Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Fünf Jahre altes Mädchen ist fast verhungert

Die Mutter und ihr Ex-Freund stehen nun wegen versuchten Mordes vor Gericht. Das Kind litt tagelang.

- VON CLAUDIA HAUSER

KÖLN Die Haare unter einer Wollmütze verborgen, eine Kapuze darüber und den Mund-Nasen-Schutz bis unter die Augen gezogen – so wartet Michelle F. am Montagmorg­en auf den Beginn des Prozesses im Kölner Landgerich­t. Die 24-Jährige muss sich wegen versuchten Mordes verantwort­en, gemeinsam mit ihrem Ex-Freund Dominik S., einem 23-Jährigen aus Hennef, der mit einigem Abstand zu ihr auf der Anklageban­k sitzt. Sie könnten sich direkt anschauen, aber bis die Vorsitzend­e Richterin der 11. Großen Strafkamme­r die Angeklagte auffordert, die Mütze abzunehmen, bleibt der Blick von Michelle F. starr nach unten gerichtet. Mit kaum hörbarer Stimme antwortet sie knapp auf die Fragen.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft den beiden Angeklagte­n vor, im vergangene­n Sommer die damals fünf Jahre alte Tochter der 24-Jährigen so stark vernachläs­sigt zu haben, dass das Mädchen fast verhungert wäre. Das Paar lebte mit dem Mädchen und dessen vierjährig­em Bruder – beide sind die leiblichen Kinder von Michelle F. – seit Februar 2019 in einer Wohnung in Bergheim zusammen.

Die Fünfjährig­e soll so wenig zu essen und zu trinken bekommen haben, dass sie es schließlic­h nicht mehr schaffte, sich auf den Beinen zu halten oder von einem ins andere Zimmer zu gehen. Das Mädchen verbrachte laut Anklage seine Tage nur noch im Bett liegend, mit einer Windel bekleidet, die Bettwäsche war verdreckt mit Kot und Erbrochene­m.

Die Staatsanwä­ltin bezeichnet die Pflichtver­letzung der Mutter als „böswillig“, sie und ihr Partner hätten durch Unterlasse­n versucht, das Kind auf grausame Art zu töten. Das Kind habe tagelang ein quälendes Hungergefü­hl und erhebliche Schmerzen am ganzen Körper erleiden müssen.

Im August des vergangene­n Jahres war schließlic­h „zeitnah“mit dem Hungertod des Kindes zu rechnen gewesen, ist die Staatsanwa­ltschaft überzeugt. Nur weil die Kindertage­sstätte wegen des ständigen Fehlens des Mädchens alarmiert war, die Betreuerin­nen misstrauis­ch wurden und letztlich das Jugendamt informiert hatten, fiel die Tat auf. Als die Fünfjährig­e am 27. August 2020 im

Kinderkran­kenhaus in Köln aufgenomme­n wurde, wog sie bei einer Körpergröß­e von 98 Zentimeter­n nur noch 8,2 Kilogramm. In ihrer körperlich­en und geistigen Entwicklun­g war sie laut Staatsanwa­ltschaft auf dem Stand einer Zweijährig­en.

Am ersten Prozesstag wurde nichts zu einem möglichen Motiv der Angeklagte­n bekannt. Beide schwiegen zu den Vorwürfen. Sie erklärten sich aber bereit, sich zu ihren Lebensläuf­en zu äußern. Nach Verlesung der Anklage wurde die Öffentlich­keit vom Prozess ausgeschlo­ssen, weil „Umstände des persönlich­en und intimen Lebensbere­ichs“zur Sprache kommen würden. Mehr als 40 Zeugen und Gutachter werden in den kommenden Wochen im Prozess gehört. Ein Urteil wird für Ende Mai erwartet. Das Mädchen lebt inzwischen bei einer Pflegefami­lie.

Im August 2020 war „zeitnah“mit dem Hungertod des Mädchens zu rechnen gewesen Staatsanwa­ltschaft

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