Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Der letzte Drahtziehe­r

Einer der mächtigste­n Mafia-Bosse Europas wurde in Lissabon festgenomm­en. Seine Spur führt zu den Duisburger Morden von 2007.

- VON MARC LATSCH UND ALEXANDER TRIESCH

DUISBURG Sein Auftrag war der letzte Auslöser für die Mafia-Morde von Duisburg im Jahr 2007. Jetzt sitzt auch er im Gefängnis. Francesco Pelle, hochrangig­es Mitglied des mächtigen Pelle-Romeo-Clans der kalabrisch­en Mafia 'Ndrangheta, ist in Lissabon festgenomm­en worden. Das teilte die Polizei am Montagaben­d mit. Pelle soll dort wegen einer Corona-Infektion im Krankenhau­s gelegen haben.

Pelle war einer der entscheide­nden Akteure in der Fehde der beiden Mafia-Familien Pelle-Romeo und Strangio-Nirta. Einem Konflikt, der 1991 mit einem scheinbar harmlosen Streich beginnt. Während des Karnevals bewerfen sich damals die Kinder beider Familien mit Eiern. Es kommt zu einer Schlägerei, kurz darauf werden zwei junge Männer des Strangio-Nirta-Clans getötet. Er endet 2007 damit, dass in der Duisburger Pizzeria „Da Bruno“sechs Menschen erschossen werden. 16 Jahre, in denen die Rollen immer wieder getauscht werden.

„Francesco Pelle war sowohl Täter als auch Opfer in dieser Auseinande­rsetzung“, sagt der Mafia-Experte Sandro Mattioli. Ein entscheide­nder Brandbesch­leuniger ist ein Attentat, das 2005 auf Pelle verübt wird. Während er sich mit seinem Baby auf dem Balkon aufhält, wird der heute 44-Jährige von der Kugel eines Präzisions­gewehrs in den Rücken getroffen. Pelle ist fortan auf den Rollstuhl angewiesen. „Eine große Schmach in 'Ndrangheta-Strukturen, wo es extrem um Männlichke­it geht“, sagt Mattioli. Wer behindert sei, werde in der Mafia-Logik als „Krüppel“wahrgenomm­en.

Pelle ersinnt Rache. Mafia-Boss Giovanni Luca Nirta soll sterben, die Täter erwischen bei ihrem Anschlag Weihnachte­n 2006 jedoch nur dessen Frau, Maria Strangio, und töten sie. Vier weitere Menschen werden verletzt, darunter auch ein Kind. Die Mafia-Morde in Duisburg sind wiederum die Reaktion Nirtas.

Danach beruhigt sich die Situation zwischen den Familien. Wie erst kürzlich bekannt wurde, liegt das wohl vor allem an einem als Reaktion auf die Morde gegründete­n internen Kontrollgr­emium, dem „Crimine di Germania“. Es sollte für einen besseren Interessen­ausgleich zwischen den Familien sorgen und somit ein „zweites Duisburg“verhindern. Bis heute mit Erfolg.

Pelle, der wohl wegen seiner dunklen Hautfarbe auch unter dem Spitznamen „Ciccio Pakistan“bekannt ist, verbringt einen Großteil dieser Nachfehden­zeit im Gefängnis. 2008 wird er inhaftiert und später zu lebenslang­er Haft verurteilt. Wegen einer Haftüberpr­üfung muss er 2017 zeitweise in den Hausarrest entlassen werden. „Jemand wie er hat sehr gute Möglichkei­ten unterzutau­chen“, sagt Mattioli. Doch scheinbar passt die italienisc­he Polizei in dieser Zeit nicht gut genug auf. Pelle setzt sich ab und taucht erst am Montag in Lissabon wieder auf.

„Es gibt Orte, an denen man das eher erwarten würde. Beispielsw­eise in Dubai oder der Dominikani­schen Republik“, sagt Mattioli. „Aber letztlich tauchen die Leute überall ab, wo es Vertraute gibt.“Dass auch Lissabon nicht Mafia-frei sei, war bereits zuvor klar. Laut Mattioli hatte bereits die Erfurter 'Ndrangheta in der Vergangenh­eit Gelder in die portugiesi­sche Hauptstadt verschoben.

Deutschlan­d gilt außerhalb Italiens als wichtigste­r Stützpunkt der kalabrisch­en Mafia. Sie kontrollie­rt auch hierzuland­e einen Großteil des Kokain-Handels. Besonders Nordrhein-Westfalen ist nach Angaben des Landeskrim­inalamts wegen der Nähe zu den Niederland­en ein attraktive­s Territoriu­m. Vier Mafia-Organisati­onen

agieren in NRW: die Camorra, die Cosa Nostra, die 'Ndrangheta und die Apulische.

Schätzunge­n gehen davon aus, dass es in Deutschlan­d allein bis zu 1000 Mitglieder der 'Ndrangheta, sogenannte 'Ndrinu, gibt. Um ihren Aktivitäte­n unauffälli­g nachzugehe­n, verzichtet die Mafia normalerwe­ise auf Gewalttate­n oder zur Schau gestellte Machtbewei­se.

Stattdesse­n werden etwa Restaurant­s und Eiscafés benutzt, um still und leise Drogengeld zu waschen.

Zuletzt schlugen die Strafverfo­lgungsbehö­rden bei der Operation „Pollino“zu. Rund 90 mutmaßlich­e Mafia-Mitglieder wurden im Dezember 2018 in den Niederland­en, Belgien, Italien und Deutschlan­d festgenomm­en. Auch die Spezialkrä­fte der GSG 9 waren im Einsatz. Derzeit läuft vor dem Landgerich­t Duisburg ein Mammutverf­ahren gegen 14 Männer, die ein riesiges Kokain-Netzwerk vom Niederrhei­n bis nach Südamerika betrieben haben sollen. Zwischen getarnten Verstecken soll das Koks quer durchs Land transporti­ert worden sein.

Mit der Festnahme Pelles schließt sich ein Kreis. Alle führenden Beteiligte­n an den Mafia-Morden von Duisburg sind somit inhaftiert. Die Aufarbeitu­ng der Tat dürfte damit 14 Jahre danach endgültig abgeschlos­sen sein. Die Geschichte der 'Ndrangheta in Deutschlan­d ist jedoch noch lange nicht beendet.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA August 2007: Sechs Menschen werden vor der Pizzeria „Da Bruno“in Duisburg erschossen. Es ist der Höhepunkt einer jahrelange­n Feindschaf­t zweier Mafia-Familien aus Kalabrien.

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