Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Am Siedepunkt
Eine Polizistin erschießt einen Schwarzen bei einer Polizeikontrolle. Der Fall erinnert an George Floyd.
WASHINGTON Tim Walz, der Gouverneur Minnesotas, versuchte gar nicht, seinen Frust zu verbergen. Es sei dringend geboten, Polizeireformen zu beschließen, mahnte er, nachdem eine harmlos scheinende Kontrolle schon wieder mit dem Tod eines Afroamerikaners endete.
Bereits im Mai vor einem Jahr, nach der Tötung George Floyds, hätte das Parlament seines Bundesstaats handeln müssen, betonte der Demokrat. Und nun, ausgerechnet während des Gerichtsverfahrens in Sachen George Floyd, wiederhole sich das Ganze. Ein 20-Jähriger, Daunte Wright, nicht mehr am Leben, eine Familie am Boden zerstört, eine Stadt, in der die Nerven blank liegen: „Wir sollten endlich aufhören, so zu tun, als wäre dies die natürliche Ordnung des Universums, als könne man nichts dagegen machen“, sagt Walz.
Wieder ist es ein Video, das eine Protestwelle ins Rollen bringt. Aufgenommen von der Body-Cam einer Polizistin, dokumentiert es eine furchtbare Tragödie in Brooklyn Center, einem Vorort von Minneapolis. Nach Darstellung der Behörden war Wright von einer Patrouille angehalten worden, weil mit den Nummernschildern des Buick, in dem er saß, etwas nicht stimmte. Die Zulassung war abgelaufen. Als sich ein Beamter dem Fahrzeug näherte, entdeckte er zudem einen Duftspender, der am Rückspiegel baumelte: In Minnesota ist es verboten, etwas an den Rückspiegel zu hängen. Schließlich ergab eine Computerrecherche, dass es wegen einer kleineren Straftat einen nicht vollstreckten Haftbefehl gegen Wright gab.
Er musste aussteigen, ein Polizist legte ihm Handschellen an, doch bevor die klickten, riss sich Wright los, sprang ins Auto und machte offenbar Anstalten, davonzufahren. In dem Moment, auch dies dokumentiert das Video, warnte ihn eine Uniformierte namens Kim Potter, die Chefin der Patrouille, dass sie von ihrer Elektroschockpistole Gebrauch machen werde. „Taser! Taser! Taser!“, schrie sie, bevor sie feuerte. Und dann: „Holy shit, I shot him“. Potter hatte ihren Elektroschocker mit ihrer Dienstwaffe verwechselt und aus dieser einen Schuss abgegeben. Die Kugel muss Wright, den Vater eines zweijährigen Jungen, tödlich getroffen haben. Zwar gab er noch Gas, doch kurz darauf prallte sein Auto gegen ein anderes. Sanitäter konnten nichts mehr tun. Tim Gannon, der Polizeichef von Brooklyn Center, sprach von einer versehentlichen „Schussabgabe“. Dennoch traten er und Potter zurück und reichten die Kündigung ein.
Katie Wright, Dauntes Mutter, beschrieb einem Lokalsender, wie sie alles aus der Ferne erlebte. Ihr Sohn habe angerufen, um nach der Versicherung für den Wagen, ein Geschenk seiner Eltern, zu fragen. „Ich hörte, wie ein Officer sagte, legen Sie das Handy weg und steigen Sie aus. Daunte, renn' nicht weg, sagte er als Nächstes, während ein anderer wiederholte, er solle das Telefon aus der Hand legen.“Die Verbindung brach ab. Als es Katie Wright eine Minute später noch einmal versuchte, ging dessen Freundin, die auf dem Beifahrersitz saß, ans Handy. Daunte sei erschossen worden.
Brooklyn Center wurde trotz Ausgangssperre an zwei Abenden hintereinander Schauplatz heftiger Proteste. Dutzende Demonstranten versammelten sich vor der Polizeistation, Trittbrettfahrer plünderten ein Geschäft. US-Präsident Joe Biden rief dazu auf, Ruhe zu wahren. Friedliche Demonstrationen seien verständlich, sagte er, für Plünderungen könne es keinerlei Rechtfertigung geben.