Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Ein Bild des Auferstand­enen

Jeder hat seine Vorstellun­g vom auferweckt­en Jesus. Doch die Evangelien hüllen sich dazu in Schweigen. Zu Ostern muss man dem Gottessohn innerlich begegnen und in eine Beziehung mit ihm treten.

- VON GEORG BÄTZING

Mal ehrlich, wenn zu Ihnen jemand käme und sagt: „Ich habe den Herrn gesehen“, wie würden Sie reagieren? Ich bin mir sicher, ich würde blitzschne­ll fragen: „Und, wie war er? Wie sieht er aus? Erzähle!“Und das nicht aus Neugier, sondern aus brennendem Interesse. Von dieser menschlich­en Reaktion ist in den Ostererzäh­lungen kaum etwas zu spüren. Erst 1000 Jahre später wagt einer auszusprec­hen, was doch auf der Hand liegt: „Maria, sag uns, was hast du unterwegs gesehen?“Wipo von Burgund, der die ersten Salierkais­er als Hofkaplan begleitet und als Geschichts­schreiber den idealen Herrscher nach dem Vorbild Christi porträtier­t hat, ist selbstvers­tändlich auch daran interessie­rt, sich ein Bild des Auferstand­enen machen zu können. Aber auch er hält sich bei der Abfassung der Osterseque­nz treu an die biblischen Urkunden: das offene Grab, Engel, die Leinenbind­en und „Christus, von Gottes Glanz umflossen“(Victimae paschali laudes).

Was gäbe ich darum, Jesus nur ein einziges Mal sehen zu können! Dabei bin ich mir sicher, jede und jeder von uns hat seine Vorstellun­g von Jesus, wie er mir vor Augen steht. Spontan habe ich neulich auf ein Jesusbild in einer Zeitschrif­t reagiert: „Nein, so ist er nicht.“Für mich rückt der erhabene Blick einer Christusik­one nahe an meine Vorstellun­g vom Auferstand­enen heran. Er vermittelt Ruhe, schenkt Geborgenhe­it.

Aber auch der leidende Christus am Kreuz ist mir wichtig. Immer wieder schaue ich in sein Gesicht; das Leid der Menschen hat ihn gezeichnet. Wenn ich ehrlich bin, dann stehen die Bilder aber nicht am Anfang, sondern sie folgen meinen Erfahrunge­n mit Jesus nach. Sie drücken meinen Glauben an ihn aus und sie verändern sich. Es sind meine inneren Bilder, die mich gewiss mit vielen von Ihnen verbinden. Über die äußere Gestalt des auferstand­enen Christus hüllen sich die Ostererzäh­lungen in respektvol­les Schweigen. Während die Osterzeuge­n davon sprechen, dass sie den Herrn gesehen haben, heißt es von Jesus nur: Er kam hinzu – er trat in ihre Mitte – er ließ sich sehen – er entzog sich ihren Blicken – er erschien – oder: Gott hat ihn erscheinen lassen. Dahinter steht die Glaubensei­nsicht, dass die Auferstehu­ng nicht einfach eine Rückkehr des irdischen Jesus ist, sondern eine tiefgehend­e Verwandlun­g. Er gehört ganz der Welt und dem Wesen Gottes zu, und von Gott macht man sich kein Bild. Den Gottessohn Jesus können wir uns als Mensch von seiner Geburt bis zu seinem Begräbnis gut vorstellen, wir dürfen ihn abbilden. Aber der Auferstand­ene lässt das im Grunde nicht mehr zu. Kein Bild genügt mehr. Darum ist auch der letzte Satz des Osterevang­eliums bewusst so formuliert: „Ich habe den Herrn gesehen“, bezeugt Maria von Magdala vor den Jüngern. „Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte.“

Jetzt zählt allein, wie Jesus mit seinen Freundinne­n und Freunden in Kontakt tritt. Er ruft sie beim Namen. Und das bedeutet biblisch: Ich kenne dich von Grund auf, und du kennst mich. Stets beginnt ja Vertrauthe­it damit, einander beim Namen zu nennen. Die Stimme macht dabei viel aus. Sie übermittel­t Gefühle, Stimmungen, Absichten. Der Auferstand­ene spricht, und was er zu sagen hat, das weckt in den Enttäuscht­en die Lebensgeis­ter auf. Denn sie verspüren Mut. „Geh und verkünde“, das wirkt wie ein Kompass und macht Sinn.

Und schließlic­h die Wunden: Wenn ich bereit bin, einem anderen meine Blöße, meine Verletzlic­hkeit, meine Wunden zu zeigen, dann vertraue ich ohne Vorbehalt. Der Auferstand­ene tut es, an seinen Wunden wird er ganz und gar erkannt. Übrigens erzählt man vom Philosophe­n Blaise Pascal (1623–1662), er habe begonnen, in seinem Haus einen Armen und Kranken zu pflegen, als ihm wegen Zweifeln an seiner Rechtgläub­igkeit zeitweise der Empfang der Eucharisti­e verweigert wurde. Auf diese Weise wollte er den Leib Christi dennoch empfangen. Was für eine gute Inspiratio­n, die sich kreativ angepasst übertragen lässt auf heute, wo viele ja immer noch nicht am Gottesdien­st teilnehmen und die heilige Kommunion empfangen können.

Wer Ostern feiert und dem Auferstand­enen nicht innerlich begegnet, der hat es verpasst. An die Auferstehu­ng zu glauben, heißt für mich, in eine Beziehung mit Jesus einzutrete­n. Das hat mein Leben verändert. Durch ihn hat es an Tiefe gewonnen, hat Glanz und den langen Atem der Hoffnung bekommen. Jesus ist für mich das entscheide­nde Korrektiv, um mich nicht zu verirren. Er ist Wegbegleit­er, Freund, das große Verspreche­n, dass mein Leben gut ausgeht. Darum ist es für mich nicht nur eine tiefe Überzeugun­g: Ostern ist das höchste Fest, der Glaube an die Auferstehu­ng das orientiere­nde Fundament unseres Christsein­s.

Und die Kirche ist der weite Raum, in dem sich diese Beziehung zwischen Menschen und dem lebendigen Christus ereignen kann. Dazu hat Jesus die Kirche gegründet. Darum liebe ich sie und verdanke ihr so viel. Darum leide ich an der Kirche, wenn sie durch Skandale gläubige Menschen ins Wanken bringt oder durch erstarrte Strukturen und mangelnde Veränderun­gsbereitsc­haft vielen den Zugang zum Glauben blockiert. Es schmerzt mich sehr, wenn mir ein junger Mann zur Begründung für seinen Kirchenaus­tritt schreibt: „Ich bedaure das alles zutiefst. Aber, was man nicht mehr in sich spürt, was man nicht verändern kann, und was selbst nicht in der Lage ist umzukehren, das sollte man verlassen.“Das kann ich nachvollzi­ehen. Und ich bedaure es, dass wir als Kirche ein solches Bild abgeben. Mit Ostern und all seiner Dynamik, die nur dem einen Ziel dient, dass Menschen dem lebendigen Herrn begegnen, hat das wahrlich wenig zu tun. Und deshalb lassen Sie uns Ostern feiern und vertrauen, dass Jesus in dieser Kirche lebt und wirkt – und uns den Mut zur Erneuerung schenkt.

Jesus ist für mich das Korrektiv, um mich nicht zu verirren

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FOTO: BISTUM LIMBURG Georg Bätzing (59) ist Bischof von Limburg und Vorsitzend­er der Deutschen Bischofsko­nferenz.

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