Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Borussia braucht jetzt Stindl in der Boss-Rolle
Es ist müßig, zu diskutieren, ob Lars Stindl als Startelf-Teilnehmer dem samstäglichen Geschehen in der Münchner Allianz-Arena einen anderen Drive gegeben hätte, als den, den es ohne ihn gab beim 0:6. Trainer Marco Rose sah ihn nach fast einmonatiger Abstinenz wegen des Muskelfaserrisses, den er sich beim 2:2 bei Hertha BSC in Berlin am 10. April zugezogen hatte, noch nicht bereit für die Startelf. Und als der Kapitän 21 Minuten vor dem Ende kam, lag sein Team schon 0:5 zurück und in Trümmern. Da war nichts mehr zu retten. Dass ein fitter Stindl Gladbach fußballerisch enorm gut tut, steht außer Frage. Doch fehlte den Borussen in München nicht nur das fußballerische Konzept, um dem Rekordmeister Paroli zu bieten, sondern auch die richtige mentale
Herangehensweise. Die Borussen erdulteten statt sich zu wehren, sie ergaben sich statt aufzumucken.
Da hätte man sich einen gewünscht, der genau das tut, einen wie Martin Stranzl einer früher war, der sich die Kollegen auch mal zur Brust nimmt, ihnen den Marsch bläst und klar macht: Jungs, so können wir uns nicht präsentieren. Roses vorsichtiges „Jungs, bitte“, war zu wenig, um die Lethargie zu vertreiben.
Nun ist Stindl auch keiner, der im originären Sinne stranzlt, doch hat er durchaus die Gabe, das Team an die Hand zu nehmen und mitzureißen. Das 3:3 bei Eintracht Frankfurt war ein Beispiel dafür: Auch da fehlte den Borussen nach der 1:0-Führung der Zugriff auf Spiel und Gegner, dann war Stindl in der Schlussphase da mit dem unbedingten Willen, sich gegen das Schicksal zu stemmen. Wie in Florenz, an Stindls größtem Tag, als er 2017 Gladbach ins Achtelfinale der Europa League schoss mit drei Tore.
Kurz: Stindl ist natürlich in seinem Kerngebiet gefragt als feiner Techniker, als Inspirator des Borussen-Spiels. Aber auch als Boss. Als der, der vorangeht, der, der mitreißt, aber auch der, der unangenehm wird, der stranzlt, wenn es nicht passt wie jetzt in München. Fehlt der Mut, braucht es manchmal auch Wut. Wut darüber, das es nicht zusammengeht, dass es nicht läuft, und da darf man sich als „Cheffe“dann auch mal mitteilen, wenn nötig auch lautstark. So etwas fehlte jetzt in München, auch das gehört zu Aufbäumen dazu: mal den Kollegen die Leviten zu lesen.
Christoph Kramer wird nun gelangweilt grinsen, wenn er das liest, er hält nichts von der Debatte, dass Typen und Bosse fehlen, die oft aufkommt nach Niederlagen. Doch geht es nun für Borussia darum, der Saison eine Finale Bewertung zu geben: Europa oder nicht Europa, das ist hier die Frage.
Für Rose führt im Saisonfinale am Kapitän kein Weg vorbei. Er braucht Tore und Typen für den Erfolg,
auch Erfahrung. Stindl bringt all das mit. Er selbst weiß am besten, wie schön es ist, in Europa zu spielen, oft schon war es seine Bühne: beim ersten Gladbacher Champions-League-Tor, beim Doppelpack gegen Sevilla, beim wichtigen 1:0 in Glasgow, beim späten Elfmeter in Rom. Und eben in Florenz. Stindl hat im Hotel im Borussia-Park „sein“Zimmer für den großen Auftritt bekommen, da haben er und die anderen Borussen dem Schicksal noch ein Schnippchen geschlagen, weil sie nochmal aufgestanden sind, als alles vorbei schien – angetrieben von Stindl. Diesen Stindl braucht Borussia gegen Stuttgart und in Bremen.