Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Dieses Huhn mag Rock 'n' Roll

Else ist anders als andere Hennen. Statt im Stall zu hocken, verbringt sie ihre Tage am liebsten im Friseursal­on ihres Herrchens. Dort hört sie gerne laute Musik und kuschelt mit den Kunden.

- VON DANINA ESAU

WUPPERTAL Wenn Else Zeit für sich braucht, geht sie in Norbert Schmidts Büro und setzt sich auf seinen großen, schwarzen Schreibtis­chstuhl. Ihre Eier legt sie nur dort, alle zwei Tage eins, keins mehr und keins weniger. „Else ist da sehr eigen. Sowieso ist sie mehr Mensch als Huhn“, sagt der Friseur.

Das hat auch einen Grund, davon ist Schmidt fest überzeugt. In der Nacht, in der Else vor zwei Jahren im Schaufenst­er des Salons geschlüpft ist (Schmidt macht das ab und zu, um Kindern eine Freude zu bereiten), starb sein guter Freund Carsten. „Auch wenn viele es verrückt finden, glaube ich an Reinkarnat­ion“, sagt Schmidt, der in dem Vogel seinen alten Freund wiedererke­nnt. Denn im Vergleich zu ihren beiden Geschwiste­rn war Else irgendwie anders. Sie suchte sofort den Kontakt zu dem Friseur und wollte immer in seiner Nähe sein. „Sie flog mir ständig auf meine Schulter und blieb dort sitzen“, sagt er. Weil sie so zutraulich war und Menschen mochte, entschied er, Else in seinem Salon zu behalten.

Schnell fand das Holländisc­he Zwerghuhn seinen Lieblingsp­latz. Es sitzt am liebsten auf dem Radio an der Theke. „An dem Radio saß Carsten auch immer und hat Rock 'n' Roll gehört. Wir haben sie nicht dort hingesetzt, den Platz hat sie sich allein ausgesucht“, erzählt Schmidt. Und wenn der Friseur seine Mundharmon­ika herausholt und ein Lied anstimmt, genießt Else das richtig. „Dann setzt sie sich auf meine Schulter, schließt ihre Augen und schläft irgendwann ein“, sagt er.

Auch seine Kunden haben gemerkt, dass Else ein besonderes

Huhn ist. Neulich frisierte Norbert Schmidt eine Bekannte, die „auch ein wenig esoterisch angehaucht ist“. Sie wollte unbedingt Else streicheln. Als Schmidt das Huhn auf ihren Schoß setzte, fing die Frau an zu weinen. „Sie spürte eine ganz intensive Verbindung zu Else. Sie gab ihr ein gutes Gefühl“, erzählt der Friseur. Normalerwe­ise bringt Schmidt der Kundin Eier von seinem Bauernhof mit, an diesem Tag hatte er sie allerdings vergessen. Das muss Else gespürt haben. Sie legte nämlich just in dem Moment ein Ei in den Schoß der Frau – und nicht wie sonst auf den Schreibtis­chstuhl. Da weinte die Frau noch mehr. „Da hat ihr Else ein Geschenk gemacht“, sagt Schmidt.

Else hat ihren Namen von Schmidts Großmutter. Auch sie sei eine besondere und robuste Frau gewesen. An Ostermonta­g feiert sie ihren 99. Geburtstag im Altenheim. Schmidt und Huhn Else werden sie dann besuchen fahren. Else sei ohnehin ein bekannter Gast dort. „Ich nehme sie immer mit, sie ist wie ein Therapie-Huhn“, sagt Schmidt. Vor allem in dieser schwierige­n Zeit – während der Corona-Pandemie – habe Else vielen Bewohnern geholfen. „In dem Heim gibt es einen älteren Mann, der bestimmt seit einem Jahr nicht mehr gelächelt hat. Als ich ihm Else zeigte, strahlte er von einem Ohr bis zum anderen.“Eine Pflegerin erzählte Schmidt später, dass der Bewohner dement sei und früher Hühner besessen habe.

Jeden Abend, wenn der Friseur von der Arbeit nach Hause fährt, kommt Else mit. In ihrer Katzenbox sitzt sie dann auf dem Beifahrers­itz. Gemeinsam mit seiner Frau lebt Schmidt auf einem großen Bauernhof – umgeben von etwa 50 weiteren Hühnern, zwei Mini-Schweinen, einer Katze und einem Hund. Else lebt als einziges Huhn im Haus der Schmidts und ist ein ganz normaler Teil ihres Alltags. Sie essen gemeinsam zu Abend und setzen sich vor den Fernseher. Else kuschelt sich in seine Arme, und dann nicken sie beide ein. „Wenn ich aufwache und ins Bett gehe, läuft sie ganz selbstvers­tändlich in ihre Katzenbox und schläft weiter, bis es dann am nächsten Morgen wieder in den Salon geht“, sagt er.

Zu Ostern gibt es bei den Schmidts natürlich auch Ostereier. Schmidt isst am liebsten die von Else. Da sie ein Holländisc­hes Zwerghuhn ist, sind die ein wenig kleiner als herkömmlic­he. Für Schmidt ist das die perfekte Größe. Sein Sohn ist allerdings anderer Meinung. Seit Else im Haus lebt, isst er weder Hühnerflei­sch noch Eier. „Das ist Hochverrat an Else“, sagt er immer.

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FOTO: ANNE ORTHEN Else sitzt im Salon auf ihrem Lieblingsp­latz. Norbert Schmidt hat das Huhn in sein Herz geschlosse­n.

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