Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Corona: Frauen spüren Vereinsamung
In der Frauenberatungsstelle sind Gesprächstermine immer komplett ausgebucht. Daran hat auch Corona nichts geändert. Neu ist: Einsamkeit ist ein riesengroßes Thema.
In der Frauenberatungsstelle sind Gesprächstermine immer komplett ausgebucht. Neu ist: Einsamkeit ist ein riesengroßes Thema.
MÖNCHENGLADBACH
Über 1000 Gespräche über sexuelle Übergriffe, Schläge, Demütigungen und Unterdrückung wurden in der Frauenberatungsstelle Mönchengladbach im vergangenen Jahr geführt. Von der vorhergesagten Zunahme an häuslicher Gewalt haben Sozialpädagogin Silvia Henke und ihr Team noch nicht viel gespürt: „Wir können nicht sagen, dass die Gewalt extrem zugenommen hat. Gewalt gegen Frauen gibt es immer. Fast die Hälfte aller Frauen, die uns aufsuchen, haben Erfahrungen damit gemacht“, sagt sie. Die Frage sei: Was kommt nach Corona?
Die Dunkelziffer bei häuslicher Gewalt sei hoch, vielleicht gerade jetzt noch höher. „Durch den Lockdown bleiben viele Frauen unsichtbar“, sagt Psychologin Jana Walter. Wegen der fehlenden sozialen Kontrolle bleibe vielleicht vieles unentdeckt. Silvia Henke: „Wir haben schon die Vermutung, dass die Anfragen nach Corona steigen werden. Vielleicht kann man in einem Jahr mehr sehen.“Die Beraterinnen glauben zwar nicht, dass Corona zu Gewaltattacken in Beziehungen führe, in denen es so etwas vorher nie gab. Aber räumliche Enge könne zu häufigeren und härteren Wutausbrüchen und Prügelangriffen führen. Dass betroffene Frauen zum jetzigen Zeitpunkt nicht die schnelle Beendigung der Beziehung anstreben, könne auch an ganz pragmatischen Dingen liegen. Jana Walter: „Frauen stellen sich Fragen: Wie finde ich in der Pandemie eine neue Wohnung? Wie kann ich mich über eine Trennung beraten lassen, wenn die ganze Zeit die Kinder im Haus sind und zuhören?“
Zurzeit sind laut Henke und Walter
in der Frauenberatungsstelle besonders große Themen: eine Zunahme der psychischen Belastungen, eine wachsende depressive Grundstimmung und eine stärker werdende Vereinsamung.
„Für das Home-Schooling sind immer noch überwiegend die Frauen zuständig“, sagt Silvia Henke. Sie würden oft mehrere Kinder zu Hause in engen Räumen bei den Hausaufgaben unterstützen und müssten gleichzeitig noch ihre anderen Aufgaben erledigen. „Das ist für viele extrem belastend“, sagt Henke. Viele bräuchten eigentlich therapeutische Unterstützung. Aber die zu bekommen, sei unfassbar schwierig, weiß Jana Walter. „Schon vor Corona gab es lange Wartelisten.“
In der Pandemie hätten sich außerdem Ängste verstärkt. „Viele Frauen haben Zukunftssorgen und fragen sich, wie es weiter geht oder ob das Geld reicht“, sagt Silvia Henke. Alleinstehende Frauen würden sich oft fragen, was geschehe, wenn sie in Quarantäne müssten, wer in dem Fall für sie einkaufen gehe oder den Müll runterbringe. Und was würde passieren, wenn man ernsthaft erkranke? Viele fühlten sich auch hilflos, weil immer mehr nur digital erledigt werden kann.
Einsamkeit sei ebenfalls ein großes Thema in den Beratungsgesprächen, sagt Jana Walter. Feste Strukturen und Treffpunkte seien weggefallen. „Zweimal die Woche morgens schwimmen oder Besuche im Café – all das fällt weg. Den Frauen fehlt einfach der Ausgleich.“
Aus diesem Grund wollen die Beraterinnen nach Corona wieder Treffpunkte für Frauen anbieten. Die werden dann aber nicht in den gewohnten Räumen an der Kaiserstraße stattfinden, sondern in der neuen Beratungsstelle an der Kaldenkirchener Straße. Dorthin wird die Frauenberatungsstelle nämlich umziehen. „Das ist schon ein großer Abschied nach 25 Jahren hier“, sagt Silvia Henke. Das Beratungsangebot soll aber trotz des Umzugs aufrecht erhalten werden. An der Kaldenkirchener Straße gibt es größere und barrierefreie Räume, die auch für Frauen mit Kinderwagen oder Rollator gut zu erreichen sind.