Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Wir brauchen Hoffnungsmenschen
Ostern ist der „Gnadeneinbruch“des Himmels in unsere Welt, schreibt unser Autor.
MÖNCHENGLADBACH „Auf Erden gibt es das Recht und Gerechtigkeit gibt es im Himmel“– diese Worte einer Juristin gehen mir nicht aus dem Kopf. Sie hatte sich in ihrem langen Leben mit der Unbegreiflichkeit von so manchem mehr abgefunden als angefreundet. Jeder, der mal mit ihrer Zunft zu tun hatte, weiß, dass Recht und Gerechtigkeit zweierlei sind.
Wir meinen zu wissen, was Gerechtigkeit ist, aber bei näherem Hinsehen wird sie zum Problem: Ist es gerecht, wenn Schüler mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen (hochbegabt, prügelnder Vater, Sorgen um den kranken Großvater) dieselbe Klassenarbeit vorgelegt bekommen? Ist die Entlohnung von Pflegekräften und Fußballspielern gerecht? Teilt das Schicksal seine Schläge gerecht aus? Mir scheint, unsere Sehnsucht nach Gerechtigkeit ist der Versuch, das Leben berechenbar zu machen. Die Debatte über Gerechtigkeit wird wohl so lange andauern wie die Geschichte der Menschheit.
Zweifellos ist Gerechtigkeit ein stets zu erstrebendes Ideal. Und doch bin ich froh, dass die Welt nicht gerecht ist! Denn nur so sind Barmherzigkeit und Gnade möglich. Der Gerechtigkeit kommt immer eine gewisse „Härte“bei. Mal ehrlich: Möchten Sie die Quittung für jede Geschwindigkeitsüberschreitung präsentiert bekommen und für jedes böse Wort, das über Ihre Lippen ging?
Ein gerechtes Leben wäre aufrechenbar: Jeder Unfall, jede Krankheit wäre eine Strafe für irgendetwas. Und das nicht nur für den, den es unmittelbar betrifft, sondern für alle, die ihm verbunden sind: Grausam. Nein, Gerechtigkeit darf nicht überall und jederzeit gelten, sonst wird es gnadenlos.
Vor uns liegt Karfreitag. Jesus wurde nach damaligem Recht verurteilt. Gerecht war das sicher nicht. Was danach kam, war „Gnade pur“: die Grundbotschaft des Christentums: Auferstehung! Unverstehbar und gegen jede Wahrscheinlichkeit geschah etwas, das die Geschichte Jesu weitergehen ließ! Unverdient und unvermutet platzte in die Welt der harten Fakten: Hoffnung! Es gibt eine Gnade des Schicksals! Es geht weiter! Ostern ist der „Gnadeneinbruch“des Himmels in unsere Welt. Seitdem sind wir es uns und allen schuldig zu hoffen! Für die, die wir lieben sowieso. Aber auch für die, für die es auf Erden nichts mehr zu hoffen gibt. Nicht illusionär ein Wunder erwartend (solche Hoffnung nutzt sich rasch ab), aber Hoffnung zur Lebenshaltung werden lassen! Zur Gewissheit, dass es hinter jedem Horizont – und sei es der letzte – weitergeht! Und daraus die Kraft zu bekommen, ganz unaufgeregt das Gebotene zu tun!
Solche Hoffnungsmenschen brauchen wir! In unseren Tagen mal wieder mehr denn je. Denn solche Hoffnung hilft auszuhalten. Hilft mit dem Schicksal zu ringen und mit dem Irrsinn zu kämpfen, der reichlich in der Welt tobt. Solche Hoffnung macht stark, so dass man sogar – wenn's denn sein soll – in Frieden sterben kann. Solche Hoffnung verleiht der Seele Flügel und den Beinen Kraft zu denen zu gehen, die Hoffnung brauchen: Zum Nachbarn mit seinen chronischen Schmerzen und zur erschöpften Alleinerziehenden: Mal einen Einkauf abnehmen, einen Kuchen vor die Tür stellen, einen Ostergruß einwerfen. Sagen: Du bist nicht vergessen. Solche Menschen machen Hoffnung. Bis zuletzt, und wenn sie es schaffen, eine Hand zu halten, sogar darüber hinaus.
Hoffnung verleiht der Seele Flügel und den Beinen Kraft, zu denen zu gehen, die Hoffnung brauchen