Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Moralische Geschäfte
Priviligierte solidarisieren sich oft vorschnell mit Forderungen von Minderheiten.
In den vergangenen Jahren werden Feministinnen wie die HarryPotter-Autorin Joanne Rowlings oder jüngst die Philosophin Kathleen Stock von Transgenderaktivisten angegriffen. Sie werfen ihnen vor „transfeindlich“oder „transphob“zu sein und haben damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Die Schauspieler und Schauspielerinnen der Harry-Potter-Filme solidarisierten sich hastig mit den Opfern der „transphoben“Autorin Rowlings, Kollegen distanzierten sich von der „transfeindlichen“Kathleen Stock.
Der Grund des Konflikts: Die Organisationen, die in Großbritannien die Interessen von Transpersonen vertreten, fordern, dass jeder seine Geschlechtsidentität unabhängig vom physischen Geschlecht frei ausdrücken und selbst bestimmen solle. Sie betrachten die bisherigen gesetzlich vorgeschrieben Voraussetzungen für einen Geschlechtswechsel als illiberal, übergriffig und erniedrigend. Rowling und Stock hingegen sehen es als Bedrohung, dass biologische Männer ohne hormonelle Eingriffe et cetera das Geschlecht wechseln und damit Zugang zu Umkleidekabinen, Toiletten und anderen geschützten Räumen für Frauen bekommen können. Sie befürchten sexuelle Übergriffe wie im Falle des bereits verurteilten Vergewaltigers Karen White, der als Frau in einem Frauengefängnis in England weibliche Inhaftierte sexuell überfiel. Das ist ein Streit zwischen verschiedenen Interessengruppen, welcher der Vermittlung bedarf. Heutzutage werden solche Kämpfe jedoch moralisch uminterpretiert und mit moralischen Keulen ausgefochten. Eine Partei reklamiert für sich die Rolle der Schwachen, Ausgegrenzten und Unterprivilegierten. Wer dadurch (als Weißer, Mann, Heterosexueller, biologische Frau und so weiter) als „privilegiert“geoutet wird – was er oder sie ja häufig auch ist –, stimmt diesen Forderungen oft ohne Nachdenken zu, um das latent schlechte Gewissen loszuwerden und sich auf die gute Seite zu schlagen. Das sieht nach einem lohnenden moralischen Geschäft aus, ist jedoch für unser Zusammenleben reines Gift.