Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Wie die Mönchengladbacher Beuys kennenlernten
Die erste Ausstellung des vor 100 Jahren geborenen Künstlers im Museum an der Bismarckstraße sorgte für entsetzte Reaktionen.
MÖNCHENGLADBACH „Morgen fliegen nicht nur Sie raus, sondern ich gleich mit.“Diese Aussage des damaligen Kulturdezernenten Busso Diekamp, gerichtet an den Museumsdirektor Johannes Cladders, markiert treffend die Stimmung nach der Eröffnung der Beuys-Ausstellung im Museum Bismarckstraße 96 im Jahr 1967. Mönchengladbach war entsetzt und schockiert.
Mit der erst später als „Parallelprozeß I“bezeichneten Ausstellung hat der Kunst-Professor Joseph Beuys seine Duftmarken in Mönchengladbach gesetzt und so manchen Bürger verstört. Sicherlich nicht so sehr als Mensch, sondern durch das, was der „Mann mit dem Hut“unter seiner Kunst verstand.
Die Motivation für Cladders, Joseph Beuys zu zeigen, den er für den bedeutendsten deutschen bildenden Künstler des 20. Jahrhunderts hielt, lag nicht darin, das Mönchengladbacher Publikum zu verärgern und zu vergraulen, sondern es für die Kunst „gegenwartstauglich“zu machen. „Beuys und Cladders rückten mit einem Schlag das bislang so ruhige und beschauliche Mönchengladbacher Museum in den Blickpunkt des internationalen Kunstpublikums“, so die Rheinische Post im Jahr 1967.
Auch heute noch, im Beuys-Jahr 2021, spaltet der einstige „Happening-Aktor“das Publikum. Nach Cladders war das Verhältnis Beuys' zu Mönchengladbach „kein irgendwie geartetes besonderes“, umgekehrt aber „ließe sich einiges sagen, was den Charakter der Besonderheit hat“. Dank Beuys wurde eine weitaus größere Entwicklung Mönchengladbachs in Gang gesetzt, als es bisher von vielen wahrgenommen worden ist, zum Beispiel im Hinblick auf das Museum Abteiberg sowie den Imagegewinn von Mönchengladbach in Bezug zur Gegenwartskunst.
Im Anschluss der Beuys'schen Ausstellung im Museum Bismarckstraße wurde noch im selben Jahr seitens der Stadt Mönchengladbach, neben anderen Werken, die Bronze-Plastik „Aggregat“für die Bezirksverwaltungsstelle Hardt angekauft, die 1962 von Beuys geschaffen worden war.
An der geäußerten Kritik aus Hardt ist deutlich die Problematik im Umgang mit der Kunst von Beuys nachvollziehbar. Die Hardter Bürger konnten im „Aggregat“kein Motiv erkennen (so Ratsherr Gerecht) und ihrer Meinung nach trug es nicht dazu bei, Freude zu bereiten (Stadtamtmann Dohr). Ganz im Gegenteil schien es Anlass für Missbehagen, Ärger und Unmut zu geben. In einem Leserbrief an die Rheinische Post empfahl der Schreiber, noch ein zweites Aggregat zu kaufen, damit „kleine Aggregätchen“entstehen, die „mit hohem Gewinn an kunstaufgeschlossene Entwicklungsländer“verkauft werden können.
Ein als „Sonate mit Sauerkraut“bezeichnetes Fluxus-Konzert im Jahr 1969 und eine als „Friedenfeier“bezeichnete Aktion 1972 verstärkten die Tendenz, Beuys „zum großen Buhmann und ausgemachten Mönchengladbacher Bürgerschreck“zu machen. Die Westdeutsche Zeitung schrieb über diese Aktion, die den Titel trug „... oder sollen wir es verändern?“: „Bluff, Provokation, Zirkus, mit welchen Schlagworten man auch dieses Sonderkonzert immer bezeichnet, es war eine beschämende Vorstellung, gegen das Publikum gerichtet, das kaum laut protestierte, als man ihm auf diese Weise versimpelt modernen, menschenvernichtenden Lebensrhythmus signalisierte und einhämmerte.“
Auch aufgrund einiger anderer Aktionen wurde das Mönchgladbacher Publikum durch den „Material-Poeten“Beuys verunsichert. Die Aktionen wurden nicht verstanden als Frage „Was ist überhaupt Kunst?“oder als Chance einer irgendwie gearteten Auseinandersetzung mit sich und der (Kunst-)Welt, sondern in der Mehrheit als Angriff, Provokation und Verunglimpfung der vertrauten kulturellen Standards. Wie bei anderen Aktionen von Beuys, so auch hier, herrschte ein dringender Erklärungsbedarf, der jedoch offenbar erst langsam im Laufe der Zeit befriedigt wurde.
Viel Unverständnis im Umgang mit der Kunst von Beuys muss auch dazu beigetragen haben, dass Beuys (so auch Heinz Mack und Erwin Heerich) bei den geplanten Maßnahmen zur künstlerischen Ausstattung der Münsterkirche anlässlich des Katholikentages 1974 keinerlei
„Morgen fliegen nicht nur Sie raus, sondern ich gleich mit“Busso Diekamp Kulturdezernent
Berücksichtigung fand.
Der Vorschlag, Joseph Beuys mit dem Entwurf für das Hauptportal der Gladbacher Abteikirche zu beauftragen, war für die kirchlichen Vertreter wie ein Schock.
Auch heute noch bieten der „Fettplastiker“Beuys und seine Kunst – die man nicht mögen muss – eine große Chance. Wer bereit und offen ist, sich mit dem Werk und den Ideen – die untrennbar verbunden sind – von Beuys auseinanderzusetzen, und das heißt bei ihm, sich stets mit der Frage beschäftigen „Was ist Kunst?“, wird es nicht bereuen und es als eine Bereicherung und einen Gewinn seines Lebens und seiner Persönlichkeit empfinden. Nicht alles kann und muss gefallen, manchmal ist es gut, einfach auch etwas so zu lassen wie es ist: Kunst.