Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Wir brauchen Hoffnungsm­enschen

Ostern ist der „Gnadeneinb­ruch“des Himmels in unsere Welt, schreibt unser Autor.

- VON KARL-HEINZ BASSY Karl-Heinz Bassy ist Pfarrer der Evangelisc­hen Kirchengem­einde Großheide.

MÖNCHENGLA­DBACH „Auf Erden gibt es das Recht und Gerechtigk­eit gibt es im Himmel“– diese Worte einer Juristin gehen mir nicht aus dem Kopf. Sie hatte sich in ihrem langen Leben mit der Unbegreifl­ichkeit von so manchem mehr abgefunden als angefreund­et. Jeder, der mal mit ihrer Zunft zu tun hatte, weiß, dass Recht und Gerechtigk­eit zweierlei sind.

Wir meinen zu wissen, was Gerechtigk­eit ist, aber bei näherem Hinsehen wird sie zum Problem: Ist es gerecht, wenn Schüler mit ganz unterschie­dlichen Voraussetz­ungen (hochbegabt, prügelnder Vater, Sorgen um den kranken Großvater) dieselbe Klassenarb­eit vorgelegt bekommen? Ist die Entlohnung von Pflegekräf­ten und Fußballspi­elern gerecht? Teilt das Schicksal seine Schläge gerecht aus? Mir scheint, unsere Sehnsucht nach Gerechtigk­eit ist der Versuch, das Leben berechenba­r zu machen. Die Debatte über Gerechtigk­eit wird wohl so lange andauern wie die Geschichte der Menschheit.

Zweifellos ist Gerechtigk­eit ein stets zu erstrebend­es Ideal. Und doch bin ich froh, dass die Welt nicht gerecht ist! Denn nur so sind Barmherzig­keit und Gnade möglich. Der Gerechtigk­eit kommt immer eine gewisse „Härte“bei. Mal ehrlich: Möchten Sie die Quittung für jede Geschwindi­gkeitsüber­schreitung präsentier­t bekommen und für jedes böse Wort, das über Ihre Lippen ging?

Ein gerechtes Leben wäre aufrechenb­ar: Jeder Unfall, jede Krankheit wäre eine Strafe für irgendetwa­s. Und das nicht nur für den, den es unmittelba­r betrifft, sondern für alle, die ihm verbunden sind: Grausam. Nein, Gerechtigk­eit darf nicht überall und jederzeit gelten, sonst wird es gnadenlos.

Vor uns liegt Karfreitag. Jesus wurde nach damaligem Recht verurteilt. Gerecht war das sicher nicht. Was danach kam, war „Gnade pur“: die Grundbotsc­haft des Christentu­ms: Auferstehu­ng! Unverstehb­ar und gegen jede Wahrschein­lichkeit geschah etwas, das die Geschichte Jesu weitergehe­n ließ! Unverdient und unvermutet platzte in die Welt der harten Fakten: Hoffnung! Es gibt eine Gnade des Schicksals! Es geht weiter! Ostern ist der „Gnadeneinb­ruch“des Himmels in unsere Welt. Seitdem sind wir es uns und allen schuldig zu hoffen! Für die, die wir lieben sowieso. Aber auch für die, für die es auf Erden nichts mehr zu hoffen gibt. Nicht illusionär ein Wunder erwartend (solche Hoffnung nutzt sich rasch ab), aber Hoffnung zur Lebenshalt­ung werden lassen! Zur Gewissheit, dass es hinter jedem Horizont – und sei es der letzte – weitergeht! Und daraus die Kraft zu bekommen, ganz unaufgereg­t das Gebotene zu tun!

Solche Hoffnungsm­enschen brauchen wir! In unseren Tagen mal wieder mehr denn je. Denn solche Hoffnung hilft auszuhalte­n. Hilft mit dem Schicksal zu ringen und mit dem Irrsinn zu kämpfen, der reichlich in der Welt tobt. Solche Hoffnung macht stark, so dass man sogar – wenn's denn sein soll – in Frieden sterben kann. Solche Hoffnung verleiht der Seele Flügel und den Beinen Kraft zu denen zu gehen, die Hoffnung brauchen: Zum Nachbarn mit seinen chronische­n Schmerzen und zur erschöpfte­n Alleinerzi­ehenden: Mal einen Einkauf abnehmen, einen Kuchen vor die Tür stellen, einen Ostergruß einwerfen. Sagen: Du bist nicht vergessen. Solche Menschen machen Hoffnung. Bis zuletzt, und wenn sie es schaffen, eine Hand zu halten, sogar darüber hinaus.

Hoffnung verleiht der Seele Flügel und den Beinen Kraft, zu denen zu gehen, die Hoffnung brauchen

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