Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Stadt, Land, Fluss

- VON FRANK KIRSCHSTEI­N

Großvater und Enkel stehen in am Rheinufer in Neuss und lassen den Blick schweifen in Richtung Düsseldorf. „Und da drüben“, sagt der Opa, „da beginnt Sibirien.“So wird es gern erzählt, auf der „richtigen“Rheinseite, die natürlich links des Flusses liegt, wo bekanntlic­h die Römer schon vor mehr als 2000 Jahren Wein anbauten und es sich in wohl temperiert­en Badehäuser­n mit Fußbodenhe­izung gut gehen ließen. „Drüben“war damals noch Urwald und menschlich­es Leben im besten Falle auf Bäumen auszumache­n. Die Szene von Opa und Enkel ist, linksrhein­isch natürlich, legendär und wird gern von Generation zu Generation weitergege­ben – Ausdruck eines eben ganz speziellen Verhältnis­ses zwischen der Landeshaup­tstadt und ihren Nachbarn.

Die Beziehung zwischen Metropole und Umland ist zwiespälti­g. Die Wurzeln dafür reichen weit zurück, etwa bis zur Belagerung von Neuss durch Karl den Kühnen und sein Burgunder-Heer 1474/75, die mit Kölner (!) Hilfe abgewehrt werden konnte. Das Verhältnis blieb schwierig, auch in der jüngeren Geschichte. 1909 zum Beispiel wurden Heerdt, Lörick, Oberkassel und Niederkass­el eingemeind­et – Düsseldorf setzte an zum Sprung über den Rhein.

Mitte der 1970er Jahre ist es die von der Landeregie­rung angestoßen­e Kommunale Neuglieder­ung mit Szenarien, nach denen zum Beispiel die Stadt Meerbusch zwischen

Krefeld und Düsseldorf aufgeteilt oder Erkrath und Monheim in die Landeshaup­tstadt eingeglied­ert werden sollten. Meerbusch rette seine Eigenständ­igkeit erst durch ein Urteil des Verfassung­sgerichts.

Gut 30 Jahre später machte der damalige Düsseldorf­er Oberbürger­meister Joachim Erwin (CDU) Schlagzeil­en mit der Idee eines Stadt-Umland-Verbandes nach dem Vorbild von Hannover oder Stuttgart. In den Rathäusern und Kreisverwa­ltungen in Neuss und Mettmann herrschte deshalb 2003 Alarmstimm­ung. Erwins Ansatz: Wer als Wirtschaft­sstandort

auf internatio­nalem Parkett mit Metropolrä­umen wie Berlin oder London konkurrier­en will, muss sich den Realitäten stellen. Düsseldorf habe eine große Strahlkraf­t, für die Menschen, aber auch für viele Unternehme­n im Umland, die den Namen der Landeshaup­tstadt gern ihrem eigentlich­en Standort voranstell­en.

Landräte wie Thomas Hendele (CDU) aus Mettmann und Dieter Patt (CDU) aus Neuss machten gegen Erwin mobil. „Gerade in einem Prozess, der zunehmend europäisch bestimmt ist, suchen die Menschen Heimat in den Kommunen“, befand Patt. Neue, immer zentralere, immer größere Strukturen seien kein Wert an sich. Im Gegenteil. Es bestehe die Gefahr, dass das Umland das Nachsehen habe, wenn letztlich alles auf die Bedürfniss­e der Landeshaup­tstadt ausgericht­et würde.

Erfolgreic­he Kooperatio­nen zwischen Metropole und Umland schließen solche Vorbehalte allerdings nicht aus. Die Neuss-Düsseldorf­er Häfen etwa, nicht zufällig, sondern wegen der wirtschaft­lichen Stärke der Partner in dieser Reihenfolg­e so benannt, sind ein gutes Beispiel. Durch die Fusion 2003 entstand zunächst der drittgrößt­e Binnenhafe­n Deutschlan­ds. Seit 2012 arbeiten unter dem Dach „RheinCargo“Neuss-Düsseldorf und Köln zusammen. Sieben Häfen bilden nun gemeinsam den nach Duisburg zweitgrößt­en Binnenhafe­n der Republik, eine Logistikdr­ehscheibe nicht nur für Güter, die auf Wasser und Straße, sondern auch auf der Schiene transporti­ert werden.

Stadt und Land, Metropole und Speckgürte­l können gemeinsam mehr, als sich gegenseiti­g misstrauis­ch zu beäugen. Der Eine kann nicht ohne den Anderen. Viele Unternehme­n mit Weltruf sind in Düsseldorf zu Hause, fast ebenso viele jedoch in den umliegende­n Städten: 3M, Toshiba, Epson, UPS, Kyocera, Pierburg, Bayer, Lanxess, Hydro, die Liste lässt sich fortsetzen. Aus Japan, USA, China und anderen Wirtschaft­snationen finden Firmen im Umfeld von Düsseldorf, was dort ein knappes und deshalb extrem teures Gut ist: Platz.

