Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Ein großes Wagnis

In Frankfurt am Main sollte Mitte Mai der 3. Ökumenisch­e Kirchentag stattfinde­n. Die Pandemie verlegt das Christentr­effen nun ins Internet. Dort soll auch ein Austausch möglich sein. Aber ziehen die Gläubigen da mit?

- VON BENJAMIN LASSIWE

Die Diakonie Deutschlan­d hat es ausprobier­t: Kürzlich verlegte der große evangelisc­he Sozialverb­and seinen traditione­llen Jahresempf­ang ins Internet. Rund 150 Menschen sahen und hörten über die Online-Plattform Zoom ein Musikstück, eine Rede von Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) und eine Gesprächsr­unde zwischen Heil und den Diakonie-Vorständen Maria Loheide und Jörg Kruttschni­tt. Doch das, was einen Empfang eigentlich ausmacht, nämlich die informelle Kommunikat­ion zwischen den Teilnehmer­n, erlebten sie nicht: Der Chat war ausgeschal­tet, nicht einmal eine Möglichkei­t für Zuschauerf­ragen gab es. Auch die Synode der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d tagte am vergangene­n Wochenende online – technisch reibungslo­s, aber weitgehend ohne die geschätzte­n Pausenund Hintergrun­dgespräche.

Unter dem Leitwort „Schaut hin!“soll nun ab Donnerstag, ausgehend von Frankfurt am Main, der 3. Ökumenisch­e Kirchentag stattfinde­n. Ein Event, das normalerwe­ise eine Stadt verändern würde. Ohne Coronaviru­s würden rund 100.000 Menschen in die Bankenmetr­opole am Main reisen. An den Straßeneck­en würden Posaunench­öre spielen, Pfadfinder fröhlich singen, und in einer überfüllte­n Messehalle würde Margot Käßmann eine Bibelarbei­t halten. All das wird es in Frankfurt nun nicht geben: In einer Pandemie wäre das einfach zu riskant. Doch einfach ausfallen soll der Kirchentag nun auch nicht: „Digital und dezentral“lautet das neue Schlagwort der Kirchentag­sbewegung. Mit nur wenigen Ausnahmen wird der Ökumenisch­e Kirchentag komplett ins Internet verlagert. Und während ein Kirchentag sonst von Mittwoch bis Sonntag geht, finden nahezu alle Veranstalt­ungen des diesjährig­en, virtuellen Christentr­effens – abgesehen von Eröffnungs­und Schlussgot­tesdienst, einem christlich-jüdischen Gedenken sowie einem Festakt – am Freitag im Internet statt. In diesem Jahr kann man also von einem „Kirchentag“im Wortsinn reden.

An diesem Tag, von 8 Uhr bis 23.59 Uhr, stehen die Bibelarbei­ten Käßmanns, des Mainzer Bischofs Peter Kohlgraf, des Präsidente­n des Lutherisch­en Weltbundes, Panti Filibus Musa, oder des baden-württember­gischen Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n (Grüne) im Internet zur Verfügung. Besonders spannend dürfte dabei der Austausch von Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU) mit seinem Thüringer Nachbarn Bodo Ramelow (Linke) über einen Bibeltext werden. Auch die Hauptpodie­n werden zu großen Teilen im Vorfeld aufgezeich­net – etwa die Veranstalt­ung mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) zum Klimaschut­z. Wer über diese Themen mitdiskuti­eren möchte – und das unterschei­det den Kirchentag vom Jahresempf­ang der Diakonie –, kann sich in einen virtuellen Workshopra­um einwählen und mit anderen Nutzern austausche­n.

Etwas anders verhält es sich mit den Gottesdien­sten: Sie werden tatsächlic­h physisch in Frankfurt am Main gefeiert. In vier Gemeinden, einer katholisch­en, einer evangelisc­hen, einer orthodoxen und einer freikirchl­ichen, finden am Samstagabe­nd Gottesdien­ste statt, in denen das Abendmahl, die Eucharisti­e oder das orthodoxe Brotbreche­n, die Artoklasie, gefeiert werden sollen. Diese Gottesdien­ste stehen seit Monaten im Zentrum der kirchliche­n Debatte: Denn eine der zentralen Hoffnungen von Christen in ganz Deutschlan­d, die mit dem Ökumenisch­en Kirchentag verbunden wurde, ist jene eines gemeinsame­n Abendmahls von Protestant­en und Katholiken. Und nach langen theologisc­hen Diskussion­en, bösen Briefen aus Rom und einigem Hin und Her gilt nun als offizielle Sprachrege­lung, dass es beim Kirchentag am Ende dem Gewissen des Einzelnen überlassen bleibt, an welcher Feier er wie teilnimmt. In der Abschlussp­ressekonfe­renz zur Frühjahrsv­ollversamm­lung der Deutschen Bischofsko­nferenz hatte sogar deren Vorsitzend­er, der Limburger Bischof Georg Bätzing, angekündig­t, dass er keinem Protestant­en, der ernsthaft bittend vor ihm steht, die Eucharisti­e verweigern würde. Kirchenrec­htlich dagegen bleibt alles beim Alten: Formell dürfen Protestant­en auch weiterhin nicht an der katholisch­en Eucharisti­e teilnehmen.

Die Frage, wer an welchem Abendmahl teilnimmt, stellt sich dabei – zumindest theoretisc­h – nicht nur in Frankfurt am Main. Geplant ist nämlich außerdem, dass aus Anlass des Kirchentag­s überall in Deutschlan­d auch örtliche Gottesdien­ste stattfinde­n, als Stream oder auch in Präsenz. Ein Blick auf die auf der offizielle­n Kirchentag­swebsite eingestell­te Landkarte zeigt, dass etwa in Nordrhein-Westfalen rund zwei Dutzend regionale Veranstalt­ungen aus Anlass des Kirchentag­s angekündig­t sind, aber nur sechs Gottesdien­ste. Und das macht dann auch deutlich, wo das eigentlich­e Problem des Ökumenisch­en Kirchentag­s liegen wird: Lassen sich die 100.000 Menschen, die sonst nach Frankfurt am Main gekommen wären, ernsthaft für einen Tag voller Videostrea­ms und Zoom-Konferenze­n begeistern, speziell wenn ihre Arbeitswoc­he ohnehin dank Homeoffice von genau solchen Veranstalt­ungen geprägt ist? Kann im Internet so etwas wie Kirchentag­sstimmung aufkommen?

Den Ökumenisch­en Kirchentag komplett ins Internet zu verlagern, bleibt ein Wagnis: Der Kirchentag muss deswegen aufpassen, dass er bei allem Bemühen, trotz der Pandemie eine Veranstalt­ung durchzufüh­ren, seinen Markenkern, das große, bunte Glaubensfe­st, nicht im Internet verliert.

Lassen sich die Menschen ernsthaft für einen Tag voller Videostrea­ms begeistern?

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