Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Der Mülltaucher
André Jüngling aus Hückelhoven fischt die Abfälle anderer aus den Seen im Erkelenzer Land. In den sozialen Medien teilt er seine Funde.
ERKELENZER LAND Das Wasser ist sein Element. Wenn André Jüngling im Wasser ist, dann kann er abschalten, seine Sorgen und Probleme vergessen. Er schlüpft in seinen Neoprenanzug, schnappt sich Brille, Flossen und Schnorchel und taucht ab. Kapbuschsee, Adolfosee, Effelder Waldsee – die Seen in der Umgebung kennt der Hückelhovener in- und auswendig. Er weiß, an welchen Stellen er gut ins Wasser kommt, weiß, wo er am ehesten seine Ruhe haben kann. Er weiß aber auch, wo er mit Sicherheit den meisten Müll finden wird. Denn das ist seine Mission.
Das Tauchen begleitet André Jüngling schon seit über zehn Jahren, der Berufssoldat ist Mitglied beim Tauchverein Hückelhoven. Vor etwa zwei Jahren hat er auf dem sozialen Netzwerk Instagram das Profil von schwedischen Tauchern entdeckt, die bei ihren Tauchgängen das Wasser von Müll befreien – und war angefixt. „Den Müll habe ich vorher schon gesehen und auch mal was mitgenommen“, sagt er. Dann sei er aber mal ganz bewusst losgezogen, um nach Abfall zu tauchen. „Mein Blick hat sich verändert. Ich habe immer mehr Müll gesehen“, sagt Jüngling.
Anfangs sei er noch mit einem kleinen Beutel unterwegs gewesen, inzwischen hat er ein Bällesack umfunktioniert, um darin den Unrat zu sammeln. Der Sack ist an einer Boje befestigt, dass er für andere auch dann zu sehen ist, wenn er gerade unter Wasser nach einer alten Flasche oder ähnlichem greift. „Mein Equipment habe ich nach und nach erweitert“, sagt Jüngling.
In Zeiten der Corona-Pandemie haben viele Menschen die Natur in ihrer näheren Umgebung für sich entdeckt, die Seen im Erkelenzer Land sind da beliebte Ausflugsziele. Bedeuten mehr Menschen auch gleichzeitig mehr Müll? Holger Loogen, Sprecher der Stadt Hückelhoven, bestätigt, dass hin und wieder mehr Müll zu sehen sei. Aber nicht so viel, als dass die Stadt dort aktiv werden müsste. Für André Jüngling bedeutet das mehr Arbeit. Er sieht schon einen Anstieg an Müll, der aber nicht nur mit der Pandemie zusammenhänge. Mit den Städten steht Jüngling im Austausch, hat sich Genehmigungen zum Tauchen eingeholt und alles mit der zuständigen unteren Naturschutzbehörde abgeklärt. Das, was er aus dem See zieht, verpackt er und verständigt das zuständige Ordnungsamt. Die Ämter müssen den Müll dann nur noch abholen. Jünglings Hobby, sein Dienst an der Gesellschaft, ist dort gern gesehen.
Neben Schreibtischstühlen, Pylonen und Grillutensilien hat der jede Menge Dosen und Flaschen an Land gezogen. Sein kuriosester Fund: eine Hollywoodschaukel. Bei dem Aufwand, den manche Mitbürger dafür aufbringen müssen, ihren Müll im See abzuladen, kann Jüngling nur mit dem Kopf schütteln. Ein Mal musste er auch die Feuerwehr rufen. „Da trieb ein blaues Fass im Wasser, und da war auch was drin. Das war mir dann doch zu heikel, das selbst rauszuziehen“, gesteht er.
Den ungefährlichen Unrat lädt er am Ufer ab, um wieder Platz für weitere Funde zu haben. Bei dem Anblick des gesammelten Mülls sind so manche Passanten entsetzt. Andere bieten spontan Hilfe. Das sind
Momente, die den dreifachen Vater bestärken. Manche sagen ihm, dass sie bei ihrer Spazierrunde auch eine Tüte mitnehmen und das aufsammeln, was sie finden. „Andere schreiben mich auch mal an und wollen mitkommen und helfen. Die Reaktionen sind durchweg positiv“, sagt er.
Positiv sei auch das Ergebnis. Der See sei ein schönerer Tauchspot und besser für die Umwelt sei es auch, betont er. Es gehe ihm aber auch darum, Wissen und Verantwortung richtig einzusetzen, den nachfolgenden Generationen die Lebensgrundlage zu erhalten. „Ich würde mich schämen, wenn ich später sagen müsste, ich habe das gesehen aber nichts getan“, bekräftigt er.
Der Abfall anderer Leute kann André Jüngling den Spaß am Tauchen aber nicht verderben, er findet im Wasser weiter seine Entspannung. Und – so die traurige Realität – höchstwahrscheinlich auch wieder Müll.