Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Vom Wert des Vereins
Da sind also Sportplätze über Monate gesperrt, Sporthallen geschlossen, der Amateursport kommt gänzlich zum Erliegen, Vereinsleben findet nicht statt, und Breitensport reduziert sich weitgehend auf das, was individuell betrieben werden kann. Und dennoch sagt Stefan Klett diesen Satz. „Ich finde, die Akzeptanz des Sportvereins ist durch die Corona-Krise eher gewachsen.“
Sie klingt geradezu paradox, die Aussage des Präsidenten des Landesportbundes (LSB) NRW. Umso mehr als die ersten Ergebnisse des Sportentwicklungsberichts für Deutschland Mitte Januar ein düsteres Bild zeichneten. 20.179 Sportvereine hatten sich in einer Feldphase vom 21. Oktober bis 21. Dezember 2020 an der Studie beteiligt. Das Ergebnis: Mittlerweile befürchtet jeder zweite im Jahresverlauf eine existenzbedrohliche Lage. Woraus also zieht der LSB-Präsident bitteschön seinen Optimismus?
Aus zwei Gründen. Der erste ist ein naheliegender: „Um es mal ganz platt zu sagen: Die Menschen haben gemerkt, dass Gesundheit in einer solchen Krise eine große Rolle spielt. Menschen, die gesund sind, die ein gutes Immunsystem haben, die fit sind, kommen besser durch Krisenzeiten – nicht nur durch eine Pandemie.“Davon sei er überzeugt, sagt der 53-Jährige. Deswegen glaube er, dass nach einem kleinen Knick in der Mitgliederentwicklung der Vereinssport wieder eine sehr positive Entwicklung nehmen könne. „Der Sportverein bietet ein Stück weit Zuverlässigkeit, Geborgenheit, Gemeinsamkeit.
Und ich glaube, gerade in der Corona-Zeit haben die Menschen gemerkt, dass ihnen das, was immer so normal schien, tatsächlich fehlt“, sagt der Wipperfürther. „Über das Sportliche hinaus sich zu treffen, in Gesellschaft zu sein, Wettbewerbe zu erleben, Erfolge zu feiern, auch mal aufgefangen zu werden, wenn es einem schlecht geht. Heimat ist letztlich das, wo man sich wohlfühlt, wo man Freunde hat.“Klett selbst ist Segelflieger, seit 40 Jahren Mitglied im ansässigen Luftsportverein. Und Heimat sei im Übrigen kein Begriff, den der Sport sich erst einmal aus der rechten Ecke zurückholen müsse.
Björn Mende kann da aus seiner Erfahrung heraus nur zustimmen. Mende ist Vorsitzender des Fusionsklubs SGE Bedburg-Hau am unteren Niederrhein. Er sagt: „Vielen fehlt gerade das Gesellige, der Austausch mit anderen. Und ich hoffe und glaube, dass diese Sehnsucht nach Heimat uns Sportvereinen nach der Corona-Krise zugutekommen wird. Im Sportverein zu sein, ist am Ende eben mehr, als sich zu bewegen und etwas für seine Gesundheit zu tun. Es geht auch um einen Ort, an dem man sich wohlfühlt.“Doch es ist nicht nur das, was Menschen in der Pandemie fehlt, das für Klett wie Mende den Wert des Sportvereins ausmacht. Der Verein, so die Überzeugung beider, wird als Inbegriff von Heimat mehr denn je eine Triebfeder gesellschaftlicher Veränderungsprozesse sein – sein müssen, will er seine Relevanz behalten oder gar steigern. Es ist ein Input, den der Verein so geben muss, wie ihn ihrerseits die Gesellschaft braucht. LSB-Präsident Klett findet, „da kann der Sport, der ja fast in jeder Kommune die größte gesellschaftliche Gruppierung ist, mit breiter Brust auftreten. In der Vergangenheit hat der organisierte Sport da sein Licht ein bisschen unter den Scheffel gestellt. Da ist viel mehr Power drin.“
Mende sieht das von der Basis aus ähnlich. 630 Mitglieder hat die SGE, die 2005 aus der Fusion der SG Hasselt und von Eintracht Schneppenbaum entstand. „Wir als Verein dürfen uns nicht der Verantwortung entziehen, über den Sport Werte zu vermitteln wie Zusammengehörigkeitsgefühl und Fairness. Wir müssen auch Kummerkasten sein bei Problemen von Menschen, die erstmal gar nichts mit dem Sport zu tun haben“, sagt der 38-jährige Kommunikationsberater. Ein Verein habe mittlerweile so viele Berührungspunkte innerhalb der Gesellschaft, dass er nicht mehr sagen könne: Ich kümmere mich nur um mich selbst. Ein solcher Verein darf in der Konsequenz dann auch vieles sein, aber eben auf keinen Fall unpolitisch. Das funktioniert am Ende auch gar nicht vor Ort. Integration, Offener Ganztag, Inklusion, demographischer Wandel, Digitalisierung, Engagement gegen rechts – Wer gestalten will, wer verändern will, kann an der Kommunalpolitik nicht vorbeidribbeln. „Ich nehme für unseren Verein schon das Selbstverständnis in Anspruch, in zentralen Bereichen des Gemeindelebens mit anzupacken und der Politik zu signalisieren: Ihr könnt da auf uns bauen. Wir schieben da an“, sagt Mende. Und ja: Natürlich habe man sich der Kommunalwahl im September von den Bürgermeisterkandidaten angehört, was sie für den Sport in der Gemeinde tun wollen. Warum auch nicht?
Klett ist für den LSB und seine knapp fünf Millionen Mitglieder in rund 18.000 Vereinen nur eine Differenzierung wichtig: Ja, er wolle einen politischen Sport, aber er wolle keinen parteipolitischen. „Der Sportverein, sollte sich da heraushalten. Es sei denn, wir reden über die AfD und rechte Tendenzen. Da müssen wir klar Stellung beziehen“, sagt er. Mende findet Meinungsbildung im Verein wichtig, „weil die Leute hier mal aus der Anonymität des Internets herauskommen. Wo lerne ich denn noch, vis-à-vis Argumente auszutauschen, eine andere Meinung oder gar Kritik auszuhalten? Nicht alles kann man per WhatsApp regeln.“
Über die Zukunft unserer Gesellschaft wird nicht nur im Sportverein entschieden. Aber eben auch dort. Und Mende wie Klett sehen darin keinen Druck, sondern eine Verpflichtung. Eine, aus der sich für sie Optimismus speist.