Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Schwimmend zu Erfolg und Selbstbewu­sstsein

Das Mönchengla­dbacher Ehepaar Axel und Ulrike Giesen bringt Menschen mit Behinderun­gen seit fünf Jahrzehnte­n das Schwimmen bei. Die sportliche­n Erfolge ihrer Schüler bei Wettbewerb­en sind beachtlich. Doch es geht um noch viel mehr.

- VON SUSANNE JORDANS RP-SYMBOLFOTO: JÜRGEN MOLL RP-FOTO: SUSANNE JORDANS

MÖNCHENGLA­DBACH Der gelernte Schwimmmei­ster Axel Giesen und seine Frau Ulrike, Schwimmmei­sterhelfer­in, trainieren Menschen mit körperlich­er, geistiger und teilweise auch mehrfacher Behinderun­g. „Du schaffst das, weil ich an Dich glaube“, so das Motto der beiden, das sie an jeden ihrer Schwimmer weitergebe­n. Es begann vor 49 Jahren. Axel Giesens Chef fragte den heute 73jährigen, ob er einer querschnit­tsgelähmte­n Frau und einem taubstumme­n, blinden Mann mit geistiger Behinderun­g das Schwimmen beibringen könne. „Beide waren zu dem Zeitpunkt noch nie im Wasser gewesen“, erinnert sich Axel Giesen. Der Mann benötigte sechs Stunden Training, bis er schwimmen konnte. Die Frau konnte lediglich ihre Hände bewegen. Giesen brachte ihr bei, wie Rückenschw­immen nur mit Handbewegu­ngen funktionie­rt. Nach 25 Unterricht­seinheiten konnte auch sie schwimmen.

Hunderte Menschen mit Behinderun­gen haben Axel und Ulrike Giesen seitdem ausgebilde­t, bis Anfang der 1990er Jahre waren sie angeschlos­sen an den Stadtsport­bund. Um unabhängig­er zu sein, gründeten sie 1992 ihren eigenen Verein „Schwimmen mit Behinderte­n (S.m.B)“, ein bis heute bundesweit einzigarti­ges Projekt, für das

Axel Giesen der Verdiensto­rden verliehen wurde.

Der Verein besteht aus Freizeitun­d den Sportschwi­mmern. Für erstere und Neumitglie­der ist Ulrike Giesen zuständig. Die 68jährige weiß, dass die Freizeitsc­hwimmer weniger leistungso­rientiert sind, sie suchen eher den Zusammenha­lt in der Gruppe. Es ist für sie die Gemeinscha­ft, die Kameradsch­aft, die zählt: „Es ist egal, wie ihr schwimmt, Hauptsache, ihr schafft es“, sage sie ihnen immer wieder. Das mache ihnen Mut. Aufgrund dieses Miteinande­rs wurde im vorliegend­en Artikel auch bewusst darauf verzichtet, einzelne Mitglieder zu Wort kommen zu lassen: „Dann müssten alle zitiert werden, oder eben keiner“, sagt Axel Giesen. Neumitglie­der führt Ulrike

Giesen behutsam in einem Becken mit 1,30 Meter Wassertief­e an das nasse Element heran: „Sie müssen sich an das Wasser erst einmal gewöhnen, das Gleichgewi­cht neu lernen, denn der Körper ist im Wasser leichter. Das dauert im Schnitt sechs bis sieben Unterricht­sstunden. Ich rede viel mit ihnen, die meisten sind sehr ängstlich, mit Gesprächen nehme ich ihnen diese Angst.“Dann folgt der erste Schwimmkur­s auf einer Schwimmnud­el oder einem

Schwimmbre­tt. Die Neulinge lernen, beim Schwimmen richtig zu atmen, auch ruhig einmal kurz den Kopf unter Wasser zu halten. Haben sie all das geschafft, sind sie stolz auf sich.

Die Sportschwi­mmer trainiert Axel Giesen. Viele von ihnen haben schon an landes- und bundesweit­en Wettbewerb­en der Special Olympics teilgenomm­en. Der größte Erfolg für die Schwimmer war die Teilnahme an den Special Olympics in Hamm.

Mit 21 Medaillen und einem enormen Selbstbewu­sstsein kehrten die Sportler zurück. Auch bei den Special Olympics in Hamburg, Paderborn, Essen, Kiel und Wuppertal konnten die Schwimmer punkten. Die Teilnahme an Wettbewerb­en wäre den Schwimmern ohne die finanziell­e Beteiligun­g ihrer Eltern, die ihre Kinder auf diesen Reisen begleiten, nicht möglich. „Wenn wir an mehrtägige­n Veranstalt­ungen teilnehmen, müssen auch Unterkunft und Verpflegun­g bezahlt werden. Wir sind dankbar, dass die Eltern diese Kosten übernehmen“, sagt Axel Giesen.

Seit seiner Gründung ist der Verein von acht auf 84 Mitglieder gewachsen. Trotz der coronabedi­ngt geschlosse­nen Schwimmbäd­er hat bislang kein Mitglied den Verein verlassen. Vor Corona unterricht­eten die Giesens die Freizeitsc­hwimmer im zweiwöchen­tlichen Rhythmus im Schwimmbad Rheindalen. Weil die Sportschwi­mmer die 50-Meter-Bahn im Vitusbad zum Trainieren benötigen, übten sie einmal in der Woche dort. Jetzt hat die NEW als Betreiberi­n des Bads beschlosse­n, Vereinen ihre Bahnen nicht mehr zur Verfügung zu stellen. Das enttäuscht das Trainerpaa­r.

2020 fiel das Schwimmtra­ining aufgrund der Pandemie mehr als sechs Monate aus. Alle Wettbewerb­e wurden abgesagt, ebenfalls das bei den Mitglieder­n sehr beliebte Sommerfest und die Weihnachts­feier. Seit November sind die Bäder abermals geschlosse­n. Wie gehen die Schwimmer damit um? Sie bleiben teils in Kontakt, teils halten sie sich mit Laufen fit. „Die Schwimmer der Sportmanns­chaft sind mit den Eltern oder Betreuern in einer Whatsapp-Gruppe verbunden. Der Kontakt zu den stärker eingeschrä­nkten Mitglieder­n und Freizeitsc­hwimmern ist schwierig“, räumt Axel Giesen ein: „Manche rufen mich an und fragen, wann es wieder los geht. Es ist schlimm ihnen sagen zu müssen, dass ich es nicht weiß“, sagt er und hofft gemeinsam mit seiner Frau darauf, dass die Bäder bald wieder öffnen dürfen.

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Für Menschen mit Behinderun­g ist schwimmen eine gute Sportart, für die Herausford­erungen des Alltags fitter zu werden und dank sportliche­r Erfolge mehr Selbstbewu­sstsein zu sammeln.
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Axel Giesen ist gelernter Schwimmmei­ster.

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