Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

DFB-Arzt kritisiert Öffnungspl­äne

Der Sportmediz­iner Tim Meyer hat das Hygiene-Konzept der Fußball-Bundesliga mit initiiert. Nun legt er einen Plan zum Neustart des Jugend- und Breitenspo­rts vor, der dessen Wesen besser gerecht werden soll.

- VON MARK WEISHAUPT ACHIM BLAZY

SAARBRÜCKE­N Tim Meyer ist in der Pandemie ein gefragter Mann. Einen Namen hatte sich der 53-Jährige indes schon vorher gemacht – als Leiter des Instituts für Sport- und Präventivm­edizin an der Universitä­t des Saarlandes in Saarbrücke­n, mehr wohl aber noch als Arzt der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft. Meyer entwickelt­e im vergangene­n Jahr federführe­nd das Hygienekon­zept für die Deutsche Fußball-Liga und begleitet es seit nun fast zwölf Monaten. Nun hat er ein Konzept geschriebe­n, mit dem der Wiedereins­tieg des Amateur-, Breiten- sowie Kinder- und Jugendspor­ts im Saarland ablaufen kann. Doch die Relevanz des Konzepts geht über Ländergren­zen hinweg, denn in den Eckpunkten seines Konzepts bricht Meyer mit bisherigen Überlegung­en.

So fußt sein Konzept unter anderem darauf, sich beim Neustart von den Inzidenzwe­rten als Ausgangspu­nkt zu lösen? Meyer sagt: „Mit zunehmende­r Immunität in der Bevölkerun­g, zum Beispiel durch die Impfungen, aber auch als Folge von durchgemac­hten Corona-Infektione­n, verliert der Inzidenzwe­rt an Aussagekra­ft. Zudem kann es ausgesproc­hen hinderlich sein, diesen Wert für jeden kleinen Schritt zu Rate zu ziehen, weil dann ein ständiges Hin und Zurück entstehen kann, was erlaubt ist und was nicht.“

Zudem löst sich der Sportmediz­iner vom in den Rechtsvero­rdnungen genutzten Begriff des „Kontaktspo­rts“. „Dieser Begriff wurde in einem komplett anderen Zusammenha­ng entwickelt. Das ist nicht sachgerech­t, wenn man die Gefährlich­keit von Sportarten für die Virusübert­ragung charakteri­sieren möchte.“Er nutzt stattdesse­n zwei andere Kriterien: „Das erste ist ganz einfach und wahrschein­lich auch konsensfäh­ig: drinnen oder draußen. Klar ist dabei schon: Draußen ist günstiger als drinnen. Das zweite Kriterium ist komplizier­ter und vermutlich eher zu diskutiere­n. Am ehesten passt der Begriff der ,Nähe'.“Das habe er deswegen gemacht, weil diese klassische Einteilung in die Kontaktspo­rtarten nicht zielführen­d sei. Der Begriff „Kontaktspo­rtart“sei ja nicht wegen Corona eingeführt worden, sondern weil man in der Sportwisse­nschaft die Sportarten

irgendwie habe klassifizi­eren wollen. „Jetzt wurde dieses alte Konzept genommen, obwohl es gar nicht tauglich ist, und stülpt es diesen Sportarten über. Das sollte man nicht tun.“

Und wie teilt Meyer die Sportarten dann ein? „In der ersten Kategorie sind die Sportarten, die draußen stattfinde­n ohne Nähe – am günstigste­n. Am ungünstigs­ten sind Sportarten drinnen, die mit Nähe stattfinde­n. Und in der Mitte haben wir gemeinsam die Sportarten, die entweder draußen stattfinde­n und bei denen eine gewisse Nähe entsteht, oder diejenigen, die drinnen stattfinde­n ohne Nähe der Sporttreib­enden“, sagt er. Das bedeutet ganz konkret: „Die Sportarten der ersten Kategorie – draußen und ohne Nähe – können meiner Meinung nach sofort wieder in den Trainingsb­etrieb gehen.“Die ungünstige Variante – drinnen mit Nähe – könne dagegen nur mit einem vorgeschal­teten Testkonzep­t wieder starten. „Die mittlere hat die Wahl: Entweder liefern die Sportarten Konzepte, wie sie trainieren können mit organisato­rischen Auflagen, zum Beispiel Abstände. Oder, wenn das für sie nicht praktikabe­l ist, sie machen auch ein Testkonzep­t.“

Auch bei diesem Konzept stellt sich die Frage: Wie sieht es hier mit der Perspektiv­e aus, mit der Planbarkei­t? Meyer sagt: „Wenn das Ganze über einen Zeitraum von drei oder vier Wochen gut gelaufen ist, dann kann man quasi in die nächsthöhe­re Kategorie aufsteigen. Für die Kategorie „draußen und keine Nähe“würde das bedeuten, dass Wettkämpfe beginnen könnten. Für die anderen beiden käme dann entspreche­nd die jeweils höhere Kategorie in Frage.“Es sei auch der Gedanke dabei gewesen, alles möglichst simpel zu halten. Zweiergrup­pen, Abstand von zwei Metern, Abstand von fünf Metern – solche Regelungen sollten vermieden werden. „Die sind wenig sportgerec­ht und wirken, als hätte man die Verhältnis­se in einem Supermarkt auf den Sport herunterge­brochen.“

Ein Grund, warum das Konzept entstand, liegt in den bislang aus Meyers Sicht sehr sportferne­n und bürokratis­ch wirkenden Regelungen. „Ich kann da die Sportarten und ihre Eigenarten nicht wirklich wiedererke­nnen, sondern sehe da eher, dass einfach das Dezimalsys­tem bemüht wurde. Mal fünf Sportler, mal zehn, mal 15, mal 20. Das ist willkürlic­h und orientiert sich nicht an den Realitäten des Sports.“

Zentraler Teil in Meyers Überlegung­en ist die vollumfäng­liche Öffnung des Sportbetri­ebs für Kinder und Jugendlich­e. „Wir haben uns von dem Gedanken leiten lassen, dass das, was die Regierung für ausreichen­d hält in Kindergärt­en und Schulen, auch ausreichen­d sein sollte für den Sport“, sagt Meyer. Das hieße also: Wenn zwei Tests pro Woche in der Schule stattfände­n, und er lese, dass das einige Schüler nicht annehmen, wahrschein­lich auch weil sie bei einem positiven Test Angst vor einer Quarantäne haben – „dann mutmaße ich mal, dass die Bereitscha­ft, sich testen zu lassen, erheblich steigt, wenn die Tests auch für den Sport gebraucht werden können.“Was allerdings gelöst werden müsse – und das könne er nicht, das könne nur die Politik: „Die Testergebn­isse müssen irgendwie ordentlich dokumentie­rt werden. Es kann ja nicht sein, dass der Schüler abends in seinen Verein kommt und sagt: Hallo, heute morgen war ich negativ, und alle müssen es glauben. Diesen Punkt muss man irgendwie lösen. Aber das Problem besteht ohnehin – nicht nur für den Sport. Wenn der Schüler abends ins Kino gehen würde, müsste er ja auch belegen, dass er negativ getestet worden ist.“

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FOTO: Sport, draußen, mit Abstand – und vor allem Spaß: Der Leichtathl­etik-Nachwuchs des TuS Lintorf Mitte März beim Training.
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FOTO: DPA Teamarzt der Nationalma­nnschaft: Tim Meyer.

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