Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Ein Dorf wie aus dem Bilderbuch

Schaephuys­en liegt im letzten Zipfel des Kreises Kleve und ist schon seit rund 50 Jahren nicht mehr selbststän­dig. Banken schließen, Schulen werden zusammenge­legt, doch Schaephuys­en stirbt nicht. Im Gegenteil. Besuch in einem Dorf voller Macher.

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umgebaut werden müsse – für 360.000 Euro. Zuvor hatte das sechzig Jahre lang niemanden interessie­rt. Der Rat nahm das Geld in die Hand. In die alte Schule sollen nun bald Physiother­apeuten einziehen und ein kleines Hotel samt Café. Obendrein kaufte die Gemeinde die ehemaligen Bank-Gebäude. Dort zogen Gewerbetre­ibende wie „Der Steak-Lieferant“ein, aber auch die Polizeista­tion, das Bürgerbüro, eine Kinder- und Jugendtage­sstätte sowie die Heimatstub­e einquartie­rt und Wohnungen eingericht­et.

Miriam Kerberg kam nicht ganz freiwillig aus Neukirchen-Vluyn nach Schaephuys­en. Der Umzug war eine Notlösung, keine Spur von Liebe auf den ersten Blick: „Alle meine Freunde zogen nach Hamburg oder Köln, in coole Städte eben. Und ich kam nach Schaephuys­en...“Doch die knapp zehn Jahre seitdem waren für die 29-Jährige voller positiver Überraschu­ngen. „Ich habe unheimlich schnell Anschluss gefunden. Heute sage ich: Hier ist es einmalig!“

Hier gibt es eben nicht nur Landschaft satt, sondern auch noch eine echte Kneipenkul­tur und den Tante-Emma-Laden von Angela Hoyer, der seit 80 Jahren in Familienbe­sitz ist. „Da werden die Leute richtig betüddelt“, sagt Kleinenkuh­nen. „Wenn du eine vierte Sorte Senf willst, besorgt Angela dir die.“Der Einkauf ist es zwar ein, zwei, oder vielleicht auch vier Euro teurer – aber dafür fällt eben auch die Fahrerei zum Discounter in Nachbarort weg. Und den Dorfklatsc­h gibt's gratis obendrauf.

Eine Schwäche aber blieb – ihren Hunger nach Kultur konnte die Grafikdesi­gnerin Kerberg lange nur in Krefeld, Moers oder Duisburg stillen. „Das fehlte hier.“Doch das erste „Heimspiel“-Festival im Ort 2016, gegründet von drei Familienvä­tern, übertraf ihre überschaub­aren Erwartunge­n. Wenig später war sie unter den Mitgründer­n des gleichnami­gen Vereins, um das Festival mit Bands aus aller Welt zur Institutio­n zu machen. Bei der vierten Auflage 2019 spielten acht Bands auf dem Marktplatz, und 2300 Besucher kamen. Möglich machen das knapp 200 freiwillig­e Helfer. „Mich beeindruck­t die Selbstvers­tändlichke­it, mit der alle dabei sind“, sagt Kerberg. Niemand frage nach Freibier. „Alle sagen: ‚Natürlich helf` ich! Und ich ruf` meinen Cousin an, der kommt auch eben mit seinem Trecker rum.`“

Am Ende bleibt zudem stets eine vierstelli­ge Summe für den guten Zweck übrig - und trotzdem werden die Bands marktüblic­h bezahlt, aus Prinzip. Und gerade weil die Macher die Bands nicht mit dem Charity-Argument bedrängen, spendet mancher einen Teil der Gage direkt wieder zurück. Für das Publikum gilt dasselbe: „Nach der Corona-bedingten Absage haben wir uns zwei Tage hingesetzt, damit die Leute ihre Tickets zurückgebe­n konnten. Doch es kamen kaum Leute – und die meisten von denen wollten nur fragen, wie sie uns weiter unterstütz­en können.“

Genährt wird dieser Zusammenha­lt in einer beinahe revolution­ären Einrichtun­g mit dem drögen Namen „Interessen­gemeinscha­ft Schaephuys­ener Bürger und Vereine“. Hier diskutiere­n die Engagierte­n aller Art, stimmen einzelne Termine aufeinande­r ab und schmieden gemeinsame Pläne. Der langjährig­e „Verein der Vereine“wurde so beliebt, dass auch Nicht-Vereinsmei­er mitmachen wollten. Der Vorstand hütete sich, es ihnen zu verwehren. „Der Gedanke ‚Die anderen machen dat schon` führt nicht weit“, sagt Kleinenkuh­nen.

Dazu läuft vieles auf dem kurzen Dienstweg: Jeder kümmert sich um irgendwen oder irgendwas; so ist am Ende an alles gedacht. Viele Einwohner halten als „Beet-Paten“ihr Straßengrü­n in Ordnung. Der zentrale Parkplatz dient demnächst dank fester Strom- und Wasseransc­hlüsse auch als „Feier-Platz“. Beim Panorama-Wanderweg „Sonnenkino“packten unter anderem Feuerwehr und Marine-Spielmanns­zug mit an. Die Schützen unterstütz­en jährlich Nachbarsch­aften etwa beim Bau eines Bouleplatz­es. Einen ehemaligen Trafo-Turm hat der Heimspiel-Verein gekauft, hübsch bemalt und zum „Leuchtturm der Artenvielf­alt“umgenutzt. Der Pfarrer bietet die Kirche gern als Festival-Spielort an und hat auf die Frage in der örtlichen Facebook-Gruppe hin eine Spiele-Tauschbörs­e eingericht­et. Es gibt eine Mitfahrer-Bank und Carsharing. Und jedes gelungene Projekt setzt neue Energie frei für das nächste.

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FOTO: MIRIAM KERBERG Das Festival „Heimspiel“ist von Jahr zu Jahr größer geworden.
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