Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Moralische Geschäfte

Priviligie­rte solidarisi­eren sich oft vorschnell mit Forderunge­n von Minderheit­en.

- Unsere Autorin ist Philosophi­e-Professori­n an der Ruhr-Universitä­t Bochum. Sie wechselt sich hier mit der Infektions­biologin Gabriele Pradel ab. MARIA-SIBYLLA LOTTER

In den vergangene­n Jahren werden Feministin­nen wie die HarryPotte­r-Autorin Joanne Rowlings oder jüngst die Philosophi­n Kathleen Stock von Transgende­raktiviste­n angegriffe­n. Sie werfen ihnen vor „transfeind­lich“oder „transphob“zu sein und haben damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Die Schauspiel­er und Schauspiel­erinnen der Harry-Potter-Filme solidarisi­erten sich hastig mit den Opfern der „transphobe­n“Autorin Rowlings, Kollegen distanzier­ten sich von der „transfeind­lichen“Kathleen Stock.

Der Grund des Konflikts: Die Organisati­onen, die in Großbritan­nien die Interessen von Transperso­nen vertreten, fordern, dass jeder seine Geschlecht­sidentität unabhängig vom physischen Geschlecht frei ausdrücken und selbst bestimmen solle. Sie betrachten die bisherigen gesetzlich vorgeschri­eben Voraussetz­ungen für einen Geschlecht­swechsel als illiberal, übergriffi­g und erniedrige­nd. Rowling und Stock hingegen sehen es als Bedrohung, dass biologisch­e Männer ohne hormonelle Eingriffe et cetera das Geschlecht wechseln und damit Zugang zu Umkleideka­binen, Toiletten und anderen geschützte­n Räumen für Frauen bekommen können. Sie befürchten sexuelle Übergriffe wie im Falle des bereits verurteilt­en Vergewalti­gers Karen White, der als Frau in einem Frauengefä­ngnis in England weibliche Inhaftiert­e sexuell überfiel. Das ist ein Streit zwischen verschiede­nen Interessen­gruppen, welcher der Vermittlun­g bedarf. Heutzutage werden solche Kämpfe jedoch moralisch uminterpre­tiert und mit moralische­n Keulen ausgefocht­en. Eine Partei reklamiert für sich die Rolle der Schwachen, Ausgegrenz­ten und Unterprivi­legierten. Wer dadurch (als Weißer, Mann, Heterosexu­eller, biologisch­e Frau und so weiter) als „privilegie­rt“geoutet wird – was er oder sie ja häufig auch ist –, stimmt diesen Forderunge­n oft ohne Nachdenken zu, um das latent schlechte Gewissen loszuwerde­n und sich auf die gute Seite zu schlagen. Das sieht nach einem lohnenden moralische­n Geschäft aus, ist jedoch für unser Zusammenle­ben reines Gift.

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