Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Thomas Kühnapfels Gespür für Stahl
Skulpturen von zwei sehr gegensätzlichen Künstlern und eine „kleine“Kunstmesse: In der Galerie Löhrl gibt es jede Menge Kunstgenuss zu erleben
MOENCHENGLADBACH Zwei Einzelausstellungen und eine Inhouse-Messe: Es lohnt den Aufwand, einen offiziellen Coronatest hinter sich zu bringen, einen Termin zu vereinbaren und mit Maske und desinfizierten Händen die drei Häuser der Galerie Löhrl aufzusuchen. Christian Löhrl trotzt der Pandemie und stellt zwei Bildhauer aus, die gegensätzlicher nicht sein können: den 1966 geborenen Thomas Kühnapfel und den 25-jährigen Paul Diestel.
Stille breitet sich in den offenen Räumen der Galerie aus. Gut platziert und mit viel Raum um sich stehen die schlanken, hohen, dunklen Holzskulpturen von Paul Diestel da. „Ich kann nicht Objekte aus dem Nichts erfinden“, hat der in Schweinfurt geborene Diestel einmal gesagt. Er bezieht sich in seinen Arbeiten auf organische Fundstücke: Ahornsamen, -kapseln und -flügel oder Sonnenblumenkerne. Sie werden gefunden, aufgehoben und untersucht. So entwickeln sie sich zum Vor-Bild. In den Skulpturen hält Diestel, der eine bildhauerische Ausbildung hat, bevor er an der Kunsthochschule Kassel studierte, das Wesen des Fundstücks fest und gibt ihm eine bleibende Form.
Drei kleine Ahornsamen verwandelt Diestel in eine 2,20 Meter große Skulptur: drei der Samen begegnen sich mit ihren „Köpfen“am oberen Ende, treffen am Boden leichtfüßig auf und halten ein fragiles Gleichgewicht. Die Skulpturen bestehen aus Holz, die Oberfläche wurde mit Kalk und Hasenleim bearbeitet. Paul Diestel war in der Gruppenausstellung „Kassel zu Gast in Mönchengladbach“
in der Galerie Löhr 2019 zu sehen und beeindruckte den Galeristen so sehr, dass er eine Einzelausstellung mit ihm plante.
Das Kontrastprogramm hat Thomas Kühnapfel aus Rees am Niederrhein mitgebracht. Er studierte Bildhauerei an der Kunstakademie in Düsseldorf. Sein Material ist Stahl. Die Herstellung seiner Skulpturen ist schwer vorstellbar: Kühnapfel
presst Luft mit 200 Bar in verschweißte Platten aus Edelstahl oder Blech. „Das Material folgt dieser Kraft“, erklärt Kühnapfel. Durch den Druck entstehen Knicke und daraus ein Volumen. Dabei werden die Formen gezielt deformiert. Die Skulpturen sehen federleicht und weich aus. Der Besucher assoziiert mit den organischen Formen bekannte Tiere, doch passen diese Assoziationen
nie ganz. In die mit Glasperlen bestrahlten, hochglänzenden Skulpturen wird der Besucher mit hineingenommen: auch er deformiert und fragmentiert.
Neben den tierartigen Formen befasst sich Kühnapfel mit Zahlen, die im gleichen Herstellungsprozess entstanden sind, aber unpoliert bleiben. 1647, 1939 – Zahlen gehören zu Kühnapfels Orientierung in der Zeit – ohne dass er verraten würde, worum es geht. Ein Rätsel und eine Aufforderung, eine eigene Verbindung zur Zahl herzustellen.
Und dann gibt es noch die Inhouse-Messe als kleinen Ersatz für die erneut verschobene „Art Cologne“. Gut 20 Künstler der Galerie zeigen ihre Werke: Stephan Balkenhol, Angela Glajcar, Christof Klute, Roman Kochanski, Dieter Nuhr, Piene, Polke, Richter, Rückriem und Dirk Salz. Die kleine Kunstmesse bietet viel Stoff für einen unterhaltsamen Kunstspaziergang.