Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Zeitspiel bei der NRW-CDU
Die Personaldebatte um die Zukunft der NRW-CDU ist voll entbrannt. Zwar traf sich am Abend der Landesvorstand. Doch die Angst vor den Blessuren einer Kampfkandidatur mit knappem Ausgang ist groß. Der Parteitag wird auf den 23. Oktober vertagt.
Es sind bewegte Wochen für die nordrhein-westfälische CDU. Zuletzt hatte sich die Frage darum, wer den wohl einflussreichsten Landesverband in der Zeit nach Armin Laschet führt, immer mehr zugespitzt. Die Namen von Verkehrsminister Hendrik Wüst und Innenminister Herbert Reul fielen am häufigsten. Die ebenfalls gehandelte Kommunalministerin Ina Scharrenbach nahm sich – zumindest vorübergehend – selbst aus dem Rennen, indem sie sich für einen Landesvorsitzenden Reul aussprach.
Laschet schaffte dann am Freitag zumindest schon einmal eine Unsicherheit aus der Welt und erklärte in einem Interview mit der „FAZ“, dass sein Platz nach der Bundestagswahl so oder so in Berlin sein werde. Keine Rückkehroption. Das gibt der Debatte zumindest schon einmal mehr Leitplanken. Und so wurden fleißig SMS und Whatsapp-Nachrichten ausgetauscht, viele Telefonate geführt.
In der CDU rumort es gewaltig. Am Freitagabend schlossen sich die CDU-Kreisvorsitzenden des Bezirks Münsterland kurz, um Hendrik Wüst den Rücken zu stärken. Immerhin lebt der 45-Jährige bis heute in Rhede (Kreis Borken) und ist damit einer der Ihren. Weil er dazu noch auf die Unterstützung der Jungen Union, des Wirtschafts- und des Arbeitnehmerflügels hoffen und zudem auf die Stimmen des Bezirks Ruhr setzen kann, wäre er im Augenblick der wohl aussichtsreichste Kandidat im Rennen.
Mehrere Parteimitglieder äußerten im Gespräch mit unserer Redaktion allerdings auch Irritationen darüber, dass Wüst sich in den vergangenen Tagen derart forsch ins Rennen gestürzt habe. „Er würde jetzt nicht unbeschadet glatt durchgehen – und ein Übergangsvorsitzender Reul stieße bei vielen auf Zustimmung“, sagt einer aus dem Landesverband.
Tatsächlich hatte der 68-Jährige zuletzt im Interview mit unserer Redaktion auf eine schnelle Klärung der Personalfrage gedrungen – die Unterstützung von Scharrenbach hatte er da schon sicher. Also offener Kampf mit beschädigten Teilnehmern? Danach ist in der ansonsten recht streitlustigen NRW-CDU nach dem aufreibenden Kampf um Bundesvorsitz und Kanzlerkandidatur wirklich niemandem. Das zeigte die Sitzung des Landesvorstands am Montagabend. Für den Juni ist nun nur noch die Aufstellung der Liste für die Bundestagswahl geplant – als Präsenzveranstaltung unter Corona-Sicherheitsvorkehrungen. Der Landesparteitag indes wird auf den Herbst verschoben – ebenfalls in Präsenz. Anders als bei der Aufstellung der Listen sieht der Vorstand das „angesichts der anhaltenden pandemischen Lage als nicht möglich an“. Der Parteitag soll nun am 23. Oktober stattfinden, ein passender Veranstaltungsort wird nach der parlamentarischen Sommerpause festgelegt.
Natürlich muss einem jeden Mitglied ein steriler Parteitag wie ein Graus vorkommen – ohne Schnack am Buffet oder beim Check-in im Hotel, ohne gesellige Vorbesprechungen und dergleichen. Viel wichtiger dürfte bei der Entscheidung für Oktober ein Abwägungsprozess gewesen sein: Nach Einschätzung von Beobachtern hätte Hendrik Wüst bei einem digitalen Parteitag im Juni vermutlich ein ordentliches Ergebnis einfahren können – aber es wäre eine Entscheidung gewesen, die zu Blessuren für Reul und seinen Unterstützerkreis geführt hätte. Deshalb spielt die CDU in NRW auf Zeit und nimmt damit bewusst das Risiko in Kauf, dass sich die Personaldebatte in die Länge zieht und so in den Bundestagswahlkampf hineinstrahlt. Dahinter stehen zwei Hoffnungen: dass der Medienrummel um die Nachfolge schon noch nachlaswerde sen und man es in der CDU schaffe, quasi nach dem Vorbild der Grünen still, heimlich und effizient eine Einigung ohne viel öffentliches Hauen und Stechen hinzubekommen.
Im Wüst-Lager heißt es, dass die Vertagung kein Beinbruch sei. So könne der 45-jährige Verkehrsminister die Zeit bis Oktober nutzen, um noch mehr Parteimitglieder von sich selbst zu überzeugen. Er müsse unter allen Umständen den Anschein vermeiden, dass er nicht aufgrund seiner Qualifikation, sondern lediglich wegen seines Landtagsmandats, das verfassungsrechtlich als Voraussetzung für die Wahl zum Ministerpräsidenten ist, ins Amt gehievt werde. Im Oktober sei die Lage dann eine andere, weil sich dann Parteivorsitz und Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl nur noch schwer voneinander trennen ließen.
Natürlich wäre es für Laschet nicht schlecht gewesen, mit einem ordentlich etablierten Nachfolger im Rücken ins Rennen ums Kanzleramt zu gehen. Das hätte dann auch den Charme gehabt, dass bei der immer knapper werdenden Zeit für die Landtagswahlkampfvorbereitung eine Richtung klarer gewesen wäre. Doch auch wenn sich Ministerin Ina Scharrenbach mit ihrer Fürsprache für Herbert Reul vorübergehend zurückgezogen hat, bringt es ein CDUler auf die Formel: „Je nachdem, wie die Bundestagswahl ausgeht, könnte natürlich eine Frau als Spitzenkandidatin ein starkes Argument sein.“