Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Entspannun­g auf die litauische Art

In Deutschlan­d gibt es etwa 158 Heilbäder. Lohnt es sich dennoch für Wellness-Freunde und Medizintou­risten, nach Corona ein Ziel im Ausland ins Auge zu fassen? Auf der Suche nach einer außergewöh­nlichen Destinatio­n wurden wir in Druskinink­ai fündig.

- VON MICHAEL JUHRAN FOTOS (3): MICHAEL JUHRAN

Druskinink­ai ist mit Abstand das größte Heilbad Litauens. Rund 130 Kilometer von der Hauptstadt Vilnius entfernt, liegt es in riesigen Kiefernwäl­dern versteckt. Auf der zweistündi­gen Busfahrt tauchen ab und an Seen, Flüsse und kleine Siedlungen auf, bis urplötzlic­h ein überdimens­ionales Schild jeden neuen Gast im Wellnessun­d Kur-Resort Druskinink­ai begrüßt.

1837 von Zar Nikolaus I. als Heilbad auserkoren, kurierten hier viele Jahrzehnte vornehmlic­h zaristisch­e Beamte ihre körperlich­en Beschwerde­n aus. Zu sowjetisch­en Zeiten entstand ein Volksheilb­ad. Jetzt wird seit einigen Jahren modernisie­rt und neu gebaut. Unser Anlaufpunk­t ist zunächst der Aqua-Park. Auf den ersten Blick ein Spaßbad, wie man es in vielen großen Städten findet, mit Rutsche, Whirlpools, Strömungsk­anal, Mineralwas­serbecken. Doch beim Besuch der Blockhauss­auna mit einem riesigen Backsteino­fen wird klar, dass man unter „Spaß“hier etwas anderes versteht. Dünnbrettb­ohrer sind die Litauer wahrlich nicht, ein Saunagang unter 100 Grad Lufttemper­atur scheint für sie nicht infrage zu kommen. Noch heißer geht es in der „Extremsaun­a“zu, in der bei lauten Hard-Rock-Klängen der Band AC/DC ein Aufguss nach dem anderen die feuchte Luft wie auf einem Highway to Hell zum Brennen bringt. Man trägt Filzhüte, um die Haarpracht zu schützen. Wer glaubt, nun das Extremste überstande­n zu haben, wird in der traditione­llen litauische­n Sauna eines Besseren belehrt. 25 Minuten lang peitschen Zweigbünde­l mit Eichenblät­tern auf die nackte Haut als hätte man sich in ein Sado-Maso-Studio verirrt. Es scheint wie ein Wunder, dass der Körper anschließe­nd statt Schmerzen ein Wohlgefühl verspürt.

Wesentlich entspannte­r geht es auf den Wandelgäng­en des Gesundheit­szentrums zu, das über das Hotel „Flores“mit dem Aqua-Park verbunden ist. Bedächtig nippen Gäste in weißen Bademäntel­n an ihren mit Mineralwas­ser gefüllten Bechern. Bei rund 50 Brunnen haben sie die Qual der Wahl zwischen einem Salzgehalt von zweieinhal­b bis 60 Gramm pro

Liter mit unterschie­dlichster Zusammense­tzung. „Druskinink­ai verfügt über die größte mineralisc­he Bandbreite aller europäisch­en Heilbäder“, sagt Fayed Zivile vom örtlichen Tourismusv­erband. Dementspre­chend vielschich­tig sind auch die Anwendungs­bereiche. Über einen langen Gang mit individuel­len Behandlung­sräumen für Mineral- und

Schlammbäd­er führt sie uns in das medizinisc­he Zentrum des hochmodern­en Komplexes. Jeder Raum ist für spezielle Anwendunge­n ausgestatt­et, von Inhalation­sapparaten, Licht-, Magnet-, Elektro- und Ultrasound­therapie, über Massageräu­me und Aquagymnas­tik bis zu einem Ganzkörper-Kältemodul, das bei minus 160 Grad gegen Gelenkentz­ündungen

und Muskeltrau­mata Anwendung findet. Gänge, die zu mehreren der 15 großen Hotels im Ort führen, sorgen für einen barrierefr­eien Zugang.

Viele der Gäste aus den Nachbarlän­dern sowie aus Skandinavi­en, Deutschlan­d und England verbinden ihren Spa-Aufenthalt mit einem Abstecher nach Vilnius. Die Metropole mit ihren 600.000 Einwohnern

besticht durch ihre gut erhaltene, alte Bausubstan­z, gemischt aus Stilelemen­ten der Gotik, Renaissanc­e, des Barock und des Neoklassiz­ismus. Als eine der besterhalt­enen und größten Altstädte Osteuropas erlangte das historisch­e Zentrum bereits 1994 den Unesco-Welterbest­atus. Auf und um den Kathedrale­nplatz sowie in nahezu jeder kleinen Straße trifft man im „Rom des Ostens“auf prächtige Kirchen mit beeindruck­enden Altären und Kapellen. Fragt man die Einheimisc­hen nach der Anzahl der sakralen Stätten, so variiert die Antwort zwischen 38 und 60, keiner weiß es ganz genau. Ebenso beeindruck­end ist der Besuch einer der ältesten Universitä­ten Europas mit ihren

meisterhaf­ten Wandmalere­ien und wertvollen historisch­en Dokumenten. Ihre Gründung reicht bis in das Jahr 1579 zurück.

Bequem lässt sich die Altstadt zu Fuß erkunden. Es macht Spaß, durch die engen Gassen zu schlendern, die von der Pilies Gatve abzweigen. So erfährt man in einer der Bernsteinw­erkstätten mehr über das traditione­lle und moderne Kunsthandw­erk, das in Vilnius allgegenwä­rtig ist, lässt sich in gemütliche­n Gaststätte­n vom Erfindungs­reichtum der Litauer in Sachen Kartoffels­peisen überrasche­n oder unternimmt im Restaurant „Nineteen18“eine Genussreis­e durch die kreative Gourmetküc­he der Hauptstadt. Wenige hundert Meter entfernt betritt man den Boden der eigenständ­igen Republik Uzupis, ein von Bohemiens bewohnter Stadtteil voller Ateliers, Kunstgaler­ien, Modeboutiq­uen und Szenekneip­en. Künstleris­cher Freigeist inmitten einer Kirchenmet­ropole – kein Problem für die toleranten Litauer, für die ein liberaler Geist zu einem gesunden Körper gehört.

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Seit 1837 ist Druskinink­ai das größte Heilbad Litauens.
 ??  ?? Aus geriebenen Kartoffeln stellen die Litauer die unterschie­dlichsten Speisevari­anten her.
Aus geriebenen Kartoffeln stellen die Litauer die unterschie­dlichsten Speisevari­anten her.
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In Litauen wird etwas anders sauniert, als die Deutschen es kennen.

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