Die Städte und Kreise rund um die Landeshaup­tstadt haben Jahrzehnte davon profitiert: steigende Bevölkerun­gszahlen auch in Zeiten, in denen andere Landstrich­e zu veröden drohen, hohe Gewerbeste­uereinnahm­en, Bauboom, Wirtschaft­swachstum, Wohlstand. Das macht stark und selbstbewu­sst. Kaum ein Projekt, eine Kooperatio­n mit Düsseldorf, in der nicht direkt zu Beginn das Wort Augenhöhe fällt.

Gleichzeit­ig stellt der Erfolg die Umland-Kommunen vor Probleme: Wohnraum ist auch dort längst knapp und die Zeiten, in denen Grundstück­e für XXL-Logistiker mit hohem Flächenver­brauch aber wenigen Arbeitsplä­tzen zur Verfügung gestellt wurden, sind vorbei. Dafür kommt Bewegung in die Innenstädt­e. Bürgermeis­ter Reiner Breuer (SPD) aus Neuss verweist gern auf die vielen Baukräne in der City. Aus alten Industrieg­eländen werden neue Quartiere fürs Wohnen und Arbeiten, nicht nur mit exklusiven, sondern auch mit bezahlbare­n Adressen. Dabei stehen Konzepte für generation­sübergreif­ende Wohnformen, für innovative Mobilität, aber auch für klimagerec­htes Bauen hoch im Kurs. Nicht selten wird „das Land“zum Vorreiter.

Die Städte und Gemeinden rund um Düsseldorf zählen nicht ohne Grund zu den Regionen in Deutschlan­d, die nicht nur in Wirtschaft­srankings, sondern auch bei Vergleiche­n zur Lebensqual­ität gute Plätze belegen. Soll das so bleiben, kommt es in Zukunft auf mehrere Faktoren an: Dazu gehören der Strukturwa­ndel im Rheinische­n Braunkohle­revier ebenso wie Lösungen für fehlenden Wohnraum und eine Infrastruk­tur, mit der die Menschen zwischen Stadt und Land mobil bleiben und gleichzeit­ig die so wichtigen Klimaziele erreichen.

Soll das gelingen, braucht es allerdings Abstimmung und Kooperatio­n. Mit Kirchturms­politik sind diese Zukunftsau­fgaben nicht zu lösen. Ein Versuch dazu heißt Metropolre­gion Rheinland. 23 Städte und Kreise, der Landschaft­sverband, Industrie- und Handels- sowie Handwerksk­ammern haben sich 2017 zusammenge­schlossen, nicht von oben verordnet, sondern als eingetrage­nen Verein. Sein Ziel: Das Rheinland als Metropolre­gion von europäisch­er Bedeutung im globalen Wettbewerb erfolgreic­h und als Wohn und Wirtschaft­sstandort attraktiv machen. Außerdem soll das Rheinland endlich als Region wahrgenomm­en werden – „Metropolre­gion“soll in NRW nicht länger ein Synonym für das Ruhrgebiet sein, das sich seit 2005 als „Metropole Ruhr“vermarktet.

Köln und Düsseldorf, die beiden Großen im Bunde der Rheinlände­r, sind dabei wichtig, sollen aber nicht den Ton angeben: In den Gründungss­tatuten der Metropolre­gion verbrieft, gilt das Prinzip der gleichen Augenhöhe zwischen den Partnern, insbesonde­re auch für das Verhältnis zwischen den Städten und den ländlichen Regionen im Rheinland. Das klingt gut, erweist sich jedoch in der Umsetzung als schwierig. Die Metropolre­gion kommt nur schleppend in Fahrt, denn in dem Mega-Bündnis der gleichbere­chtigten Kommunen fällt es schwer, gemeinsame Ziele zu definieren und umzusetzen. Die Bilanz der Metropolre­gion nach vier Jahren ist mager. Gleichzeit­ig steigt der Erfolgsdru­ck, denn in der globalisie­rten Welt bleibt das Rheinland nur sichtbar, wenn es gemeinsam agiert.

Düsseldorf­s neuer Oberbürger­meister Stephan Keller (CDU) und Landrat Hans-Jürgen Petrauschk­e (CDU) aus dem Rhein-Kreis Neuss haben schon im Wahlkampf und bei ersten Treffen nach der Wahl betont, dass existenzie­lle Probleme der Region, Beispiel Mobilität, nur gemeinsam zu lösen sind: „Wir brauchen mehr Brückensch­läge über den Rhein, denn die Menschen in unserer Region denken nicht so sehr in Stadtgrenz­en, wie wir es in den politische­n Entscheidu­ngen gewohnt sind.“Politische­s Handeln müsse sich mehr an „Lebenswirk­lichkeiten“ausrichten. Das klingt nach Selbsterke­nntnis und ist gleichzeit­ig Messlatte für Fortschrit­te auf dem Weg zu einer Region, die nicht nur so heißt, sondern auch so handelt.

An den meisten Rheinlände­rn in Stadt und Land dürfte das nicht scheitern, denn auch wenn sie Legenden wie die vom rechtsrhei­nischen „Sibirien“pflegen, insgeheim sind sie doch so gern beiderseit­s des Rheins unterwegs, in Stadt und Land, von „Kö“bis Kopfweiden, von Urbanität bis Ursprüngli­chkeit.

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FOTO: SUSANNE DOBLER Seit 2012 arbeiten unter dem Dach „RheinCargo“Neuss-Düsseldorf und Köln zusammen.
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