Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
„Trumps Wahl ist nicht Ursache, sondern Ausdruck einer gesellschaftlichen Entwicklung und Polarisierung“
Soziologe
im Schwinden begriffen ist, aber niemand weiß, welche neue Normalität sich in den nächsten Jahrzehnten herausschälen und wie sie beschaffen sein wird“, sagt Rainer Paris. Es gebe nach wie vor viele Konfliktpotenziale. „Dies gilt nicht nur für die Probleme der Migration und die Gefahr von Parallelgesellschaften, auch die Erosion der Familie und die vertieften Gräben der Bildung begünstigen eine kulturelle Zersplitterung der Gesellschaft, die auch politische Radikalisierungen einschließt. Alle diese Entwicklungen bergen gerade unter den Bedingungen massenhafter Deprivationen und Wohlstandsverluste ein großes Maß an gesellschaftlichem Sprengstoff, der, einmal entzündet, sich rasch zu einem Flächenbrand ausweiten und politisch kaum kontrolliert werden kann.“
Was ist nun also zu tun? Normalität
sei sowohl ein sozialer als auch ein mentaler Tatbestand, objektive Gegebenheit und Empfindung zugleich, sagt Rainer Paris. „Sie bezeichnet einen gefühlten Gesellschaftszustand, der einem Orientierung und Sicherheit gibt.“Hierzu bedürfe es des Hintergrundvertrauens, das etablierte Rechtsnormen und Sittennormen geben. Konkreter: Reden und Tun der Verantwortlichen müssen übereinstimmen, nur so kann Glaubwürdigkeit langfristig wiederhergestellt werden. „Nicht propagieren, sondern praktizieren“, laute die Formel.
In der Schule müsse nicht nur Wissen vermittelt werden, sondern auch eine bestimmte Art des Umgangs, sagt Paris. Es gelte, die Zuversicht zu vermitteln, dass es sich lohne, Werte und Regeln zu akzeptieren. In öffentlichen Diskursen dürfe Gegnerschaft nicht in Feindschaft umschlagen.
Wichtig ist, dass Argumenten und Zahlen wieder vertraut werden kann. Das Weiße Haus wies die Umweltschutzbehörde EPA bereits kurz nach der Wahl 2016 an, alle Informationen zum Klimawandel von ihrer Website zu löschen, einschließlich der wissenschaftlichen Datenreihen. Nie hatte Amerika einen Präsidenten, der sich so demonstrativ wissenschaftsfeindlich gab. Einige Beispiele, die die „Spiegel“auflistet: „Den Klimawandel hält Trump für unbedenklich. Im Wahlkampf hat er ihn als „chinesische Lügengeschichte“bezeichnet, die fabriziert sei, um Amerikas Wirtschaft zu schwächen. Gefährlicher findet er Energiesparlampen. Die, so warnte er, machten Krebs: „Seid vorsichtig.““
„Was können Forscher tun, um der überprüfbaren wissenschaftlichen Wahrheit in einer postfaktischen Wirklichkeit wieder Gehör zu verschaffen?“, fragte die Fachzeitschrift „Current Biology“. Die Antwort lieferten Wissenschaftler im April 2017, als sie in Washington auf die Straße gingen. „March For Science“hieß die Demonstration. Die Forscher gaben ihre traditionell neutrale Rolle auf, um jene Werte zu retten, die das Fundament der Wissenschaft bilden.
Das könnte ein guter Ansatz sein, wie man einer Entwicklung, die dem Bauchgefühl gegenüber dem Faktum den Vorzug gibt, entgegentritt: Sich für die Wahrheit verbürgen. Sich mit seiner eigenen Person zu engagieren für das, auf das man Gemeinsamkeiten gründen kann.