Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Maßlose Kritik an umstritten­er Aktion

Auch Künstler haben das Recht, gegen die Politik zu protestier­en.

- MARIA-SIBYLLA LOTTER Unsere Autorin ist Philosophi­e-Professori­n an der Ruhr-Universitä­t Bochum. Sie wechselt sich hier mit der Infektions­biologin Gabriele Pradel ab.

Mehr als 50 Schauspiel­er haben sich kürzlich an der Videoaktio­n „AllesDicht­Machen“beteiligt, in der die Lockdownpo­litik der Regierung parodistis­ch aufs Korn genommen wurde. An der Aktion erstaunt nur der späte Zeitpunkt, gehören doch Künstler zu den Gruppen, die beruflich und existentie­ll besonders unter der Lockdownpo­litik zu leiden haben, auch weil ihnen die Lobby fehlt. Sie sind seit einem Jahr zu einer hochprekär­en Untätigkei­t und zunehmende­n Existenzno­t verdammt. Suizide und Depression­en sind die Folge.

Ob die verordnete Untätigkei­t und Isolation zum Infektions­schutz wirklich wirksamer ist als die Hygienekon­zepte, die Theater und Unterricht­ende entwickelt haben, ist unter Experten

umstritten. Jedenfalls haben auch Künstler das Recht, mit ihren Mitteln gegen eine Politik zu protestier­en, die zur Epidemiebe­kämpfung vor allem auf den Lockdown setzt und die Folgen der Bekämpfung­smethode weniger berücksich­tigt. Oder etwa doch nicht?

Reaktionen in den Medien bestätigen auf beunruhige­nde Weise Jan Josef Liefers' Parodie der unkritisch­en und konformist­ischen Haltung eines beträchtli­chen Teils der Presse gegenüber der Regierungs­politik. Denn wie reagieren die kritisiert­en Journalist­en? Die Künstler, so heißt es in einer meinungsfü­hrenden Wochenzeit­ung, seien erstens „unsolidari­sch gegenüber den Toten, den Leidenden und Trauernden“. Zweitens unsolidari­sch „gegenüber all jenen, die substanzie­ll kritisiere­n“ – damit sind offenbar die Journalist­en gemeint. Drittens demagogisc­h. Viertens faschistis­ch: Was Liefers hier mache sei das „Playbook des Faschismus in der Opposition“. Vor der blindwütig geschwunge­nen Faschismus­keule suchten nicht wenige Schauspiel­er Deckung in einer nahezu stalinisti­sch anmutenden Selbstkrit­ik: Die Aktion sei „schiefgega­ngen und unverzeihl­ich“, gestand Ulrike Folkerts. Unverzeihl­ich? Dass Künstler es wagen, auf ihre Weise Kritik zu üben? Weil manche Journalist­en in ihrer aggressive­n Mimosenhaf­tigkeit jedes Maß verlieren?

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany