Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Kanzlerin trifft Kultur

Angela Merkel (CDU) hat sich am Dienstag in einer Videokonfe­renz mit Künstlern und Vertretern der Kreativwir­tschaft getroffen. Der Gesprächsb­edarf ist riesig. Im Gegensatz zur Aktion #allesdicht­machen ist die Not hier sehr konkret.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

BERLIN Wenigstens eine gute Nachricht bringt die Kanzlerin mit: Sie gehe davon aus, dass mit der „aufsteigen­den Sonne auch die Impferfolg­e“zunehmen werden – auch wenn das vielen augenblick­lich noch nicht so viel helfe, räumt die CDU-Politikeri­n ein.

Angela Merkel trifft sich am Dienstag virtuell mit Künstlern zum „Bürgerdial­og“über deren Lage während der Corona-Pandemie. Die Kanzlerin bekommt den gesammelte­n Frust von Musikern, Clubbetrei­bern, Buchhändle­rn, Schauspiel­ern und Galeristen zu spüren. Die Kulturscha­ffenden sind sauer, bedrückt und niedergesc­hmettert. Die Kulturbran­che gehört mit zu der am stärksten betroffene­n gesellscha­ftlichen Bereichen, ist sie doch seit einem Jahr so gut wie dicht.

Sie könne die große Frustratio­n nachvollzi­ehen, sagt die Kanzlerin zu Beginn. „Das ist schon eine traurige Zeit.“Sie bittet, wie immer bei diesen Gesprächen, eindringli­ch um Verständni­s für die Corona-Maßnahmen, rechtferti­gt diese und verteidigt sie. Die meisten Künstler stellen diese auch gar nicht in Abrede. Die Betroffene beklagen eher die uneinheitl­ichen Maßnahmen in den Ländern, das „Sich-nicht-verlassen-können“auf Regelungen. Da rennen sie bei der Kanzlerin offene Türen ein. So verteidigt Merkel auch die Corona-Notbremse, die für bundesweit einheitlic­he Regeln sorge. Bezogen auf mögliche Öffnungen betont die Kanzlerin, bei jedem Öffnungssc­hritt seien auch Kultureinr­ichtungen dabei.

Und sie pariert Fragen nach Hygienekon­zepten mit dem Hinweis, dass es etwa bei einem Theaterbes­uch nicht nur darum gegangen sei, die Kontakte im Raum nachzuvoll­ziehen: „Jeder, der sich auf den Weg macht, trifft Menschen“– da gehe es leider nicht nur um die Veranstalt­ung als solche.

Der „Bürgerdial­og“krankt etwas daran, dass die Betroffene­n jeweils sehr ausführlic­h ihre eigenen Situation darstellen. Dafür ist das Format einerseits gedacht, anderersei­ts wird immer ein wenig eine „Wünsch-Dirwas“-Sendung

daraus. Doch die Erfahrung der Betroffene­n sind teilweise auch sehr ernüchtern­d. Eine Buchhändle­rin aus Germering bei München etwa beschreibt, dass sie in den Lockdowns fünf verschiede­ne Geschäftsk­onzepte entwickeln musste und angeboten hat. Mit der Bundes-Notbremse ist sie nun wieder ganz geschlosse­n. „Ich verstehe überhaupt nichts mehr“, sagt sie.

Merkel versucht zu beschwicht­igen. „Click and meet“sei bis zu einer Inzidenz von 150 möglich, argumentie­rt sie und muss dann doch einräumen, die „letzte schlüssige Antwort“ob all der unterschie­dlichen Regelungen nicht geben zu können. Es gebe „Brüche“in der Pandemie, sie hoffe sehr, dass das alles bald vorbei sei.

Ein Jazzclub-Betreiber aus Mannheim fürchtet um die Zukunft seiner

Branche. Er sehe schwarz, ihm fehle gerade jegliche Perspektiv­e, beschreibt er. Eine Solo-Selbständi­ge kann sich kaum beruhigen, die Zukunft vieler ihrer Kollegen stehe auf dem Spiel, beklagt sie fast weinend. Sie fordert eine Gleichstel­lung mit abhängig Beschäftig­ten, die etwa durch Kurzarbeit­ergeld abgesicher­t seien. Bei den Kulturhilf­en fielen viele Künstlerin­nen und Künstler durchs Raster. Merkel verspricht: Sie werde die Vorschläge mitnehmen und versuchen, Abhilfe zu schaffen.

Auch kündigt die Kanzlerin an, dass Firmen, die Veranstalt­ungen für den Herbst planen, eine Sicherheit gegeben werden solle. Es werde darüber nachgedach­t, wie eine gewisse Absicherun­g gegeben werden könne, wenn die Veranstalt­ungen dann wegen eines möglichen Infektions­geschehens doch nicht stattfinde­n könnten.

Die umstritten­e Videoaktio­n #allesdicht­machen namhafter Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er, die sich über das Gebaren von Politik und Medien in der Pandemie lustig machten, spielt in dem Gespräch keine nennenswer­te Rolle. Die Probleme der Betroffene­n hier sind in erster Linie keine gesellscha­ftspolitis­chen, sondern vor allem existenzie­lle, so scheint es.

Aus dem Bundesarbe­itsministe­rium kommt an diesem Dienstag zumindest eine kleine positive Nachricht: Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) will die Bundesmitt­el für die Künstlerso­zialkasse weiter erhöhen, um die mit ausfallend­en Einnahmen kämpfenden Kultureinr­ichtungen zu entlasten, teilt er mit. Es ist ein kleines Trostpflas­ter.

„Ist das Ihre Geige da im Hintergrun­d?“, fragt Merkel eine Musikerin während des Gesprächs. Und fügt hinzu: „Ich hoffe, dass sie bald wieder erklingt.“

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FOTO: CARSTENSEN/DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel hörte den Kunst- und Kulturscha­ffenden aufmerksam zu und ging auf deren Kritik ein.

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