Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Generationenvertrag fürs Klima
Die Bundesregierung hat ihre Klimapolitik verschärft. Sie reagiert damit auf eine Forderung des Verfassungsgerichts, Folgen für die Zukunft zu berücksichtigen. Das birgt Konflikte – sozial, politisch, juristisch.
Nun hat die Regierung also sehr schnell auf die Ermahnung des Bundesverfassungsgerichts reagiert und binnen 13 Tagen ein schärferes Klimaschutzgesetz beschlossen. Bis 2045 will Deutschland jetzt klimaneutral werden. Der Ausstoß von Treibhausgasen soll bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken. Und auch für danach wurden neue Klimaziele festgeschrieben.
Nun ist gerade in der Klimapolitik der Weg spannender als das Ziel, viel wird in den nächsten Jahren darum gerungen werden, wie die Reduktionen konkret erreicht werden – und wer dafür zahlt. Doch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat nicht nur Aufsehen erregt, weil sie die Regierung bewegt hat, ihren Fahrplan für die Klimapolitik zu überarbeiten. Dazu wäre Deutschland bald auch wegen des neuen Klimapakets gezwungen gewesen, das die Europäische Union gerade schnürt. Bemerkenswert ist vor allem die Begründung der Richter in Karlsruhe. Denn sie argumentierten, die Politik müsse die Folgen ihres Tuns für das Leben in der Zukunft berücksichtigen. Unbequeme Maßnahmen dürften nicht mehr aufgeschoben werden, wenn sie für den Alltag der Zukunft noch größere Einschränkungen brächten. Da werden unterlassene Anstrengungen im Klimaschutz heute gegen die Freiheitsrechte künftiger Generationen gestellt. Ist das der Beginn eines neuen Generationenvertrags?
Man kennt diesen Begriff aus dem staatlichen Rentensystem. Das folgte einer Logik, nach der die arbeitende Generation für die Älteren zahlt, um später selbst in den Genuss einer Altersversorgung zu kommen. Die Abgaben jetzt sind also eine fiktive Vorauszahlung für die eigene Zukunft. Beim Klima dagegen sollen die Älteren heute verzichten, damit das Leben der Menschen nach ihnen noch lebenswert ist. Da geht es nicht mehr um eine Umlagedynamik mit Versprechen für die eigene Zukunft, sondern darum, welche Generation wie weit zurücksteckt.
Diese Argumentationslinie könnte weitreichendere Folgen haben als die aktuelle Klimaziel-Kurskorrektur: Denn mit der Inschutznahme der Zukunft könnte Ressourcenverbrauch in der Gegenwart in jedem Bereich zum Skandal werden. Ist es okay, wenn sich Leute heute ein Spritfresser-Auto oder einen Swimmingpool gönnen, obwohl sie damit die Chancen eines jungen Menschen auf eine Zukunft mit vergleichbaren Wahlmöglichkeiten verringern? Wäre es in Ordnung, solche Anschaffungen im Namen des Klimas zu verbieten oder zu verteuern?
Eine Tatsache ist, dass radikale Schritte notwendig sind, damit das Klima nicht kippt. Doch während sich die einen freuen, dass Karlsruhe die Politik endlich zum Umsteuern bewegt hat, fürchten andere, dass es im Namen der guten Sache bald um Eingriffe in individuelle Freiheitsrechte gehen könnte. Da drängen sich Parallelen zu Corona auf.
„Die Entscheidung hat tatsächlich eine neue Qualität, weil sie den Klimaschutz als Freiheitsrecht für die nächste Generation in den Verfassungsrang hebt“, sagt Stefan Leupertz, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof. Auf der einen Seite habe ihn das gefreut, weil der Klimaschutz dadurch einen Schub bekomme. Doch fürchte er mögliche Nebenwirkungen. „Wir erleben gerade in der Pandemie, was passiert, wenn eine Perspektive andere dominiert. Das könnte auch mit dieser Entscheidung geschehen. Denn damit könnte sich die Politik einen Rahmen verschaffen, um individuelle Freiheiten von Bürgern einzuschränken, wenn sie mit den Klimazielen kollidieren.“Dem Freiheitsversprechen
an die nächste Generation Grundrechtsrang zu geben, bindet die Politik, Entscheidungen radikaler als bisher auf ihre Nachhaltigkeit zu untersuchen. Doch ist die Frage, ob das eher auf Anreize für ein anderes Wirtschaften hinausläuft oder angesichts der Dynamik des Klimawandels auf Verbote.
„Es muss auch beim Thema Klima weiterhin ein Abwägungsprozess zwischen dem gemeinsamen Ziel des Klimaschutzes und individuellen Freiheitsrechten möglich bleiben“, sagt Leupertz. Die Gesellschaft habe komplexe Fragen zu beantworten. Die ökologische Frage sei wohl die dringlichste und komplizierteste. Ähnlich wie bei Corona suche die Politik daher nach Mechanismen, um mit der Komplexität umzugehen und gleichzeitig handlungsfähig zu bleiben. „Meine Sorge ist, dass die Politik Geschmack daran finden könnte, mit dem Mittel der Angst auch beim Klimaschutz Dinge durchzusetzen, die Grundrechte beschneiden. Davor bietet auch die Demokratie keinen garantierten Schutz.“
Menschen, die sich mit den massiven Folgen des Klimawandels für das Ökosystem und damit für den Alltag eines jeden beschäftigten, lassen das Freiheitsargument nicht ohne Weiteres gelten. „Ich lebe in Ostbrandenburg, mein Freiheitsrecht besteht darin, in den Wald zu gehen. Das werde ich aber nicht mehr tun können, wenn andere weiter glauben, sie müssten mit Drei-Tonnen-Autos über die Autobahnen brettern“, sagt Nick Reimer, der in dem Buch „Deutschland 2050“(Kiepenheuer & Witsch) beschrieben hat, wie der Klimawandel den Alltag verändern wird. So wird sich Deutschland etwa bis Mitte des Jahrhunderts in ein heißeres Land verwandeln, mit Dürren, aber auch zunehmenden Wetterextremen.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Ansage an die jetzt aktive Generation, nicht weiter so zu tun, als habe das Verbrauchen von Ressourcen nur den Preis, den die Dinge direkt kosten.
Die Debatte darüber, was die Generationen einander schuldig sind, hat gerade erst begonnen