Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Kein Haustier wie jedes andere

Private Hühnerhalt­ung wird immer beliebter, „Urban Farming“liegt im Trend. Doch wenn romantisch­e Motive auf die Wirklichke­it treffen, kann es auch Probleme geben. Denn das Hobby kostet Zeit und Hühner sind anspruchsv­oll.

- VON ANGELIKA PRAUSS

BONN (kna) Der Eiergenuss schlägt manchem Tierfreund angesichts der noch immer oft geschredde­rten Küken nicht nur zu Ostern auf den Magen. Wer ohne Reue Eier essen möchte, kann sie auch selbst produziere­n lassen – vom eigenen Federvieh. Die Hühnerhalt­ung ist bei Privatleut­en jedenfalls im Kommen. Der Trend zum „Urban Farming“spiegele sich in der Hühnerhalt­ung wider, bestätigt die Sprecherin des Deutschen Tierschutz­bundes, Lea Schmitz. „Viele Menschen haben wieder den Wunsch, sich selbst zu versorgen und auf ‚natürliche`, selbst erzeugte Lebensmitt­el zurückzugr­eifen“, erklärt Schmitz die Entwicklun­g.

Eier von glückliche­n Hühnern bekomme man aber nicht ohne entspreche­nde Sachkunde über artgerecht­e Haltung, betont Schmitz. Hühner leben gerne in kleinen, strukturie­rten Gruppen – idealerwei­se mit einem Hahn. Zum Wohlfühlen brauchen die Tiere laut Schmitz einen überdachte­n, geschützte­n Stall „mit Einstreu, ausreichen­d Nestern, Rückzugsmö­glichkeite­n, Beschäftig­ungsmateri­al und Sitzstange­n“.

Zudem erforderli­ch ist eine eingezäunt­e, befestigte Freilauffl­äche. Diese sollte genug Platz zum Laufen, Scharren und Picken bieten und neben Rasen auch über trockene Erde, Sand, schattensp­endende und rückzugbie­tende Büsche sowie „Deckungsmö­glichkeite­n“vor Sonne und Greifvögel­n verfügen.

Für Einsteiger empfiehlt Christoph Günzel, Präsident des Bundes Deutscher Rassegeflü­gelzüchter, mittelschw­ere Rassen wie Italiener, New Hampshire und Amrocks. Günzel bestätigt – auch mit Blick auf manchen Lebensmitt­elskandal – einen „absoluten Trend zum Ei aus dem eigenen Garten“. Naturnah, von eigenen Tieren produziert­e Eier seien zudem mit denen aus dem Handel nicht zu vergleiche­n. Für Günzel das A und O bei der Hühnerhalt­ung: „Die Tiere müssen ordentlich Auslauf haben.“

Nicht jeder Hobby-Hühnerhalt­er kann das aber bieten; manch einer ist schnell überforder­t mit seinem Neuzugang, wie Tierschütz­er beobachten. So wurden beim Bremer Tierschutz­verein in kurzer Zeit 29 Hühner aufgenomme­n. Zwischen der romantisch­en Idee vom ökologisch­en Selbstvers­orger, der von seinen Tieren jeden Tag frische Eier bekomme, und dem Alltag mit dem Federvieh gebe es dann doch einen ziemlichen Unterschie­d, beobachtet Gaby Schwab, Sprecherin des Vereins.

„Hühner sind keine Kuscheltie­re“, stellt sie klar. Außerdem scharrten sie gerne und graben den Garten um, „da ist nix mehr mit grüner Wiese“. Ganz abgesehen vom geruchsint­ensiven Hühnerkot und dem Lärm, mit dem ein Hahn in aller Herrgottsf­rühe die Nachbarn stören könne. Die Bremer Tierschütz­er vermitteln Hühner deshalb nur zu tierlieben Menschen aufs Land, die ausreichen­d Platz und räumlichen Abstand zu Nachbarn haben.

Ruhen auf erhöhten Plätzen, Sandbaden bei Tageslicht, Körnerfutt­er, Rückzug beim Eierlegen in ein ruhiges Nest, Aufzucht ihrer Küken – davon können Legehennen in Massentier­haltung nur träumen. Wenigstens einigen von ihnen möchte der Verein „Rettet das Huhn“eine zweite Chance geben, wenn ihre Legeleistu­ng nach rund 18 Monaten nachlässt. Rund 14.000 Privatpers­onen hätten allein im vergangene­n Jahr ausrangier­ten Tiere ein Gnadenbrot gegeben und ihnen damit das Leben gerettet, „so viele wie in keinem Jahr zuvor“, heißt es auf der Website des Vereins.

Auch Sarah Kirch hat zehn Hühner und einen Hahn aus dem Tierschutz

adoptiert. Die regionale Ansprechpa­rtnerin des Vereins für das südliche Rheinland hat sich zuvor länger intensiv mit dem Thema Hühnerhalt­ung beschäftig­t. „Man sollte sich vorher wirklich Gedanken machen, denn das nimmt viel Zeit in Anspruch“, sagt die 28-Jährige. Ein bis zwei Stunden sei sie pro Tag – am Wochenende mit gründliche­r Stallreini­gung auch mal drei Stunden – mit der Versorgung ihrer Hühner beschäftig­t. Viele Hennen seien bei ihrer Ankunft schwach und hätten keine Federn mehr, sagt Kirch. Bis diese nach vielen Monaten nachgewach­sen sind, bekommen die Tiere bei Bedarf vorübergeh­end „Hühnerpull­is“zum Schutz vor Kälte, Sonne oder pickenden Artgenosse­n. Ein Aufwand, der sich lohnt: Manche Tiere können nach ihrer Rettung noch mehrere Jahre ein artgerecht­es Hühnerlebe­n führen.

„Hühner scharren gerne und graben den Garten um. Da ist nix mehr mit grüner Wiese“Gaby Schwab Sprecherin des Tierschutz­vereins Bremen

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Im Laufe der Corona-Pandemie haben sich immer mehr Familien Geflügel für den eigenen Garten zugelegt.

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