Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Schwimmend zu Erfolg und Selbstbewusstsein
Das Mönchengladbacher Ehepaar Axel und Ulrike Giesen bringt Menschen mit Behinderungen seit fünf Jahrzehnten das Schwimmen bei. Die sportlichen Erfolge ihrer Schüler bei Wettbewerben sind beachtlich. Doch es geht um noch viel mehr.
MÖNCHENGLADBACH Der gelernte Schwimmmeister Axel Giesen und seine Frau Ulrike, Schwimmmeisterhelferin, trainieren Menschen mit körperlicher, geistiger und teilweise auch mehrfacher Behinderung. „Du schaffst das, weil ich an Dich glaube“, so das Motto der beiden, das sie an jeden ihrer Schwimmer weitergeben. Es begann vor 49 Jahren. Axel Giesens Chef fragte den heute 73jährigen, ob er einer querschnittsgelähmten Frau und einem taubstummen, blinden Mann mit geistiger Behinderung das Schwimmen beibringen könne. „Beide waren zu dem Zeitpunkt noch nie im Wasser gewesen“, erinnert sich Axel Giesen. Der Mann benötigte sechs Stunden Training, bis er schwimmen konnte. Die Frau konnte lediglich ihre Hände bewegen. Giesen brachte ihr bei, wie Rückenschwimmen nur mit Handbewegungen funktioniert. Nach 25 Unterrichtseinheiten konnte auch sie schwimmen.
Hunderte Menschen mit Behinderungen haben Axel und Ulrike Giesen seitdem ausgebildet, bis Anfang der 1990er Jahre waren sie angeschlossen an den Stadtsportbund. Um unabhängiger zu sein, gründeten sie 1992 ihren eigenen Verein „Schwimmen mit Behinderten (S.m.B)“, ein bis heute bundesweit einzigartiges Projekt, für das
Axel Giesen der Verdienstorden verliehen wurde.
Der Verein besteht aus Freizeitund den Sportschwimmern. Für erstere und Neumitglieder ist Ulrike Giesen zuständig. Die 68jährige weiß, dass die Freizeitschwimmer weniger leistungsorientiert sind, sie suchen eher den Zusammenhalt in der Gruppe. Es ist für sie die Gemeinschaft, die Kameradschaft, die zählt: „Es ist egal, wie ihr schwimmt, Hauptsache, ihr schafft es“, sage sie ihnen immer wieder. Das mache ihnen Mut. Aufgrund dieses Miteinanders wurde im vorliegenden Artikel auch bewusst darauf verzichtet, einzelne Mitglieder zu Wort kommen zu lassen: „Dann müssten alle zitiert werden, oder eben keiner“, sagt Axel Giesen. Neumitglieder führt Ulrike
Giesen behutsam in einem Becken mit 1,30 Meter Wassertiefe an das nasse Element heran: „Sie müssen sich an das Wasser erst einmal gewöhnen, das Gleichgewicht neu lernen, denn der Körper ist im Wasser leichter. Das dauert im Schnitt sechs bis sieben Unterrichtsstunden. Ich rede viel mit ihnen, die meisten sind sehr ängstlich, mit Gesprächen nehme ich ihnen diese Angst.“Dann folgt der erste Schwimmkurs auf einer Schwimmnudel oder einem
Schwimmbrett. Die Neulinge lernen, beim Schwimmen richtig zu atmen, auch ruhig einmal kurz den Kopf unter Wasser zu halten. Haben sie all das geschafft, sind sie stolz auf sich.
Die Sportschwimmer trainiert Axel Giesen. Viele von ihnen haben schon an landes- und bundesweiten Wettbewerben der Special Olympics teilgenommen. Der größte Erfolg für die Schwimmer war die Teilnahme an den Special Olympics in Hamm.
Mit 21 Medaillen und einem enormen Selbstbewusstsein kehrten die Sportler zurück. Auch bei den Special Olympics in Hamburg, Paderborn, Essen, Kiel und Wuppertal konnten die Schwimmer punkten. Die Teilnahme an Wettbewerben wäre den Schwimmern ohne die finanzielle Beteiligung ihrer Eltern, die ihre Kinder auf diesen Reisen begleiten, nicht möglich. „Wenn wir an mehrtägigen Veranstaltungen teilnehmen, müssen auch Unterkunft und Verpflegung bezahlt werden. Wir sind dankbar, dass die Eltern diese Kosten übernehmen“, sagt Axel Giesen.
Seit seiner Gründung ist der Verein von acht auf 84 Mitglieder gewachsen. Trotz der coronabedingt geschlossenen Schwimmbäder hat bislang kein Mitglied den Verein verlassen. Vor Corona unterrichteten die Giesens die Freizeitschwimmer im zweiwöchentlichen Rhythmus im Schwimmbad Rheindalen. Weil die Sportschwimmer die 50-Meter-Bahn im Vitusbad zum Trainieren benötigen, übten sie einmal in der Woche dort. Jetzt hat die NEW als Betreiberin des Bads beschlossen, Vereinen ihre Bahnen nicht mehr zur Verfügung zu stellen. Das enttäuscht das Trainerpaar.
2020 fiel das Schwimmtraining aufgrund der Pandemie mehr als sechs Monate aus. Alle Wettbewerbe wurden abgesagt, ebenfalls das bei den Mitgliedern sehr beliebte Sommerfest und die Weihnachtsfeier. Seit November sind die Bäder abermals geschlossen. Wie gehen die Schwimmer damit um? Sie bleiben teils in Kontakt, teils halten sie sich mit Laufen fit. „Die Schwimmer der Sportmannschaft sind mit den Eltern oder Betreuern in einer Whatsapp-Gruppe verbunden. Der Kontakt zu den stärker eingeschränkten Mitgliedern und Freizeitschwimmern ist schwierig“, räumt Axel Giesen ein: „Manche rufen mich an und fragen, wann es wieder los geht. Es ist schlimm ihnen sagen zu müssen, dass ich es nicht weiß“, sagt er und hofft gemeinsam mit seiner Frau darauf, dass die Bäder bald wieder öffnen dürfen.