Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Wie Kunst in der Therapie wirkt Kunst auf Rezept? Noch ist dies nicht möglich, doch gibt es Studien, die die heilende Wirkung nahelegen. Zwei Beispiele aus Mönchengladbach.
MÖNCHENGLADBACH
Vor zwei Jahren hat die Weltgesundheitsorganisation WHO etwa 900 internationale Studien über die Verbindung zwischen Gesundheit und Kunst und Kreativität ausgewertet. Das Ergebnis war eindeutig: kreative Betätigungen wie Musizieren, Tanzen und bildnerisches Gestalten ermöglichen eine Verbesserung von Wohlbefinden und Gesundheit. Auch der passive Kunstgenuss bei Museumsund Konzertbesuchen kann eine positive Wirkung auf die Gesundheit ausüben. Nicht erst, aber auch im Alter wirken Kunst und Kreativität positiv auf den kognitiven Abbau, da dabei automatisch eine gedankliche und emotionale Auseinandersetzung stattfindet, die die neuronalen Verbindungen im Gehirn befeuert. Die Studie der WHO legt den Verantwortlichen im Gesundheitswesen nahe, die Beziehungen zwischen Kunst und Gesundheit weiter zu erforschen und die Kreativität in den Gesundungsprozess einzubeziehen.
Was ist dran an den Studien? Wie erleben Kunsttherapeuten in ihrer täglichen Praxis die Wirkung von Kunst und Kreativität auf die körperliche und seelische Gesundheit?
Die 1953 geborene Brigitte Biebrach-Schmitt ist Kunstpädagogin, Heilpraktikerin für Psychotherapie und Kunsttherapeutin. Seit 1998 hat sie in Mönchengladbach ihre freie Praxis. „Kunst“, so nimmt Biebrach-Schmitt es wahr, „stellt uns ein Kontinuum zur Verfügung. An seinem einen Ende kann das notwendig verstörende Kunstwerk eines Otto Dix liegen, das den Krieg thematisiert. An seinem entgegengesetzten Ende können die gegenstandsfreien Bilder eines Mark Rothko wohltuend wirken.“Nicht nur decken die Kunstwerke eine enorme Spannbreite menschlicher Welterfahrung ab. Überdies sind die Reaktionen der Betrachter auf ein Bild höchst individuell.
Die Kunsttherapeutin besitzt eine umfassende Sammlung von Kunstpostkarten, die sie ihren Klienten anbietet. „Diese können auswählen, was sie gerade bevorzugen, was ihnen in diesem Moment gut tut, woraus sie Kraft schöpfen können“, erklärt Biebrach-Schmitt. Über die Bildbetrachtung gelangen die Therapeutin und die Klienten in einen fruchtbaren Dialog, in dem der Klient seine Kraftquellen entdeckt, ohne Konflikte zu verleugnen.
Die Kunsttherapeutin veranstaltet auch berufliche Supervisionen im Museum Abteiberg. Hier stellt sie folgendes fest: „Im Museum rennt man nicht. Man schlendert. Man entschleunigt. Das allein senkt schon den Stresslevel. Die Anregungen durch die Kunst erfrischen das Gehirn und regen es an.“Die Klienten erhalten in der Auseinandersetzung mit Kunstwerken wie einem Bild von Yves Klein oder den riesigen Gemälden von Sigmar Polke überraschende Anregungen für eine Veränderung in ihrer Haltung oder ihrem Tun.
Den Schwerpunkt in ihrer Arbeit mit ihren Klienten legt Brigitte Biebrach-Schmitt auf den Einsatz des Bildnerischen. Hierzu gehören Bilder aus der Kunst ebenso wie das eigene spontan gemalte Bild. Weitere Informationen: www.biebrach-schmitt.de
Seit 1997 besteht das Atelier Strichstärke der Evangelischen Stiftung Hephata. Bis zu 25 Menschen mit Behinderung im Alter von 20 bis Ende 70 Jahren kommen (außerhalb von Pandemiezeiten) in acht Gruppen aufgeteilt in das Atelier Strichstärke an der Wallstraße 24, um kreativ zu werden. Begleitet werden sie von der Heilerzieherin und Kunsttherapeutin Barbara John und der Sozialpädagogin Yvonne Klaffke. „Wenn unsere Klienten nach dem Besuch des Ateliers es verlassen, dann strahlen sie“, beschreibt die Sozialpädagogin den direkten positiven Effekt des kreativen Tuns. Die Konzentration wird geschult, die sozialen Beziehungen gestärkt und die
Frustrationstoleranz erhöht. „Kunst ist für unsere Klienten ein Medium der Kommunikation“, erklärt Barbara John. Diese Sprache gibt ihnen die Möglichkeit, in ihren Bedürfnissen, Gefühlen und Problemen wahr- und ernstgenommen zu werden. „Das allein ist schon heilend“, sagt Yvonne Klaffke. Vor allem das plastische Arbeiten, so beschreibt John, hat eine große Wirkung. Das Aufbauen einer Tonarbeit oder das Weg-Schlagen in Holz oder Stein zeigt: Man hinterlässt eine Spur, man schafft etwas, das bleibt. Man kann etwas formen – nach den eigenen Vorstellungen.
Kunst hinterlässt positive Spuren in der Psyche der Menschen. „Und das wiederum hat Auswirkungen auf den Körper“, fasst Yvonne
Klaffke ein hochkomplexes Thema zusammen.
Das Atelier Strichstärke zeigt aktuell eine Ausstellung in der Stadtbücherei Nettetal mit dem Titel „Punkt, Punkt, Komma … Strichstärke“und wird Ende des Jahres textile Werke im Textiltechnikum an der Schwalmstraße 301 präsentierten.