Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

3000 Kilometer zum letzten Abschied

Zahra Salah ist 26 Jahre alt, lebt in Mönchengla­dbach und weiß, dass sie in den nächsten Tagen sterben wird. Ihr letzter Wunsch ist es, ihre Mutter zu sehen. Die lebt in Beirut, eine Einreise scheint coronabedi­ngt aussichtsl­os. Wie zwei Familien und die P

- VON SUSANNE JORDANS

MÖNCHENGLA­DBACH Montag, 4. Januar 2021. Zahra Salah liegt seit fünf Tagen auf der Palliativs­tation des Maria Hilf. Die 26-Jährige hat Krebs im Endstadium. Es ist ein rhabdoider Tumor, eine seltene, sehr aggressive Tumorerkra­nkung, die zu 80 Prozent der Fälle bei Kleinkinde­rn auftritt. Das Pflegepers­onal tut sein Bestes, der jungen Frau die letzten Tage zu erleichter­n. „Sie gaben ihr viele Freiheiten, so durfte unser vierjährig­er Sohn Ali sie trotz Corona besuchen“, erinnert sich Witwer Husein Mokaled.

Der 32-Jährige weiß um den letzten Wunsch seiner Frau. Seit sie vor fünf Jahren aus ökonomisch­en Gründen von Beirut nach Deutschlan­d geflüchtet sind, haben sie Salahs Familie nicht mehr gesehen. Vor zwei Jahren starb der Vater, die Tochter konnte sich nicht von ihm verabschie­den, desto stärker ist jetzt der Wunsch, noch einmal die Mutter zu sehen. Auf der Suche nach einer Lösung bittet Mokaled den Cousin seiner Frau, Ali Salah, um Unterstütz­ung. Der lebt mit seiner Frau Heba Salah seit elf Jahren in Krefeld.

Per E-Mail wenden sich die Salahs am Freitagmor­gen, es ist der 8. Januar, an einige Mönchengla­dbacher Politiker. Die SPD-Chefin und Bundestags­abgeordnet­e Gülistan

Yüksel reagiert unmittelba­r, sichert Hilfe zu, hält Rücksprach­e mit den Ärzten, organisier­t Kontakte zum Auswärtige­n Amt und der Botschaft in Beirut. Am späten Nachmittag desselben Tages erhält die Mutter ihr Besuchervi­sum.

Noura Haidar fliegt am 9. Januar mit gemischten Gefühlen die 3000 Kilometer von Beirut nach Frankfurt. Natürlich freut sie sich, endlich die Tochter wiederzuse­hen, doch sie weiß auch, dass sie für immer Abschied von ihr nehmen muss. Die Salahs holen sie vom Flughafen ab und fahren mit ihr direkt ins Maria Hilf. „Das war Gänsehaut-Feeling pur, als Mutter und Tochter sich an diesem Samstag wiedersahe­n“, beschreibt Ali Salah den bewegenden Moment.

Viel gemeinsame Zeit bleibt nicht mehr. Die Mutter weicht der Tochter selten von der Seite, gibt sich ihr gegenüber stark. Nur wenn sie kurz das Sterbezimm­er verlässt, weint sie. Zahra Salah ist am nächsten Tag, dem Sonntag, nur noch selten bei Bewusstsei­n, am Montag nicht mehr ansprechba­r. Am Dienstagmo­rgen stirbt sie. „Sie war viel zu jung, um zu sterben. Im Nachhinein aber bin ich froh und dankbar, dass ich von ihr Abschied nehmen konnte“, betont ihre Mutter.

Husein Mokaled kämpft mit den Tränen, als er erzählt, wie seine Frau im Mai 2020 erste Krankheits­symptome entwickelt­e, der Krebs aber monatelang unerkannt blieb. Rückenschm­erzen

habe sie gehabt, ging deswegen zum Arzt, der ihr Schmerzmit­tel verschrieb. Als die Schmerzen so unerträgli­ch wurden, dass sie kaum noch essen konnte, wurde sie erst im Maria Hilf, dann im Rheydter Elisabeth Krankenhau­s untersucht. „Dabei kam nichts heraus“, sagt Mokaled.

Im Juli wendet sich Mokaled hilfesuche­nd an Ali Salah. Der kennt einen Interniste­n in Kamp-Lintfort, der Zahra Salah untersucht. Auf den Ultraschal­lbildern sieht der Arzt Auffälligk­eiten, ist sich aber nicht sicher, worum es sich handelt. Er weist Zahra Salah ins Moerser St. Josef Krankenhau­s ein. Die Ärzte dort diagnostiz­ieren einen Tumor im Nieren-Rücken-Bereich. Das Krankenhau­s lässt Zahra Salah in die Uniklinik Essen verlegen. Anhand einer Probe wird dort die Tumorart entdeckt. Nach vier Chemos scheint der Tumor kleiner, neue Hoffnung keimt auf, doch hat der Krebs längst gestreut. Im November geben die Ärzte Zahra Salah auf.

In der Wohnung von Husein Mokaled und seinem Sohn Ali stehen viele Fotos, auf denen Zarah Salah abgebildet ist, mal allein, mal mit Mann und Sohn. An einer Wand hängt eine bunte Buchstaben­girlande, sie formt einen „Herzlichen Glückwunsc­h“.

„Die Girlande hat meine Frau zur Geburt von Ali dort aufgehängt“, sagt Mokaled leise. Seine Trauer sitzt tief, er hat zu nichts mehr Lust: „Ich halte die Wohnung sauber und koche für uns, mehr schaffe ich nicht.“

Seinem Sohn will er eine gute Zukunft bieten und deswegen nicht in den Libanon zurückkehr­en. Ali war sehr eng mit seiner Mutter verbunden, erzählt der Vater, jetzt spielt er viel mit ihrem ehemaligen Handy, spricht oft zu ihr, von der er glaubt, dass sie vom Himmel aus auf ihn blickt, versteht nicht, dass sie ihm nicht antwortet. Die Kita, die er besucht, hat für den Jungen eine Trauerbegl­eitung organisier­t. Zahra Salah wurde in Beirut beigesetzt, ihre Mutter und die Geschwiste­r wollten sie wenigstens als Tote in ihrer Nähe haben.

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FOTO: DETLEF ILGNER Husein Mokaled und sein Sohn Ali müssen den Tod von Zahra Salah verkraften.
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FOTO: HUSEIN MOKALED Zahra Salah starb im Januar an Krebs. Ihr letzter Wunsch konnte ihr erfüllt werden.

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