Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Maßlose Kritik an umstrittener Aktion
Auch Künstler haben das Recht, gegen die Politik zu protestieren.
Mehr als 50 Schauspieler haben sich kürzlich an der Videoaktion „AllesDichtMachen“beteiligt, in der die Lockdownpolitik der Regierung parodistisch aufs Korn genommen wurde. An der Aktion erstaunt nur der späte Zeitpunkt, gehören doch Künstler zu den Gruppen, die beruflich und existentiell besonders unter der Lockdownpolitik zu leiden haben, auch weil ihnen die Lobby fehlt. Sie sind seit einem Jahr zu einer hochprekären Untätigkeit und zunehmenden Existenznot verdammt. Suizide und Depressionen sind die Folge.
Ob die verordnete Untätigkeit und Isolation zum Infektionsschutz wirklich wirksamer ist als die Hygienekonzepte, die Theater und Unterrichtende entwickelt haben, ist unter Experten
umstritten. Jedenfalls haben auch Künstler das Recht, mit ihren Mitteln gegen eine Politik zu protestieren, die zur Epidemiebekämpfung vor allem auf den Lockdown setzt und die Folgen der Bekämpfungsmethode weniger berücksichtigt. Oder etwa doch nicht?
Reaktionen in den Medien bestätigen auf beunruhigende Weise Jan Josef Liefers' Parodie der unkritischen und konformistischen Haltung eines beträchtlichen Teils der Presse gegenüber der Regierungspolitik. Denn wie reagieren die kritisierten Journalisten? Die Künstler, so heißt es in einer meinungsführenden Wochenzeitung, seien erstens „unsolidarisch gegenüber den Toten, den Leidenden und Trauernden“. Zweitens unsolidarisch „gegenüber all jenen, die substanziell kritisieren“ – damit sind offenbar die Journalisten gemeint. Drittens demagogisch. Viertens faschistisch: Was Liefers hier mache sei das „Playbook des Faschismus in der Opposition“. Vor der blindwütig geschwungenen Faschismuskeule suchten nicht wenige Schauspieler Deckung in einer nahezu stalinistisch anmutenden Selbstkritik: Die Aktion sei „schiefgegangen und unverzeihlich“, gestand Ulrike Folkerts. Unverzeihlich? Dass Künstler es wagen, auf ihre Weise Kritik zu üben? Weil manche Journalisten in ihrer aggressiven Mimosenhaftigkeit jedes Maß verlieren?