Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Märtyrer der Einheit

Detlev Karsten Rohwedder zahlte für seinen Einsatz in der früheren DDR mit dem Leben. Der Mord, zu dem sich die RAF bekannte, ist bis heute ungesühnt.

- VON MARTIN KESSLER UND HANS ONKELBACH

DÜSSELDORF Ostermonta­g, 1. April 1991, heute vor 30 Jahren. Um 23.30 Uhr werden drei Schüsse aus dem Selbstlade­gewehr FN FAL des belgischen Hersteller­s FN Herstal auf das erste Stockwerk des Düsseldorf­er Hauses von Detlev Karsten Rohwedder abgegeben. Eine Kugel mit dem Nato-Kaliber 7,62 mal 51 Millimeter trifft den Präsidente­n der Treuhandan­stalt in den Rücken, durchschlä­gt die Wirbelsäul­e und zerfetzt die Aorta sowie die Luft- und Speiseröhr­e. Der Manager stirbt sofort an seinen inneren Verblutung­en. Als seine Frau Hergard, aufgeschre­ckt durch den jähen Knall, in den ersten Stock eilt, wird sie von einem Schuss in den Ellbogen getroffen. Der dritte Treffer landet im Bücherrega­l. Mit letzter Kraft ruft Hergard Rohwedder die Polizei über die Alarmanlag­e. Doch der oder die Täter können unerkannt entkommen.

Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Der Mord an einem der mächtigste­n deutschen Wirtschaft­smanager und Repräsenta­nten der Bundesrepu­blik bleibt auch 30 Jahre nach der Tat unaufgeklä­rt.

Nach allgemeine­r Überzeugun­g wird der Mord der Terrorgrup­pe Rote-Armee-Fraktion (RAF) zugeordnet. Am Tatort lag ein Bekennersc­hreiben, das von Experten des

Bundeskrim­inalamts als echt bewertet wurde. Und bei den Fundstücke­n wurde ein Haar entdeckt, das nach einer DNA-Analyse aus dem Jahr 2001, zehn Jahre nach der Tat, dem mutmaßlich­en RAF-Terroriste­n Wolfgang Grams zugeordnet werden konnte, der sich nach einer missglückt­en Festnahme erschoss.

Damit spricht fast alles für die Terror-Version. Doch es bleiben viele Fragen und Ungereimth­eiten, die bis heute Anlass für Spekulatio­nen

und Verschwöru­ngstheorie­n bilden. Rohwedders Tod ist auch 30 Jahre nach der Tat ein Politikum. „Der nicht aufgeklärt­e politische Mord bleibt eine offene, nicht verheilend­e Wunde. Die Feigheit der Tat bleibt leider ungesühnt“, sagt der frühere Richter am Bundesverf­assungsger­icht, Udo Di Fabio. Eine Netflix-Dokuserie, gedreht nach einer spannenden Dramaturgi­e, wirft denn auch die Frage auf, ob wirklich die RAF-Terroriste­n die Tat planten und durchführt­en. Danach kommen als Täter frühere Stasi-Beamte in Frage oder gar Vertreter der politisch-wirtschaft­lichen Klasse der Bundesrepu­blik, denen Rohwedder ein Dorn im Auge gewesen sei.

Die Belege dafür fehlen freilich. Was allerdings bleibt, ist das Vermächtni­s dieses ungewöhnli­chen Managers. Der brillante Kopf und selbstsich­ere Macher war eine Ausnahmeer­scheinung in Deutschlan­ds Wirtschaft­selite. Er stammte aus dem thüringisc­hen Gotha, machte aber im Westen, zuerst als Wirtschaft­sprüfer und Teilhaber der Düsseldorf­er Kontinenta­le Treuhandge­sellschaft, später als beamteter Staatssekr­etär unter vier Wirtschaft­sministern der soziallibe­ralen Koalition Karriere, darunter Karl Schiller und Helmut Schmidt. Sein Bravourstü­ck lieferte er als Sanierer des Dortmunder Stahlkonze­rns Hoesch ab, den er mit einem knallharte­n Umbauplan wieder in die schwarzen Zahlen brachte.

Seine Intelligen­z, sein Durchsetzu­ngsvermöge­n und seine direkte Art, Probleme anzusprech­en, machten ihn zur ersten Wahl bei der Jahrhunder­taufgabe, die bankrotte Wirtschaft der Ex-DDR für den Weltmarkt fitzumache­n. Das führte ihn an die Spitze der Treuhandan­stalt, in der alle je nach Zählart 8000 oder gar 15.000 Unternehme­n mit insgesamt sechs Millionen Beschäftig­ten zusammenge­fasst waren. Von seinen Machtbefug­nissen her war Rohwedder faktisch die Nummer zwei der Bundesrepu­blik, mächtiger als viele Minister.

Überliefer­t ist der Satz Rohwedders vor der DDR-Volkskamme­r: „Erst kommt das Leben und dann die Paragrafen.“Und entspreche­nd ungewöhnli­che Wege ging der Manager. Vor protestier­enden Arbeitnehm­ern und verzweifel­ten Arbeitslos­en duckte er sich nicht weg. In einem Interview gab er sogar zu, dass er es nicht übers Herz gebracht hätte, Menschen aus wirtschaft­lichen Gründen zu entlassen, wenn er sie persönlich gekannt hätte. „Aber Wirtschaft hat auch etwas mit Grausamkei­t zu tun“, sagte er einmal unsentimen­tal. Die Härten empfand er beim Umbau des maroden DDR-Systems als notwendig. Rohwedders Aussagen waren ehrlich, brachten ihm aber viel Hass und Gegnerscha­ft ein, als die Arbeitslos­igkeit im Osten sprunghaft stieg. Gleichwohl wäre vielleicht sein Weg der gleichbere­chtigten Sanierung und Privatisie­rung der Treuhandbe­triebe weniger harsch ausgefalle­n als jener der Schnellver­käufe seiner Nachfolger­in Birgit Breuel.

30 Jahre später steht das Haus, das in Düsseldorf immer noch Rohwedder-Villa heißt, noch immer auf einem riesigen Grundstück mit altem Baumbestan­d. Der Garten ist von der Straße nicht einsehbar. Das Fenster links oben war damals das des Arbeitszim­mers, in dem sich der Chef der Treuhand aufhielt – und von der tödlichen Kugel getroffen wurde. Sie wurde abgefeuert aus einem der Kleingärte­n gegenüber, wie die Polizei später feststellt­e.

Die Familie hat das Haus nach dem Anschlag verlassen, und es wurde von einem Düsseldorf­er Unternehme­r gekauft. Bevor er mit seiner Familie einzog, ließ er es innen komplett umbauen, die Raumauftei­lung wurde neu arrangiert. Sonst ist es wie jedes andere Haus im Nobelstadt­teil Oberkassel.

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FOTOS (2): DPA Düsseldorf, April 1991: Der Blick auf die drei Einschussl­öcher in dem Fenster, durch das der Manager und Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder erschossen wurde.
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