Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Rock fur den Opernsaal
In den kommenden Wochen porträtieren wir die großen Bands der 70er-Jahre. Den Anfang machen Queen und der vielleicht beste Frontmann überhaupt: Freddie Mercury.
Immer passiert etwas in den Liedern dieser Band, etwas Großes, sie werden nie langweilig, denn das ist das Prinzip dieser Gruppe: Jetzt noch nöcher. Ihr Über-Song zum Beispiel, „Bohemian Rhapsody“, dieses irre Ding, das aus vielen Umfragen als bester Song aller Zeiten hervorgegangen ist, übersteigert jede Regung bis zur Travestie. Warum sollten wir in einem drei Minuten langen Lied drei Mal denselben Refrain singen, schienen Queen zu fragen und fingen in diesem sechs Minuten langen Lied lieber drei Mal einen neuen Song an und verzichteten auf den Refrain. Sie hatten da vorne diesen Typen, den Chef-Charismatiker der Rockgeschichte, den vielleicht besten Performer aller Zeiten. Auf der Bühne war Freddie Mercury überlebensgroß, er war die Personifizierung des Open-Air-Frontmanns. Wenn er mit der Faust in die Luft boxte, wirkte es, als ziehe jemand im Himmel an einem durchsichtigen Faden, der mit Freddies Wirbelsäule verknotet war: „Galileo, Figaro – magnificoo“.
Freddie Mercury hat den treffendsten Satz über seine Band gesagt. „Warum nennen sie sich Queen?“, wurde er gefragt. Darauf er: „Der Name bot sich einfach an für all das, was wir vorhatten.“Queen ist eigentlich gar nicht Rock, jedenfalls nicht solcher, wie viele große Bands der 70er-Jahre ihn verstanden: breite Beine, Phallusgitarre, Whiskeypulle. Bei Queen war Rock näher an der Oper als am Bahnhofsviertel. Als „überproduziertes Monster“bezeichnete eine zeitgenössische Kritik das Album „Queen II“von 1974. Und genau das sollte es sein: Theatralik trifft Heavy Rock, Glam trifft Härte. Beach-Boys-Harmonien und dicke Lippe, Federboa zur Lederhose. Sie nahmen die Instrumente doppelt auf und legten die Tonspuren übereinander: mehr Volumen! Im Hintergrund meinte man stets jemanden zwinkern zu sehen: „Bohemian Rhapsody“ist ein Witz. Aber was für einer.
Farrokh Bulsara hieß Freddie Mercury, als er 1946 in Sansibar geboren wurde. Mit acht kam er auf ein Internat nach Indien, dann flüchteten seine Eltern nach London: Swinging Sixties. Er studierte Modedesign, kleidete sich flamboyant, hörte Jimi Hendrix und fand diese Band toll, die Smile hieß. Der Astrophysik-Doktorand Brian May spielte darin mit dem Zahnmedizin-Studenten Roger Taylor. Freddie wollte mitmachen, die anderen zierten sich zunächst, dann gründeten sie gemeinsam Queen, holten den Bassisten John Deacon dazu und brachten 1974 die Worte „Moët Chandon“und „Marie Antoinette“in einem Popsong unter: „Killer Queen“!
1975 veröffentlichten sie „A Night At The Opera“, das zum damaligen Zeitpunkt teuerste Album aller Zeiten. Es kostete aus heutiger Sicht lächerliche 40.000 Pfund, und die Plattenfirma wollte „Bohemian Rhapsody“auf gar keinen Fall als Single herausbringen. Komischer Aufbau, viel zu lang auch, aber die Band mochte es nicht kürzen. Ein Londoner Radio-DJ spielte es dann an einem Wochenende 14 Mal, und die Hörer riefen massenhaft an: Leute, was ist denn das für ein Brett? Das Lied stand schließlich neun Wochen auf Platz eins der britischen Charts, und der markante kleine Film, den Queen dazu produzierten, gilt als Geburtsstunde des Videoclips.
Queen reiften zu einer der besten Live-Bands ihrer Zeit. Freddie Mercury galt privat als schüchtern, wirkte in der Musik jedoch wie befreit. Wie lässig er sich bewegte. Wie warm selbst die zackigsten Bewegungen wirkten. Wie fein das bei all dem Bombast anmutete. 1985 spielten sie an zwei Tagen vor je 300.000 Menschen bei „Rock in Rio“. Und ihr Auftritt bei „Live Aid“1986 ist der meistgeklickte Live-Mitschnitt im Internet.
Bevor Freddie Mercury offen homosexuell lebte, hatte er eine Freundin. Sie blieben einander verbunden, er vererbte ihr sein Londoner Haus mit den Worten: „Du wärst die Frau gewesen, die ich geheiratet hätte. Es wäre also ohnehin deins gewesen.“Er lebte unter anderem in München, ließ es mit Barbara Valentin im Glockenbachviertel krachen, und die Aftershow-Party nach der Präsentation des Albums „Jazz“1978 in New Orleans soll ein dionysisches Fest mit Schlangenbeschwörern, Fackeln und Kokain auf Silbertabletts gewesen sein. „Wir können uns nicht an alles erinnern, aber das meiste davon stimmt“, sagten die anderen Bandmitglieder über Freddies Exzesse in jener Nacht.
1985 soll Freddie Mercury erfahren haben, er sei HIV-positiv. Er hielt es geheim. 1990 spielte die Band die letzten Aufnahmen ein. Alles stand bereit, und aufgenommen wurde, wenn Freddie fit genug war. „Schreibt, schreibt, ich singe alles. Bearbeiten könnt ihr es, wenn ich fort bin“, soll er gesagt haben. Bei „Mother Love“kam er bis zur vorletzten Zeile, dann konnte er nicht mehr. Den letzten Vers wollte er später singen. Auf der Platte übernimmt ihn Brian May.
Am 23. November 1991 machte Freddie Mercury seine Erkrankung öffentlich. Am Tag danach starb er. Brian May und Roger Taylor treten seit 2004 als Queen+ mit wechselnden Sängern auf. Das letzte Lied, das sie gemeinsam zu Lebzeiten von Freddie Mercury veröffentlichten, hieß „The Show Must Go On“.