Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Entspannung auf die litauische Art
In Deutschland gibt es etwa 158 Heilbäder. Lohnt es sich dennoch für Wellness-Freunde und Medizintouristen, nach Corona ein Ziel im Ausland ins Auge zu fassen? Auf der Suche nach einer außergewöhnlichen Destination wurden wir in Druskininkai fündig.
Druskininkai ist mit Abstand das größte Heilbad Litauens. Rund 130 Kilometer von der Hauptstadt Vilnius entfernt, liegt es in riesigen Kiefernwäldern versteckt. Auf der zweistündigen Busfahrt tauchen ab und an Seen, Flüsse und kleine Siedlungen auf, bis urplötzlich ein überdimensionales Schild jeden neuen Gast im Wellnessund Kur-Resort Druskininkai begrüßt.
1837 von Zar Nikolaus I. als Heilbad auserkoren, kurierten hier viele Jahrzehnte vornehmlich zaristische Beamte ihre körperlichen Beschwerden aus. Zu sowjetischen Zeiten entstand ein Volksheilbad. Jetzt wird seit einigen Jahren modernisiert und neu gebaut. Unser Anlaufpunkt ist zunächst der Aqua-Park. Auf den ersten Blick ein Spaßbad, wie man es in vielen großen Städten findet, mit Rutsche, Whirlpools, Strömungskanal, Mineralwasserbecken. Doch beim Besuch der Blockhaussauna mit einem riesigen Backsteinofen wird klar, dass man unter „Spaß“hier etwas anderes versteht. Dünnbrettbohrer sind die Litauer wahrlich nicht, ein Saunagang unter 100 Grad Lufttemperatur scheint für sie nicht infrage zu kommen. Noch heißer geht es in der „Extremsauna“zu, in der bei lauten Hard-Rock-Klängen der Band AC/DC ein Aufguss nach dem anderen die feuchte Luft wie auf einem Highway to Hell zum Brennen bringt. Man trägt Filzhüte, um die Haarpracht zu schützen. Wer glaubt, nun das Extremste überstanden zu haben, wird in der traditionellen litauischen Sauna eines Besseren belehrt. 25 Minuten lang peitschen Zweigbündel mit Eichenblättern auf die nackte Haut als hätte man sich in ein Sado-Maso-Studio verirrt. Es scheint wie ein Wunder, dass der Körper anschließend statt Schmerzen ein Wohlgefühl verspürt.
Wesentlich entspannter geht es auf den Wandelgängen des Gesundheitszentrums zu, das über das Hotel „Flores“mit dem Aqua-Park verbunden ist. Bedächtig nippen Gäste in weißen Bademänteln an ihren mit Mineralwasser gefüllten Bechern. Bei rund 50 Brunnen haben sie die Qual der Wahl zwischen einem Salzgehalt von zweieinhalb bis 60 Gramm pro
Liter mit unterschiedlichster Zusammensetzung. „Druskininkai verfügt über die größte mineralische Bandbreite aller europäischen Heilbäder“, sagt Fayed Zivile vom örtlichen Tourismusverband. Dementsprechend vielschichtig sind auch die Anwendungsbereiche. Über einen langen Gang mit individuellen Behandlungsräumen für Mineral- und
Schlammbäder führt sie uns in das medizinische Zentrum des hochmodernen Komplexes. Jeder Raum ist für spezielle Anwendungen ausgestattet, von Inhalationsapparaten, Licht-, Magnet-, Elektro- und Ultrasoundtherapie, über Massageräume und Aquagymnastik bis zu einem Ganzkörper-Kältemodul, das bei minus 160 Grad gegen Gelenkentzündungen
und Muskeltraumata Anwendung findet. Gänge, die zu mehreren der 15 großen Hotels im Ort führen, sorgen für einen barrierefreien Zugang.
Viele der Gäste aus den Nachbarländern sowie aus Skandinavien, Deutschland und England verbinden ihren Spa-Aufenthalt mit einem Abstecher nach Vilnius. Die Metropole mit ihren 600.000 Einwohnern
besticht durch ihre gut erhaltene, alte Bausubstanz, gemischt aus Stilelementen der Gotik, Renaissance, des Barock und des Neoklassizismus. Als eine der besterhaltenen und größten Altstädte Osteuropas erlangte das historische Zentrum bereits 1994 den Unesco-Welterbestatus. Auf und um den Kathedralenplatz sowie in nahezu jeder kleinen Straße trifft man im „Rom des Ostens“auf prächtige Kirchen mit beeindruckenden Altären und Kapellen. Fragt man die Einheimischen nach der Anzahl der sakralen Stätten, so variiert die Antwort zwischen 38 und 60, keiner weiß es ganz genau. Ebenso beeindruckend ist der Besuch einer der ältesten Universitäten Europas mit ihren
meisterhaften Wandmalereien und wertvollen historischen Dokumenten. Ihre Gründung reicht bis in das Jahr 1579 zurück.
Bequem lässt sich die Altstadt zu Fuß erkunden. Es macht Spaß, durch die engen Gassen zu schlendern, die von der Pilies Gatve abzweigen. So erfährt man in einer der Bernsteinwerkstätten mehr über das traditionelle und moderne Kunsthandwerk, das in Vilnius allgegenwärtig ist, lässt sich in gemütlichen Gaststätten vom Erfindungsreichtum der Litauer in Sachen Kartoffelspeisen überraschen oder unternimmt im Restaurant „Nineteen18“eine Genussreise durch die kreative Gourmetküche der Hauptstadt. Wenige hundert Meter entfernt betritt man den Boden der eigenständigen Republik Uzupis, ein von Bohemiens bewohnter Stadtteil voller Ateliers, Kunstgalerien, Modeboutiquen und Szenekneipen. Künstlerischer Freigeist inmitten einer Kirchenmetropole – kein Problem für die toleranten Litauer, für die ein liberaler Geist zu einem gesunden Körper gehört.