Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Wie die Mönchengla­dbacher Beuys kennenlern­ten

Die erste Ausstellun­g des vor 100 Jahren geborenen Künstlers im Museum an der Bismarckst­raße sorgte für entsetzte Reaktionen.

- VON HANS SCHÜRINGS Der Gastbeitra­g ist in der Geschichts­werkstatt Mönchengla­dbach entstanden; Schürings, Hans: Mönchengla­dbach und Joseph Beuys, in: Rheydter Jahrbuch, Nr. 28, 2009, S. 95-112, ISBN: 3-925256.69-5

MÖNCHENGLA­DBACH „Morgen fliegen nicht nur Sie raus, sondern ich gleich mit.“Diese Aussage des damaligen Kulturdeze­rnenten Busso Diekamp, gerichtet an den Museumsdir­ektor Johannes Cladders, markiert treffend die Stimmung nach der Eröffnung der Beuys-Ausstellun­g im Museum Bismarckst­raße 96 im Jahr 1967. Mönchengla­dbach war entsetzt und schockiert.

Mit der erst später als „Parallelpr­ozeß I“bezeichnet­en Ausstellun­g hat der Kunst-Professor Joseph Beuys seine Duftmarken in Mönchengla­dbach gesetzt und so manchen Bürger verstört. Sicherlich nicht so sehr als Mensch, sondern durch das, was der „Mann mit dem Hut“unter seiner Kunst verstand.

Die Motivation für Cladders, Joseph Beuys zu zeigen, den er für den bedeutends­ten deutschen bildenden Künstler des 20. Jahrhunder­ts hielt, lag nicht darin, das Mönchengla­dbacher Publikum zu verärgern und zu vergraulen, sondern es für die Kunst „gegenwarts­tauglich“zu machen. „Beuys und Cladders rückten mit einem Schlag das bislang so ruhige und beschaulic­he Mönchengla­dbacher Museum in den Blickpunkt des internatio­nalen Kunstpubli­kums“, so die Rheinische Post im Jahr 1967.

Auch heute noch, im Beuys-Jahr 2021, spaltet der einstige „Happening-Aktor“das Publikum. Nach Cladders war das Verhältnis Beuys' zu Mönchengla­dbach „kein irgendwie geartetes besonderes“, umgekehrt aber „ließe sich einiges sagen, was den Charakter der Besonderhe­it hat“. Dank Beuys wurde eine weitaus größere Entwicklun­g Mönchengla­dbachs in Gang gesetzt, als es bisher von vielen wahrgenomm­en worden ist, zum Beispiel im Hinblick auf das Museum Abteiberg sowie den Imagegewin­n von Mönchengla­dbach in Bezug zur Gegenwarts­kunst.

Im Anschluss der Beuys'schen Ausstellun­g im Museum Bismarckst­raße wurde noch im selben Jahr seitens der Stadt Mönchengla­dbach, neben anderen Werken, die Bronze-Plastik „Aggregat“für die Bezirksver­waltungsst­elle Hardt angekauft, die 1962 von Beuys geschaffen worden war.

An der geäußerten Kritik aus Hardt ist deutlich die Problemati­k im Umgang mit der Kunst von Beuys nachvollzi­ehbar. Die Hardter Bürger konnten im „Aggregat“kein Motiv erkennen (so Ratsherr Gerecht) und ihrer Meinung nach trug es nicht dazu bei, Freude zu bereiten (Stadtamtma­nn Dohr). Ganz im Gegenteil schien es Anlass für Missbehage­n, Ärger und Unmut zu geben. In einem Leserbrief an die Rheinische Post empfahl der Schreiber, noch ein zweites Aggregat zu kaufen, damit „kleine Aggregätch­en“entstehen, die „mit hohem Gewinn an kunstaufge­schlossene Entwicklun­gsländer“verkauft werden können.

Ein als „Sonate mit Sauerkraut“bezeichnet­es Fluxus-Konzert im Jahr 1969 und eine als „Friedenfei­er“bezeichnet­e Aktion 1972 verstärkte­n die Tendenz, Beuys „zum großen Buhmann und ausgemacht­en Mönchengla­dbacher Bürgerschr­eck“zu machen. Die Westdeutsc­he Zeitung schrieb über diese Aktion, die den Titel trug „... oder sollen wir es verändern?“: „Bluff, Provokatio­n, Zirkus, mit welchen Schlagwort­en man auch dieses Sonderkonz­ert immer bezeichnet, es war eine beschämend­e Vorstellun­g, gegen das Publikum gerichtet, das kaum laut protestier­te, als man ihm auf diese Weise versimpelt modernen, menschenve­rnichtende­n Lebensrhyt­hmus signalisie­rte und einhämmert­e.“

Auch aufgrund einiger anderer Aktionen wurde das Mönchgladb­acher Publikum durch den „Material-Poeten“Beuys verunsiche­rt. Die Aktionen wurden nicht verstanden als Frage „Was ist überhaupt Kunst?“oder als Chance einer irgendwie gearteten Auseinande­rsetzung mit sich und der (Kunst-)Welt, sondern in der Mehrheit als Angriff, Provokatio­n und Verunglimp­fung der vertrauten kulturelle­n Standards. Wie bei anderen Aktionen von Beuys, so auch hier, herrschte ein dringender Erklärungs­bedarf, der jedoch offenbar erst langsam im Laufe der Zeit befriedigt wurde.

Viel Unverständ­nis im Umgang mit der Kunst von Beuys muss auch dazu beigetrage­n haben, dass Beuys (so auch Heinz Mack und Erwin Heerich) bei den geplanten Maßnahmen zur künstleris­chen Ausstattun­g der Münsterkir­che anlässlich des Katholiken­tages 1974 keinerlei

„Morgen fliegen nicht nur Sie raus, sondern ich gleich mit“Busso Diekamp Kulturdeze­rnent

Berücksich­tigung fand.

Der Vorschlag, Joseph Beuys mit dem Entwurf für das Hauptporta­l der Gladbacher Abteikirch­e zu beauftrage­n, war für die kirchliche­n Vertreter wie ein Schock.

Auch heute noch bieten der „Fettplasti­ker“Beuys und seine Kunst – die man nicht mögen muss – eine große Chance. Wer bereit und offen ist, sich mit dem Werk und den Ideen – die untrennbar verbunden sind – von Beuys auseinande­rzusetzen, und das heißt bei ihm, sich stets mit der Frage beschäftig­en „Was ist Kunst?“, wird es nicht bereuen und es als eine Bereicheru­ng und einen Gewinn seines Lebens und seiner Persönlich­keit empfinden. Nicht alles kann und muss gefallen, manchmal ist es gut, einfach auch etwas so zu lassen wie es ist: Kunst.

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FOTO: UTE KLOPHAUS Eröffnung der Ausstellun­g von Joseph Beuys 1967: In der ersten Reihe sitzt Beuys, rechts daneben Wilhelma Cladders, dahinter Busso Diekamp.
 ?? FOTO: HORST OSSINGER/DPA ?? Professor Joseph Beuys am 26. Juni 1967 in seinem Düsseldorf­er Atelier. Seine Ausstellun­gen und Werke haben die Gladbacher beschäftig­t.
FOTO: HORST OSSINGER/DPA Professor Joseph Beuys am 26. Juni 1967 in seinem Düsseldorf­er Atelier. Seine Ausstellun­gen und Werke haben die Gladbacher beschäftig­t.

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