Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Daten sind nicht alles
Auch in den Redaktionen spielen Daten eine immer größere Rolle. „Machine Learning“kann auch den Journalismus verbessern – ihn ersetzen kann künstliche Intelligenz nicht.
sondern können sogar eine Bereicherung sein. „Dieser Text wurde auf Grundlage der RKI-Daten automatisch generiert und wird jeden Morgen automatisch aktualisiert“, heißt es unter der Zusammenfassung der aktuellen Pandemie-Situation auf RP-Online. Durch maschinelles Lernen sind Systeme inzwischen in der Lage, aus Daten Texte zu erstellen – Wetterberichte, Staumeldungen, Fußballergebnisse.
Die Rheinische Post veröffentlicht heute schon ständig aktualisierte Verkehrsmeldungen von NRW-Autobahnen, bei der Kommunalwahl 2020 wurde für die Wahlbezirke in Düsseldorf, Gladbach, Neuss, Duisburg und Köln auch mit automatisierten Wahlergebnis-Analysen gearbeitet. So sind Texte entstanden, für die es früher keine personellen Kapazitäten gegeben hätte – die dem Leser aber einen zusätzlichen Nutzen bringen können.
Die Zukunft wird sogar noch mehr Vorteile bereithalten. Sprachbarrieren werden durch automatische Übersetzungen verschwinden. Schon heute liefern Unternehmen wie DeepL aus Köln mit ihrer Übersetzungssoftware Ergebnisse ab, die so gut sind, dass mancher Dolmetscher um seine Zukunft bangen muss. Und mit jeder Eingabe, mit jeder Übersetzung, lernen die Algorithmen mehr dazu. Simultane Übersetzung von Sprache wird irgendwann von einer Software erledigt werden, Menschen können dann verstehen, was in Filmausschnitten der „Tagesthemen“zu sehen ist – und müssen es sich nicht vom Reporter übersetzen oder gar zusammenfassen lassen. So bleibt mehr Zeit für die Analyse, die Einordnung. Gleichzeitig zwingt es Journalisten, noch sauberer zu arbeiten.
Was Algorithmen schon heute vollbringen können, zeigt beispielsweise das Startup Ella aus Köln. Eine eigens entwickelte künstliche Intelligenz kann aus Stichworten oder einigen Sätzen fiktionale Geschichten machen. Hörbücher oder Kurzgeschichten könnten schon bald von einem Computersystem geschaffen werden. Ella schreibt Geschichten mit Titeln wie „Auf der Flucht“, sie schreibt auf Englisch und Deutsch. Sie schreibt Geschichten, bei denen man nicht sofort merkt, dass sie ohne menschliches Zutun entstanden sind.
Ella und ihre Artgenossen könnten irgendwann auch journalistische Texte schreiben, künstliche Intelligenz könnte Podcasts einsprechen oder Nachrichtentexte im Fernsehen vortragen. Aber diese Systeme funktionieren auf Basis mathematischer Formeln, sie erschaffen Produkte, wie sie von Menschen erschaffen werden – aber sie sind keine Menschen. Der Kern des Journalismus wird von der Entwicklung daher nicht betroffen, gute, belastbare Geschichten müssen weiterhin recherchiert werden. Und dafür braucht es Menschen, die rausgehen, telefonieren, Quellen befragen und ihre Schlüsse daraus ziehen.
Technologie kann dabei helfen, dass Journalisten ihren Beruf besser ausüben können – oder im Fall von Deep Fakes dafür sorgen, dass Journalisten noch genauer hinschauen, noch mehr recherchieren müssen.
Doch es gibt neben der inhaltlichen Arbeit noch eine zweite Dimension. Denn Daten können auch dabei helfen, die Leser und ihre Bedürfnisse besser zu verstehen. Das Individuum spielt dabei keine Rolle, es geht um ein abstraktes Verständnis der Bedürfnisse. Ein Beispiel: Früher begann die Arbeit für viele Redakteure tendenziell eher spät, dauerte dafür aber recht lang. Die gedruckte Zeitung am nächsten Morgen sollte möglichst aktuell sein – daher machte es Sinn, abends bis zur letzten Minute die Möglichkeiten vor dem Andruck auszureizen.
Doch die Zugriffszahlen bei RP-Online zeigen, dass viele Menschen heute schon morgens früh nach dem Aufstehen zu ihrem Smartphone greifen und sich mit aktuellen Nachrichten versorgen wollen. Die Daten zeigen, dass auch die Mittagspause dafür genutzt wird. Ist es da für den Leser nicht besser, dass die Abläufe in der Redaktion so angepasst werden, dass sie zu diesen Zeiten möglichst aktuelle Informationen bekommen? Wann der Einzelne aufsteht, ist für die Arbeit der Journalisten unerheblich – aber wenn Daten eine Häufung von ähnlichen Fällen zeigen, macht es Sinn, darauf zu reagieren.
So wird es weitergehen. Redaktionen werden lernen, ihre Leser und deren Interessen besser zu verstehen. Technologie ist dabei eine Brücke. Doch schon heute gilt auch im Newsroom der Rheinischen Post: Die Daten können Anhaltspunkte für das Leser-Interesse geben. Aber die Entscheidung über die Platzierung von Geschichten trifft immer ein Journalist nach journalistischen Kriterien.