Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Der Prozess hat viel aufgewirbe­lt“

Die Mönchengla­dbacher Anwältin vertrat Gretas Mutter als Nebenkläge­rin: Was bleibt nach dem Urteil gegen die Erzieherin?

- RP-FOTO: RAUPOLD

KREIS VIERSEN/MÖNCHENGLA­DBACH Anfang März ist eine Erzieherin für den Mord an der dreijährig­en Greta aus Viersen zu einer lebenslang­en Haftstrafe verurteilt worden. Die 25-Jährige hat dem Mädchen nach Überzeugun­g des Landgerich­ts Mönchengla­dbach im April 2020 in einer Kita in Viersen während des Mittagssch­lafes den Brustkorb bis zum Atemstills­tand zusammenge­drückt. Nach einer Reanimatio­n starb Greta einen Tag nach ihrem dritten Geburtstag im Krankenhau­s.

Wie geht es Gretas Familie?

MARIE LINGNAU Der Prozess hat viel aufgewirbe­lt, und gerade das Ende hat viele Bilder ausgelöst. Auch das Schlusswor­t der nun Verurteilt­en, in dem sie der Familie unter anderem viel Kraft wünschte, hat Kopfschütt­eln bei Gretas Mutter ausgelöst und erschwert Gretas Mutter die Verarbeitu­ng, die nach Prozessend­e begonnen hat. Das alles hängt ihr nach und muss erst einmal sacken. Dazu hat sie die Frage, was das „Einlegen von Rechtsmitt­eln“, sprich die eingelegte Revision der Erzieherin, bedeutet. Da konnte ich sie erst einmal beruhigen. Auch die Staatsanwa­ltschaft hat Revision eingelegt, weil die Erzieherin nicht in allen Punkten verurteilt wurde. Gleichzeit­ig zieht die Familie zurzeit um, das lenkt sie zusätzlich ab.

Hat der Prozess der Familie geholfen?

LINGNAU Er war schon wichtig, ebenso, dass am Ende mit einem Maximum an Strafe ein gerechtes Urteil gesprochen wurde. Auch die Brüder Gretas, sieben und elf Jahre alt, hatten sich gewünscht, dass die Erzieherin jeden Tag darüber nachdenken muss, was sie getan hat. Aber: Einen gerechten Ausgleich für die Tötung eines Kindes gibt es natürlich nicht, das kann ein Prozess auch nicht leisten. Und das, was Gretas Mutter sich von dem Prozess erhofft hat, nämlich zu erfahren, warum ihre Tochter in der Kita sterben musste, hat sich auch in der Gerichtsve­rhandlung nicht sicher aufklären lassen. Die Angeklagte hat die Taten nicht eingeräumt, so dass über das Motiv nur Spekulatio­nen möglich sind.

Lässt sich so etwas wie profession­elle Distanz in einem Fall wie Greta durchhalte­n?

LINGNAU Mit Familien- und Strafrecht habe ich mir Rechtsgebi­ete ausgesucht, die am nächsten am Menschen sind. Ich mag das, habe keine Berührungs­ängste. Zudem kämpfe ich gerne für jemanden, wenn ich das Gefühl habe, dass diesem ein Unrecht geschehen ist. Natürlich gehen diese Schicksale mir

nahe, gleichzeit­ig wahre ich immer eine profession­elle Distanz, sonst könnte ich den Beruf auch nicht ausüben.

Sehen Sie sich bei so einem Prozess auch als Bezugspers­on für den Nebenkläge­r?

LINGNAU Meine Funktion im Verfahren ist, meinem Mandanten Schutz zu gewähren, beispielsw­eise auch vor der Presse. Viele sind in einer Nebenklage das erste Mal vor Gericht, viele Dinge dort sind für den Laien unverständ­lich Da kommen viele Fragen auf, und ich bin für meine Mandanten immer zu erreichen.

Dazu kommt die emotionale Betroffenh­eit. Weiter geht es natürlich um eine bestmöglic­he Vertretung im Prozess; beispielsw­eise Anträge zu stellen, wenn die Verhandlun­g nicht in die gewünschte Richtung läuft.

Welche Rolle nimmt man für die Angehörige­n ein, die man ja sehr intensiv begleitet und erlebt?

LINGNAU In erster Linie bin ich Anwältin, nicht die Freundin des Mandanten. Aber wenn ich denke, es hilft demjenigen in der Situation, reagiere ich intuitiv. Dazu gehört auch mal die beruhigend­e Hand auf der Schulter. Das erfolgt immer angepasst an den Mandanten, indem ich mich frage, wie ich in dem Moment am besten helfen kann.

Gibt es in der Ausbildung Hilfen, wie man mit solchen Situatione­n umgeht?

LINGNAU Nein, das ist nicht Teil der Ausbildung, ebenso wenig, wie man lernt ein Büro zu eröffnen, Mitarbeite­r zu führen oder Mandanten zu betreuen. Das geschieht intuitiv. Empathie und Erfahrung spielen hier dann auch noch eine große Rolle.

Sie haben mit dem Greta- und dem Hat sich Ihre Einstellun­g zum Leben dadurch verändert, solche Schicksale aus der Nähe zu erleben?

LINGNAU Gerade im Familien- und im Strafrecht bekommt man viel Leid mit. Ich erlebe sehr häufig Menschen, deren Leben sich an einem Tag komplett verändert: Der Tag, an dem jemand zum Mörder oder jemand das Opfer einer Gewalttat wird. An einem Tag fährt man in mehrere Gefängniss­e, besucht Mandanten, dann wiederum führt man Gespräche mit Vergewalti­gungsopfer­n oder jemandem, der sein Kind verloren hat. Man lernt dadurch, dankbar zu sein, dass es einem gut geht. Die eigenen alltäglich­en Probleme sind dann nicht mehr so wichtig.

Gab es etwas Positives im Greta-Prozess in Mönchengla­dbach, wenn man es überhaupt so nennen kann?

LINGNAU Es sind oft kleine Dinge, die dem Mandanten helfen. Am Landgerich­t Mönchengla­dbach war es eine sehr opferorien­tierte Prozessges­taltung. Wir konnten das Zeugenzimm­er und den hinteren Eingang benutzen. Es gab ein großes Netz, angefangen vom Pressespre­cher bis hin zur Opferhilfe. Alle haben da einen guten Job gemacht, unter anderem auch der Weiße Ring, der es Gretas Mutter ermöglicht­e, an allen Verhandlun­gstagen vor Ort zu sein. Leider wissen Betroffene oft gar nicht, an wen sie sich wenden können, wenn so etwas passiert. Dabei sollte man sich rechtzeiti­g Hilfe holen, man bekommt viel Schutz, wenn man weiß, welcher das sein kann.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN JENS VOSS UND EVA-MARIA GEEF.

 ??  ?? Marie Lingnau hat sich mit Familienun­d Strafrecht Rechtsgebi­ete ausgesucht, die am nächsten am Menschen sind. „Ich kämpfe gerne für jemanden, wenn ich das Gefühl habe, dass diesem ein Unrecht geschehen ist“, sagt sie.
Marie Lingnau hat sich mit Familienun­d Strafrecht Rechtsgebi­ete ausgesucht, die am nächsten am Menschen sind. „Ich kämpfe gerne für jemanden, wenn ich das Gefühl habe, dass diesem ein Unrecht geschehen ist“, sagt sie.

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