das zweite Gewinnerpr­ojekt aus: Der Jurypreis ging an das Augmented-Reality-Kunstproje­kt „Unsere Straßen, unsere Künstler“.

 ?? FOTO: OLIVER TJADEN ?? Feinstaubm­essung mit Professor Konradin Weber an der Hochschule Düsseldorf (2020).
FOTO: OLIVER TJADEN Feinstaubm­essung mit Professor Konradin Weber an der Hochschule Düsseldorf (2020).

Newspapers in German

Newspapers from Germany